Fabien stand noch eine Zeit lang in seinem verschwitzten Leinenhemd im Flur. Im kräftigen Blau der königlichen Farben zierte darüber eine ärmellose Weste seine athletische Statur. Bis auf das kleine Muttermal unter dem rechten Auge hatte der Prinz wenig Ähnlichkeit mit seinem Vater. Während dieser wie ein stattlicher Mann wirkte, war Fabien eher zurückhaltend und schüchtern. Da half es nicht gerade, dass sein Vater für ihn den Kopf hinhielt und es selbst dabei noch schaffte, das Volk zum Jubeln zu bringen. Was auch immer er den Leuten berichtet hatte, am Ende seiner Rede fegten rege Begeisterungsstürme durch die Menge. Fabien drückte das Fenster einen Spalt auf und lugte nach oben zum Balkon. Der beschämte Blick, als Amanar sich von den loyalen Städteri abwandte, versetzte ihm einen Stich ins Herz.
Der König verschwand schnellen Schrittes in der Burg und zog sich in seine Gemächer zurück.
Langsam brach die Dämmerung über Mormora herein und die Sonne begann hinter den Bergen zu verschwinden. Auch in der Burg war es ruhig geworden. Vereinzelte Schritte von Wachen und Bediensteten hallten leise durch die Korridore und wirkten an diesem Abend besonders trostlos.
Fabien, der am heutigen Tag normalerweise mit einem Bierkrug und all seinen Freundari an einer reichgedeckten Tafel auf seine Nachkommari hätte anstoßen sollen, war nach den aufreibenden Ereignissen an der Seite seiner Frau eingeschlafen. Als er zu ihr ins Zimmer gegangen war, hatte er erleichtert durchgeatmet. Sie war zu müde gewesen, um mit ihm über etwas zu reden, das er selbst nicht in Worte fassen konnte und von dem er noch immer glaubte, es sei ein böser Traum.
In den Häusern der Stadt waren die Lichter ausgegangen. Nur die flackernden Straßenlaternen und einige Kerzen in Merindors kleiner Hütte, nahe des Marktplatzes, kämpften gegen die Dunkelheit an.
Der Magier war auch zu dieser späten Stunde noch eifrig auf der Suche nach einer Lösung, die Prinz Fabien und seiner Familie helfen konnte. Yora und Philian hatte er schon vor Stunden gebeten, den Heimweg anzutreten und ihre Eltern nicht länger warten zu lassen. Er musste schmunzeln, als ihre enttäuschten Gesichter vor seinem inneren Auge auftauchten, nachdem die Adeptari trotz aller Überredungskünste ihn nicht zu überzeugen vermochten, ihm bis spät in die Nacht unter die Arme greifen zu dürfen.
Im matten Schein der tänzelnden Flammen stöberte er zwischen all den verstaubten Büchern, die sich auf seinem maroden Holztisch stapelten. Eine Schriftrolle, die nahe an der Tischkante lag, fiel zu Boden und wirbelte Staub auf, der im Kerzenlicht glitzerte. Gerade noch rechtzeitig bemerkte Merindor, dass ein Gestell samt Reagenzgläsern schon bald dasselbe Schicksal ereilen würde. Das leise Klirren der dünnen Gefäße glich einem ängstlichen Bibbern, Angst davor, dort unten gleich in tausend Scherben zu zerspringen.
Er ließ den Buchdeckel des Wälzers vor ihm auf den Tisch sinken und machte eine kurze Handbewegung in Richtung eines leeren Wandregals. Wie von Geisterhand schwebten die zerbrechlichen Gefäße dorthin und setzten mit einem leichten Klimpern auf dem Regal auf. Wieder tänzelte feiner Staub durch die Luft. Merindor rümpfte kurz die Nase und zog das nächste Buch aus dem Stapel.
»Sie hätte nicht aufwachen dürfen«, murmelte er ratlos in seinen Bart. Bisher hatte er immer gewusst, worauf es zurückzuführen war, wenn einer seiner Zauber nicht die beabsichtigte Wirkung erzielt hatte. Diesmal allerdings konnte er sich keinen Reim darauf machen. Ihn beschlich zunehmend der Verdacht, dass jemand oder etwas die Finger im Spiel gehabt haben musste – aber dies war eine reine Vermutung. Zugegebenermaßen eine Beängstigende, die in seinem Kopf herumspukte und der er mit Sicherheit nachgehen würde.
Erst spät, nachdem die Nachtwächeri bereits das Licht in den Gassen gelöscht hatten, legte sich auch Merindor Schlafen. Nur der Mond, der sich in ein Gewand aus zarten Schleierwolken gehüllt hatte, warf düstere Schatten über die Stadt.
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Yalims Erbe - Die Auserwählten (Band I) LESEPROBE (NEU 2021)
FantasyWIRST DU DICH DEM BÜNDINS DER SHANAYTARI ALS WÜRDIG ERWEISEN? Dass er unmittelbar nach der Geburt über Leben und Tod seines eigen Fleisch und Blut entscheiden muss, wirft Fabien völlig aus der Bahn. Als er die vermeintliche Hilfe eines fremden Magie...