Zerstörerisch wütet das Feuer in der Dunkelheit. Die Schreie werden lauter. Ich starre wie versteinert auf die grellen Flammen. Dann wandert mein Blick nach unten zu meinen Händen. Sie sind völlig normal - keine Brandwunden, kein Blut, nichts. Bin das wirklich ich gewesen? Von der Seite schält sich meine Mutter aus dem dichten Nebel. Sie wirkt panisch. Ihre Augen tränen und sie zittert am ganzen Körper. Ihre Hand presst sie schlotternd an den Mund, ehe sich ihr Blick von dem Unglück löst und mich fixiert. Sie erstarrt. Ich kann die Furcht in ihren geweiteten Pupillen erkennen. Mein Herzschlag setzt für einen Moment aus, als mir klar wird: Diese Angst gilt nicht der Dunkelheit oder der Bedrohung, die ich abgewendet habe - sie gilt mir, ihrem eigenen Sohn. Der Mut und die Stärke, die ich bis eben noch verspürt habe, verschwinden und weichen einem aufkeimenden Schauer, der mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Was habe ich getan? Wo ist sie hergekommen, diese Kraft?
»Ophan, Taluna!«, schreit meine Mutter so voller Panik, dass mein Herzschlag aussetzt. »Brurok, Afalla! Nein!«
Noch ehe ich fragen kann, warum sie die Namen unserer Nachbari ruft, trifft es mich wie ein Blitz: Die vermeintlichen Feindari, die in Flammen stehen und sich vor Schmerzen auf dem Boden wälzen, sind keine Bedrohung gewesen. Es ist die Familie aus Artal, die in der Holzhütte nebenan wohnt. Mit den Kindern habe ich erst vor ein paar Tagen gespielt. Unfähig, mich zu bewegen, beginnt mein Verstand zu begreifen, was ich soeben getan habe.
»Tu doch was!«, fleht Mama hilflos, aber mein Mut hat mich verlassen. Ich weiß nicht, was ich tun kann.
Unsere Freundari schreien um Hilfe und versuchen sich, mit feuchtem Schlamm vom Waldboden zu löschen. Trotzdem werden die Flammen nicht kleiner. Ich höre Talunas Stimme. Sie sieht mich an und weint. Warum kann ich ihr und ihrer Famlilie nicht helfen? Der Schock lähmt meine Glieder.
»Steh nicht einfach so rum!«, schreit Mutter noch einmal und zerteilt mit ihrem Messer einen dünnen Ast.
Immer wieder versucht sie, damit das tobende Feuer auszuklopfen. Ein dumpfes Gefühl legt sich wie eine Decke über die zunehmende Panik und hindert mich sogar daran, zu weinen. Mama nimmt ihren Mantel und schlägt ihn auf die brennenden Körper. Mit jedem Schlag zucke ich zusammen. Todesangst hat sich in Talunas sonst so strahlende Augen, die mich inzwischen leblos anstarren, gefressen.
Nach einer Weile bemerke ich, dass es leise geworden ist. Die Schreie sind verstummt. Nur noch das Feuer züngelt vor sich hin. Dann wird es mir bewusst: Ich habe sie getötet. Dabei wollten sie uns doch retten.
Mutter kniet vor einem der leblosen Körper und weint. Sie hebt ihren Kopf und fokussiert mit Tränen überströmtem Gesicht meine Augen. So hat sie mich noch nie angesehen. Ängstlich und zugleich verachtend.
»Was bist du?«, wispert sie mit brüchiger Stimme.
Ich bin versteinert vor Schreck. Zudem weiß ich die Antwort nicht. Erst als sie das zweite Mal noch lauter ruft, reißt es mich aus der Starre.
»I... Ic... Ich wollte doch nur helfen«, stottere ich.
Sie schlägt mit der Hand auf den matschigen Boden und gräbt ihre Finger in den Morast. Dann schaut sie wieder auf und schüttelt den Kopf. »Du hast sie getötet!«, flüstert sie und scheint ebenfalls erst jetzt zu begreifen, was geschehen ist. »Ich hatte dem alten Mann gesagt, dass du nicht hierhergehörst und nie einer von uns sein würdest.«
»Hallo? Brurok, Afalla?!«, schallt plötzlich eine Stimme aus dem Wald.
Was soll ich tun? Noch einmal blicke ich in das angsterfüllte Gesicht meiner Mutter. Dann sehe ich die vier leblosen Körper, die von der Glut zerfressen und zu Asche geworden sind. Was werden die anderen sagen? Nein, ich will es nicht wissen! Es ist das Beste, ich verschwinde von hier. Niemand wird verstehen, was passiert ist. Ich verstehe es ja selbst nicht. Eine seltsame Schwere legt sich auf meine Brust. Endlich kommen mir die Tränen.
»Ist da jemand? Ramira?«, ertönt die tiefe Männerstimme, die sich abermals nach meiner Mutter erkundigt.
»Es tut mir leid. Ich wollte das nicht«, flüstere ich zum Abschied und weiß, dass es kein Zurück mehr gibt. Ich drehe ihr den Rücken zu und laufe tiefer in den dunklen Wald hinein. Weit weg von allen, denen ich wehtun kann, oder die mir jetzt wehtun wollen. Meine Mutter versucht nicht einmal, mich aufzuhalten.
Es ist so finster, dass ich nicht sehen kann, wohin ich laufe. Aber es ist mir egal, Hauptsache weg. Irgendwohin, wo mich niemand finden kann. Allmählich spüre ich, dass der Boden fester wird und der Nebel sich lichtet. Ein harter Schlag gegen meinen Knöchel bringt mich zu Fall. Ich versuche, den Schmerz zu unterdrücken und wische mir den Dreck aus dem Gesicht. Der Ast, der zugepackt hat, ragt mir schadenfroh entgegen. Schnell rapple ich mich wieder auf und humple weiter.
Endlich habe ich den Wald hinter mir gelassen und kann den Mond sehen. Er hat seine Sichel in eine der schwarzen Wolken am Himmel gebohrt, um nicht herunterzufallen. Die feuchte Wiese schimmert in seinem Licht und lotst mich einen Hügel hinauf. Das Gras weicht Steinen und Geröll, der Hang wird immer steiler. Ich versuche auf allen vieren hinaufzukrabbeln. Ein Vorsprung noch, dann kann ich mich ein wenig ausruhen. Ich grabe die Finger in das Gestein und ziehe mich nach oben.
Geschafft.
Mein Herz rast und es dauert eine ganze Weile, bis ich wieder ruhig atmen kann. Noch einmal lasse ich meinen Blick entlang der dichten Nebeldecke wandern, die sich hinter mir über den Sümpfen erstreckt. Hoffentlich haben sie meine Mutter gefunden und mit nach Hause genommen. Mir schießen Tränen in die Augen. Werde ich sie jemals wiedersehen? Will sie das überhaupt noch, nachdem, was dort unten geschehen ist?
Der Mond taucht wieder gänzlich zwischen den Wolken auf, als würde er mir etwas sagen wollen; und tatsächlich, er wirft sein Licht an die Felswand hinter mir, auf eine kleine Höhle in dem Gestein. Ich stehe auf und zucke zusammen. Der Schmerz fährt mir in den Knöchel und zwingt mich, ein paar Schritte lang zu humpeln.
»Hallo?«, rufe ich in den dunklen Hohlraum hinter dem Spalt und stütze meine Hände an der rauen Oberfläche ab. Der Stein ist noch warm vom Sonnenlicht, das die Sümpfe dort unten nur selten erreicht.
Nichts tut sich. Ich bin zu erschöpft, um mir Sorgen zu machen. Hier draußen bin ich völlig allein. Lange werde ich ohne Hilfe sowieso nicht überleben.
Mit letzter Kraft schleppe ich mich durch das Loch. Weit komme ich nicht. Es wird schlagartig kälter und es gibt nichts, womit ich die Kälte abhalten könnte. Ich bin ihr ausgeliefert und kauere mich weinend auf dem steinigen Boden zusammen. Meine Kleider sind vom Schweiß und dem feuchten Nebel vollkommen durchnässt. Mein Körper gehorcht mir nicht mehr und beginnt zu zittern. Doch dann übermannt mich die Müdigkeit und lässt mir gar nicht die Zeit, mir darüber bewusst zu werden, dass dies nicht meine letzte Nacht sein wird, die ich in völliger Einsamkeit verbringen werde.
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Yalims Erbe - Die Auserwählten (Band I) LESEPROBE (NEU 2021)
FantasyWIRST DU DICH DEM BÜNDINS DER SHANAYTARI ALS WÜRDIG ERWEISEN? Dass er unmittelbar nach der Geburt über Leben und Tod seines eigen Fleisch und Blut entscheiden muss, wirft Fabien völlig aus der Bahn. Als er die vermeintliche Hilfe eines fremden Magie...