9. Kapitel

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~Sie rannte wieder.
Das Mädchen befand sich zurück am Ursprung des Geschehens, der geisterhafte Wald erschien ihr dunkler als jemals zuvor.
Sie war wieder auf der Flucht.
Es schien ihr, als hätte sie nie aufgehört mit Laufen, als wäre sie immer noch hoffnungslos in ihrem schlimmsten Alptraum gefangen.
Ohne Anhaltspunkte lief sie nun um ihr Leben, sie war in diesem undurchdringlichen Wald gefangen aus welchem es keinen Ausweg zu geben schien.
Ihre Füße trugen sie fast von allein, entgegen aller Vernunft legte sie ein waghalsiges Tempo an den Tag.
Blätter stoben unter ihr auf, Äste peitschten ihr ins Gesicht, ihre Arme waren zerkratzt von all den Dornen durch die sie sich tapfer schlug.
Ihr Herz raste, drohte zu zerspringen, das Adrenalin jagte mit rubinrotem Blut durch ihre Adern, trieb sie zu Höchstleistungen.
Das Reh sprang weiter, ohne sich um zu sehen, ohne seine Flucht zu verlangsamen.
Sie kamen aus dem Nichts.
Das Mädchen hörte sie erst als es schon zu spät war.
Da waren federnde, schnelle Schritte, ein lautes Rascheln durchschnitt die dunkle Stille, als ihr Verfolger sich vom laubbedeckten Waldboden abstieß, und ihr mit voller Wucht in den Rücken sprang.
Sie schrie auf.
Gellend zerschnitt ihr Kreischen die letzten Mauern ihres Verstandes, brachte sie tosend zum Einstürzen.
Schmerz explodierte in ihrer Schulter, die Luft wurde ihr vor Überraschung aus den Lungen gepresst, hart traf sie auf den Boden auf, wurde unter dem schweren Körper des Jägers begraben.
Keuchend schlug sie auf die riesige Gestalt ein, die nun auf ihren Brustkorb drückte, doch sein Griff der um ihre Arme lag, war fester als jeder Schraubstock, sein Körper presste sie bewegungsunfähig auf den Waldboden.
Sie schrie immer noch, ihre weit aufgerissenen Augen blieben an der pechschwarzen Kapuze hängen, hafteten sich auf den dunklen Stoff.
Voller Furcht starrte sie auf den Schatten, der sich darunter versteckte, auf das Gesicht welches verborgen blieb.
Ein Schlag landete in ihrer Magengrube, ließ sie würgen und ihr die Tränen in die Augen steigen.
Gelähmt und in Todesangst blickte sie wie betäubt zu ihm empor, dann ganz langsam fuhr der Angreifer sich mit der einen Hand an den Kopf.
Die Kapuze rutschte von seinem Schädel, offenbarten blondes Haar, das im blauschwarzen Licht grau meliert schimmerte, einen ausgeprägten Kiefer und zwei stechend graue Augen, die das Mädchen unverhohlen feindselig musterten.
Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem gefährlichen Lächeln, sein Gesicht glich einem Totenschädel, als Max sich langsam zu ihr herunterbeugte.
Sie begann wie am Spieß zu schreien als sie seinen mörderischen Atem auf ihrer Haut spürte...~

Wie eine Verrückte um sich schlagend wachte Milena auf.
Wild huschten ihre Augen umher, in heller Panik fuhr sie in ihrem Bett herum, verhedderte sich in ihrer Decke und fand erst im letzten Moment bevor sie über die Kante gerollt wäre, ihr Gleichgewicht wieder.
Völlig verstört richtete sie sich auf.
In ihrem Zimmer war es taghell, graues Licht fiel durch ihre großen Scheiben, beleuchtete ihre blasse, blutleere Haut und schmerzte in ihren lichtempfindlichen Augen.
Ihr Blick blieb an ihrer riesigen schwarzen Uhr an der gegenüberliegenden Wand hängen.
Es war bereits nachmittags.
Dieses einfache Betrachten der Zeit, ohne sie wirklich wahrzunehmen und gleich wieder zu vergessen, brachte sie schließlich zurück in ihre Welt, riss sie regelrecht aus ihrer ohnmächtigen Starre.
Keuchend fuhr sie sich über das Gesicht, wischte die heißen Tränen von ihren Wangen und den kalten Schweiß von ihrer Stirn.
Sie fühlte sich elendig.
Noch immer schlug ihr das Herz bis zum Hals und jeder Schlag nahm ihr mit ungewohnter Heftigkeit den Atem.
Zitternd stand sie auf, schleppte sich schwer atmend zum Fenster und riss es sperrangelweit auf.
Kühle Luft streichelte über ihre erhitzte Haut, beruhigte sie.
Es regnete draußen.
Die wunderbar golden gefärbten Blätter des Apfelbaums vor ihrem Fenster waren zu einem matschigen Braun verblasst, segelten traurig zu Boden, während sich tausende funkelnde Tropfen wie silberne Tränen vom Himmel herab über sie ergossen und stille Pfützen formten.
Die Trostlosigkeit vor ihrem Fenster gab ihr den Rest.
Milena ließ sich völlig erschöpft auf ihren Stuhl fallen und begrub das Gesicht in den Händen.
Der Traum machte ihr Angst.
Zum zweiten Mal nun hatte sie sich in diesem Alptraum wieder gefunden, nur war es dieses Mal noch schlimmer gewesen.
Die Erinnerungen an letzte Nacht kamen wieder in ihr hoch und sie begann beim Gedanken an die dunklen Gassen und alle Geschehnisse zu würgen.
Max hatte sie verfolgt und dieses Mal hatte er sie geschnappt.
Milena weinte stumm und alleine vor sich hin.
Die Erschöpfung hatte sie schlussendlich zum Schlafen gezwungen aber sie nicht vor ihren Dämonen bewahrt.

Zwischen zwei Welten #Wattys2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt