Kapitel 5 - Jack the Ripper

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        Ich sehe aus dem Fenster, während es donnert und blitzt. Conso liegt auf ihrem Bett und sieht ebenfalls heraus. Wir teilen anscheinend nicht nur eine gemeinsame Liebe zu Fruchtgummies, sondern auch zu Unwettern, vor allem die in Californien sollen mir den Kopf wegblasen, meinte sie. Es ist der zehnte Abend in Californien und noch immer habe ich nichts von Mom, Dad oder gar Alfie gehört. Doch ich weiß, dass sich letzteres jeden Moment ändert.

Es klopft an unserer Tür.

„Nein!", ruft Conso, während ich Herein!, sage.

Die Tür öffnet sich und mein kleiner Bruder Alfie steht mit Cathy im Türrahmen. Wusste ich es doch. Er sieht trotzig zu Boden und ist nass.

„Er wollte dich unbedingt sehen", sagt Cathy und Alfie wendet den Blick von mir ab, weil ich weiß, es ist ihm peinlich. „Eine Stunde, aber nicht länger. Ihr wisst, -"

„Ab zehn ist Schluss, ja schon okay", unterbreche ich sie, weil sie diesen Spruch jeden Abend von sich gibt. Ich gehe zu Alfie und ziehe ihn ins Zimmer, um die Tür zu schließen. „Gute Nacht, Cathy."

Sie will noch etwas sagen, doch bevor das passieren kann, habe ich schon die Tür geschlossen und drehe mich mit verschränkten Armen zu Alfie, der sich mit tropfenden Haaren auf mein Bett setzt.

„Das ging schneller als gedacht", sage ich zu ihm. „Hatten wir nicht besprochen, dass du nur im Notfall kommst?"

„Es war ein Notfall", wimmert er kläglich.

Ich seufze und lasse die Schultern hängen. Alfie ist zwar belastbar, aber wenn es um Gewitter geht, eine riesige Heulsuse. Ich wünschte, er würde Gewitter so sehr lieben wie ich oder fast jeder andere Mensch auf der Welt. Was gibt es schöneres, als der Welt zuzusehen, wie sie untergeht, obwohl sie am Ende nicht untergeht?

„Der richtige Notfall ist noch gar nicht erst eingetroffen", murmelt Conso und dreht sich in ihrem Bett, um ein Buch zu lesen.

Ich schiebe die Vorhänge des Fensters zu und sage zu Alfie: „Alfie, du weißt, dass du nicht jedes Mal kommen kannst, wenn es gewittert. Hier gewittert es ständig."

„Ich weiß", sagt Alfie leise und legt sich unter meine Decke. „Bitte nur heute. Ich wusste nicht, dass die Gewitter hier so schlimm sind."

Die Augen verdrehend setze ich mich in mein Bett, neben die Beule, die Alfie unter der Decke darstellt, nehme mir ein Buch von Harrys Stapel. Es ist Alltag, dass Alfie bei Unwetter unter meiner Decke liegt. Man kann ihm viel antun, ihm an den Haaren ziehen, jegliche unter die Gürtel gehende Beleidigungen an den Kopf werfen, nichts tut ihm weh, aber Gewitter ... Seine Erzfeinde, seitdem er geboren wurde. Unsere Eltern haben ihm nie erlaubt, bei ihnen im Schlafzimmer zu übernachten, wenn es stürmte, deswegen hat er gelernt zu mir zu kommen und ich habe gelernt, es einfach zu akzeptieren, egal wie sehr er mich damit nervt.

Es vergehen dreißig Minuten, in denen der Regen weniger heftig gegen die Fenster prasselt und man hört, wie das Gewitter abdämpft. Es blitzt nicht mehr, ab und zu hört man noch ein Donnern, aber mehr nicht. Ich lese gerade ein Schussmassaker in meinem Buch, als es plötzlich schnell gegen unsere Tür klopft und mich aufzucken lässt, weil genau in dem Moment Kommissar Greenweld erschossen wird.

„Conso", ertönt eine flüsternde Stimme von draußen und ich runzle die Stirn. Das ist definitiv kein Zufall mehr.

Ich sehe zu Conso und sie steht stöhnend auf. „Sagte ich doch", meint sie und öffnet die Tür, worauf – wie schon erwartet – Harry hineingeplatzt kommt.

Er ist klitschnass, als hätte er im Meer gebadet, allerdings komplett schwarz angezogen und mit Kapuze auf dem Kopf. Ich sehe ihn nur unauffällig an, halte das Buch noch in den Händen.

Thanks, LeoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt