Kapitel 7 - Der Plan

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        Ich warte genau eine Stunde, dann ist es viertel vor zwölf und ich ziehe mich leise an, sodass ich Conso nicht wecke. Wie sie darauf reagieren würde, dass ich nachts einfach mal verschwinde, kann ich mir nicht ausmalen, deswegen behalte ich es für mich. Eine Erklärung dafür will ich ihr sowieso nicht bieten müssen, vor allem nicht die, in der ich sage, dass ich denke, Harry hat mir eine Botschaft geschickt, in der er sagt, ihn um Mitternacht zu treffen. Mal ganz davon abgesehen, dass das Einzige, das ich von ihm weiß, seine Lieblingsband und sein halbwegs guter Literaturgeschmack sind, ist meine Situation ziemlich fragwürdig.

Ich schleiche mich wie ein Ninja durch den Flur im Mädchengebäude, halte Ausschau nach den Nachtbetreuerinnen und schaffe es schließlich flink das große Haus zu verlassen. Ich spüre die sanfte Kälte um meine Beine, weil ich nur eine kurze Stoffhose trage, aber immerhin einen dicken Cornwellpullover, der diesen grässlichen dunkelblauen Farbton hat. Immerhin ist er warm und der Weg zu Harrys Internat ist nicht sonderlich lang, weswegen ich nach zwei Minuten schon die großen Gebäude sehen kann, in denen er haust. Im Gegensatz zu Cornwell sieht sein Wohnheim aus, wie ein Gefängnis für Streber und Schnösel. Die Wände sind in einem dunklen grau, alles ist lieblos, der Garten ist zu perfekt und sogar die Schrift, die in den riesigen Stein vor dem Haus gemeißelt ist, sieht streng aus. Ich fange an Cornwell zu schätzen.

Ich sehe mich ständig um, damit mich auch niemand erwischen kann, bin aber weniger nervös, als ich dachte. In New York bin ich oft von Zuhause nachts weggegangen, auch wenn meine Eltern es nicht wollten, es war mir egal. Ein Punkt, weshalb ich kein Vorzeigekind war. Meine Fähigkeiten im Ausbrechen machen sich wohl langsam nützlich.

Ich sehe nach einer Weile auf die Uhr meines Handys und stelle fest, dass es bereits drei Minuten nach zwölf ist. Ein weiterer Fakt über mich: Ich bin ungeduldig und das ziemlich. Unpünktlichkeit gehört zu meiner Hassliste und steht genau unter meinem Geburtstag. Natürlich kann ich mir nicht sicher sein, ob Harry wirklich kommen wird und meine Schnapsidee, er könnte mir geheime Botschaften schicken, kann totaler Schwachsinn sein, aber wenn es wirklich eine Botschaft war, dann  ist er drei Minuten zu spät. Meine Hände in den Taschen meines Pullovers vergrabend, nachdem ich meine Kapuze aufgezogen habe, wippe ich vor Langeweile hin und her. Es vergehen bestimmt weitere fünf Minuten.

Doch nach einer weiteren Minute höre ich Schritte hinter mir und ich drehe mich um, sehe Harry, der ebenfalls mit aufgezogener Kapuze zu mir kommt und über seine Schulter nach hinten sieht. Es war also doch eine Botschaft.

„Du bist zu spät", lautet meine Begrüßung und ich versuche weniger unfreundlich zu klingen, als ich normalerweise jemanden begrüßen würde, der mich so lange warten lässt.

Harry bleibt vor mir stehen und mir fällt jetzt erst auf, wie vielgrößer er ist als ich. Wir standen uns nie gegenüber und ich muss meinen Kopf mehr haben, als gedacht. Er ignoriert meine Aussage, sondern dreht seinen Kopf wieder zum beleuchteten Eingang seines Wohnhauses und dann nickt er die Straße entlang. „Lass uns gehen, nachts hier rumzustehen, war noch nie eine gute Idee."

Er geht nach links und ich laufe neben ihm her, sehe geradeaus, die Straße entlang, wo absolut niemand lang läuft. Wir laufen an einer Palmenallee vorbei und ich frage: „Gibt es einen Plan?"

„Einen Plan?"

„Ja, einen Plan. Für heute Nacht. Oder warum bin ich hier?"

„Natürlich gibt es einen Plan, Leo", sagt Harry uns sein Mundwinkel hebt sich wieder nur vage. „Der erste Teil des Plans war, darauf zu vertrauen, dass du nicht dumm bist, sondern verstehst, was Ben Katharina sagen wollte."

Wir sehen uns nicht an, während wir sprechen, laufen in einem mäßigen Tempo, auch wenn ich keine Ahnung habe, was überhaupt unser Ziel ist. „Ich dachte eher, du sagst es mir heute Nacht."

Er sieht kurz zu mir herab, dann jedoch wieder geradeaus. „Das ist die perfekte Antwort. Okay, der zweite Teil des Plans ist, sich in Höchstgefahr zu bringen."

„In Höchstgefahr", wiederhole ich mit erhobenen Brauen. „Das klingt nach einem nicht durchdachten Plan."

„Oh, er ist sehr durchdacht." Harry biegt links in eine Straße und schon von weiten sehe ich, dass wir uns dem Bahnhof nähern. „Schon mal nachts U-Bahn gefahren?"

Ich schüttle skeptisch den Kopf. Nachts U-Bahn fahren sieht Harry anscheinend ans Höchstgefahr. Ich nehme an, Kalifornien verwandelt sich nachts zu einem Krimistaat. „Und wo fahren wir hin?", frage ich Harry, als wir die Treppen nach unten zur untersten Etage laufen.

„In die Stadt, es dauert nicht lange, nur eine Fahrt", antwortet Harry und sieht sich um, und sofort wird mir klar, weshalb man eine nächtliche U-Bahnfahrt als höchstgefährlich einstufen kann.

Das Licht flackert, es sieht versifft aus, alles ist schmutzig, es stinkt nach Urin und außerdem liegen zwei Obdachlose in einer Decke und schlafen. Ganz weit hinten im großen Gang, sieht man einen Mann der in einem dunklen Mantel auf die Bahn wartet und auf die Gleise starrt. Es ist gruselig, aber noch ertragbar.

Wir stellen uns ebenfalls an die Gleise und Harry sieht zu mir hinab, beobachtet mich, wie ich mich umsehe und gerade einen Spruch an einem grauen Balken lese. „Es ist nicht wirklich höchstgefährlich", sagt er, als man von weitem schon die Bahn durch den Tunnel hallen hört. „Ich wollte dich nur ein wenig verunsichern."

Die Bahn hält vor uns und ich gehe hinter Harry durch die geöffneten Türen. Wir halten uns beide an der Eisenstange in der Mitte fest und ich sehe zu ihm auf. „Ist das eine Masche? Mädchen am ersten Date verunsichern?"

Harry lacht auf und perfekte Weise Zähne werden mir präsentiert. Er lacht ziemlich selten, weswegen ich sie nie sehen konnte, aber das bedeutet nicht, dass er eine negative Ausstrahlung hat, er kommt sogar sehr charismatisch herüber. Mir fällt es schwer ihn zu beschreiben. „Ich bin mir gerade nicht sicher, auf was ich als erstes eingehen soll", sagt er amüsiert. „Du würdest so etwas als Date bezeichnen?"

Ich zucke mit den Schultern und sehe aus den Fenstern, erkenne allerdings nur tiefes schwarz, weil wir noch mit hoher Geschwindigkeit durch den Tunnel fahren. Meine Aussage ist mir etwas unangenehm, aber wer wäre ich, wenn ich es mir ansehen lassen würde. „Du nicht? Ich meine, wir treffen uns um Mitternacht, weil du mich eingeladen hast. Es könnte das perfekte erste Date in einem kitschigen Liebesroman sein."

Wieder feixt er leicht und dann sieht er ebenfalls aus dem Fenster. „Ich würde nicht sagen, dass es kein Date ist, aber ich würde auch nicht sagen, dass es ein Date ist. Ich meine, geht man bei ersten Dates nicht essen? Oder ins Kino? Wahrscheinlich bin ich einfach nur zu schlecht für normale Dates. Außerdem bin ich nicht der Typ für kitschige Liebesromane."

Ich sehe zu ihm auf und lächle leicht. „Dann nennen wir es nicht Date. Wie wäre es mit ... Wie nennen wir es?"

„Hm." Harry denkt nach und eine Falte entsteht zwischen seinen Brauen. „Wir sollten nochmal darüber nachdenken, wenn die Nacht vorbei ist, ich wette, uns fällt was ein."

Ich nicke und im gleichen Moment kommen wir auch schon an der nächsten Haltestation an. Erst als wir aussteigen, fällt mir die alte Frau auf, die ebenfalls in dem sonst leeren Wagon saß. Sie starrt uns an, doch ich sehe weg. Menschen, die nachts U-Bahn fahren, müssen etwas Seltsames an sich haben. Oder einfach irgendwelche bescheuerten Dates kreieren.

„Und jetzt?", frage ich Harry, als wir die Treppen vom Bahnhof in die Stadt laufen. Es ist ungewöhnlich still, doch das ist gut. Ich mag es nicht, unter viele Menschenmengen zu treten, deswegen sollte ich mir überlegen, vielleicht öfter nachts in die Stadt zu gehen, wenn ich schon mal etwas erleben will.

Harry steuert eine Richtung an und ich laufe gelassen neben ihm her, sehe mich um, beobachte ein paar Leute, die umherlaufen oder eine flackernde Neonschrift über einer Bar. „Schritt drei des Plans", sagt Harry und sieht sich ebenfalls nach etwas um. Er nimmt seine Kapuze ab und ich tue es ihm gleich. „Ich hoffe, du hast keine Klaustrophobie."

Die kurzen Kapitel sind echt kacke, ich weiß ... Aber ich muss erst mal richtig in die Story reinfinden und dann läuft es besser. Übrigens kommen ab sofort wieder täglich Updates, der Schulstress ist vorbei :)

Thanks, LeoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt