Kapitel 2 - Das Handwerk der Magiari (Leseprobe)

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Der Älteste des mormorischen Magiariordens, Merindor klappte das dicke Buch auf seinem Schoß zu und strich mit der Handfläche über den rauen Einband. Yora musste niesen, als sie den feinen Staub, der durch die stickige Luft tanzte, einatmete.

»Gesundheit«, lächelte der grau gewordene Magier und legte den Wälzer zur Seite auf einen klapprigen Holztisch.

Schon den halben Nachmittag verbrachte er damit, den beiden heranwachsenden Adeptari Yora und Philian die Tugenden des Ordens und den Umgang mit der Magie zu lehren. Inzwischen waren die Kerzen beinahe vollständig abgebrannt und leiteten das Ende des heutigen Unterrichts ein.

»Und Ihr wisst wirklich nicht, wie viele Gronieri in Mormora leben?«, wollte Philian wissen.

Der rundliche Zauberlehrling mit dem braunen strubbeligen Schopf kippelte auf dem Hocker hin und her und blickte Merindor erwartungsvoll an. Auch Yora, die mit ihrer hellen Haut und den weißen Haaren wie ein Glühwürmchen in der düsteren Hütte leuchtete, machte große Augen.

Der Älteste lachte und wurde schlagartig ernst. »Denkst du etwa, dass ich euch anlüge?«

Sofort wich dem Jungen die Farbe aus dem Gesicht. Die Adeptin traute sich ebenfalls keinen Mucks mehr zu machen und linste verstohlen zu ihrem Freund.

Merindor gluckste und winkte ab. »Ihr solltet euch jetzt mal sehen.« Obwohl er selbst die Gutmütigkeit in Person war, hatte er ab und an Freude daran, den großen Respekt der jungen Magiari, ihm gegenüber, für seine Späße auszunutzen.

Die Gesichter seiner Schüleri hellten sich wieder auf, auch wenn der kurze Schock augenscheinlich noch ein wenig nachwirkte.

»Die Frage ist doch ...«, er wandte sich Yora zu. »... hast du aufgepasst, was Gronieri sind?«

Die Adeptin biss sich auf die Lippe und nickte ihm selbstsicher zu. »Ja«, erwiderte sie und grinste. »Das sind Magiari, die keines Ordens würdig sind.«

»Und warum?«, hakte Merindor nach.

»Weil sie sich der Goh ... Gosch ...«

»Ja?« Der Älteste hob eine Braue.

»Weil sie sich der Ghonarasch-Magie bedient haben oder ihre Seelen böse sind«, half Philian seiner Freundin auf die Sprünge.

Merindor schmunzelte. »Das lasse ich gelten.«

Der Adept reckte triumphierend das Kinn in die Höhe und zog Yora an den Haaren, worauf er sich einen Tritt gegen das Schienbein einfing.

»Au«, zischte er und rieb sich die Stelle, die sie mit voller Wucht getroffen hatte.

»Es ist ihnen nicht möglich, die Kammer der Geister zu betreten, ohne den Zorn der Wächteri auf sich zu ziehen.« Jetzt grinste das Mädchen bis über beide Ohren.

»Stimmt nicht!« Philian streckte ihr die Zunge raus.

Merindor hatte Freude daran, dass die Adeptari etwas Leben in seine sonst so einsame Hütte brachten. Er schmunzelte und hob die Hand. »Yora hat nicht gänzlich unrecht.«

»Hähä!«, machte die Magierin und wandte sich dem Ältesten zu. »Warum habe ich nicht ganz recht?«

Merindor lugte zu Philian hinüber. Der ließ sich nicht zweimal bitten und begann, das Gelernte wiederzugeben: »Die Wächteri würden den Gronieri schon vernichten, sobald er den heiligen Boden am Fuße der Berge betritt.«

Yora stieß ein genervtes Schnauben aus, ehe der Älteste wieder das Zepter übernahm. »Und warum ist es von allergrößter Wichtigkeit, dass es niemals einem Gronieri gelingt, die Kammer der Geister zu betreten?« Sein Blick verharrte auf Yora.

Yalims Erbe - Die Auserwählten (Band I) LESEPROBE (NEU 2021)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt