Kapitel 2: Michael

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Ich stellte unter schweren Atemzügen mein rostiges Fahrrad an den Fahrradständer ab, der wie teurer Edelstahl glänzte. Schon so ein einfacher Ständer wurde in ein Kunstobjekt verwandelt. Es sah aus, wie eine lange Schlange (ich wusste nicht welche Art von Schlange es darstellen sollte), die sich oberhalb, aber auch mal unterhalb der gepflasterten Einfahrt, um die Standhaftigkeit des Ständers zu gewährleisten, entlang schlängelte.

Es war so genau konstruiert, dass in jeden Schlängel, den die Schlange machte, ein Fahrrad passte. Auf diese Art konnte man drei oder auch vier Fahrräder abstellen. Heute war meins aber das einzige.

Als ich mich auf dem Hof umschaute, bemerkte ich, dass auch sonst nicht so viel los war. Es hätten mindestens acht große Vans auf dem Hof Platz gehabt, jedoch hatte sich nur ein kleiner Audi mit absenkbarem Dach hinten verirrt. Wahrscheinlich der Eigentümer.

Nachdem ich mein Fahrrad, was überhaupt nicht zu der teuren Umgebung passte, abgeschlossen hatte, begann ich über den riesigen Hof zur Haustür zu gehen.

Ich stand vor einem weißen Gebäude, was jetzt noch viel größer erschien. Ich schätze, dass es mindestens drei Stockwerke geben musste.

Die vordere Hauswand hatte viele Fenster, die einen Rundbogen hatten. Wie in alten Schlössern gab es statt einer Fensterbank einen kleinen „Garten" mit Blumen aller Art. Ein kleiner eiserner Zaun, der Ranken darstellen sollte, hielt die Blumen in ihren Blumentöpfen.

Ich erkannte erst jetzt, dass jemand sich die Mühe gemacht hatte, Verzierungen um die Fenster in den Stein zu meißeln. Sie legten sich wie ein Rahmen um jedes Fenster.

Trotz alle dem sah das Haus aber nicht altmodischen aus. Es war bestimmt in letzter Zeit renoviert und modernisiert worden, da die weiße Fassade nur zu strahlte. Das einzige, was wohl vergessen wurde, war die dunkle Tür.

Diese versteckte sich hinter dem prunkvollen Eindruck des Gebäudes. Die Tür war dunkelbraun und mit quadratischen Fenstern versehen. Einen Blick in das Gebäude zu erspähen war mir jedoch unmöglich, da das Fensterglas vergilbt war.

Ich war fasziniert und drückte unter voller Vorfreude die Klingel. Sie war aus Gold und ebenfalls mit kleinen Ranken verziert. Es ratschte ein wenig, als ich den runden Knopf eindrückte. Vermutlich, weil die Klingel nicht als zu oft benutzt wurde.

Es ertönte ein kurzer, leiser Ton, der aber doch laut genug war, um ihn zu hören. Schließlich nahm ich eine Stimme wahr. Sie klang fröhlich und begeistert und etwas zu jung für dieses „Schloss". Es öffnete mir ein junger Mann, ich schätzte ihn auf Mitte dreißig.

»Sie müssen Frau Hansen sein, kommen Sie rein. Sind Sie gut hergekommen? Ach was überstürzte ich Sie hier mit Fragen. Legen Sie doch erstmal ihre Jacke ab und folgen mir in den Empfangsbereich.«

Der Mann zeigte auf einen freien Haken, ich zog meine Jacke aus und folgte ihm dann in ein großes Zimmer.

Als er mich bat, mich gegenüber von ihm auf das beige Sofa hinzusetzen und ich das auch wohlwollend tat, sagte ich: »Schön dich kennenzulernen. Nenn' mich ruhig Linnea. Ich bin nicht so der Sie-Typ«.

Oh Scheiße, wie kann ich das in so einem edlen Schuppen nur sagen?!

Aber er reagierte nicht auf meine Peinlichkeit und erwiderte nur: »Das ist gar kein Problem. Ich heiße Michael Johnson. Nenn' mich einfach Michael.«

Er lächelte und es sah so aus, als wollte er für einen kurzen Augenblick die Hand ausstrecken, da sie leicht zuckte. Vermutlich hatte Michael aber bemerkt, dass es keinen Sinn hatte, weil wir zu weit auseinander saßen. So unterdrückte er das Zucken.

Ich musterte ihn. Er war gut gebaut, hatte breite Schultern und schöne Wangenknochen. Schlecht sah er nicht aus. Die Haare waren etwas länger, jedoch hatte er sie mit Gel in Form gebracht, sodass das gar nicht auffiel. Sein Lächeln war herzlich und ich dachte, dass ich mich hier wohlfühlen würde.

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