Ich wache aus meinem traumlosen Schlaf auf, als jemand an meiner Schulter rüttelt. Wieso darf ich nicht einfach weiterschlafen?
Als ich meine Augen öffne, entdecke ich Jonas, der mich etwas entschuldigend ansieht. So einen Blick hab ich bei ihm ja noch nie gesehen. Daran kann man sich aber echt gewöhnen.
"Sorry, aber wir sind da und ich wollte dich jetzt nicht unbedingt in dein Bett tragen", erklärt er und reibt sich mit einer Hand den Nacken.
Ich nicke: "Verstehe ich."
Ich sehe ihn abwartend an. Er muss schon aus dem Weg gehen, wenn ich aussteigen soll.
Doch er bewegt sich kein bisschen, schaut mich einfach nur aus unergründlichen blauen Augen an. Eigentlich hat er ja ganz schöne Augen...Jonas räuspert sich: "Ähm... Worauf wartest du? Bist du doch schlimmer verletzt?"
Lachend schüttle ich den Kopf. Wie kann ich eigentlich jetzt schon wieder lachen? Ich wurde gerade fast vergewaltigt!
Muss wohl der Schock sein...Jonas sieht mich ,an als wäre ich verrückt geworden, wahrscheinlich bin ich das auch. Aber das ist ein anderes Thema.
"Jonas, du musst schon zur Seite gehen, wenn ich aussteigen soll", mache ich jetzt freundlich deutlich.
"Oh, klar." Sofort springt er zur Seite und ich steige endlich aus dem Auto aus.
Nachdem ich die Wagentür geschlossen habe, wende ich mich ihm zu.
Was jetzt? Bringt er mich zur Tür? Will er reinkommen? Ein Dankeschön? Geld? Was soll ich tun?
Warum um Himmelswillen soll er Geld von dir wollen?
Okay, klar denken kann ich vielleicht nicht mehr.
Ich sehe Jonas an. Er kratzt sich jetzt fast schon verlegen am Hinterkopf und weiß anscheinend nicht was er sagen soll. Oder er will gar nichts sagen und wartet darauf, dass ich das Wort ergreife?Da fällt mir seine Schramme an der Wange wieder ein: "Wenn du noch kurz mit reinkommst, versorg ich deine Verletzung an der Wange", biete ich deshalb an.
Er winkt ab: "Geht schon so."
Irgendwie möchte ich aber, dass er mit reinkommt. Er hat mich gerettet und nur deshalb ist er verletzt. Irgendwas Gutes muss man ihm doch tun können. Wenigstens etwas, womit ich mich ansatzweise bedanken kann...
"Ich sag das nur einmal: Bitte komm mit rein. Nach der Aktion möchte ich wenigstens etwas für dich tun." Bei diesen Worten kann ich ihn nicht mal ansehen, so sehr schäme ich mich dafür Jonas Lange um etwas zu bitten. Hätte mir vor ein paar Stunden jemand gesagt, dass ich so etwas sagen würde, hätte ich ihm einen Vogel gezeigt und laut losgelacht.
"Okay, von mir aus."
Erleichtert atme ich aus.
Ein paar Minuten später sitzt Jonas auf dem Klodeckel im Bad und ich suche gerade im Schrank nach unserem Verbandskasten. Zum Glück haben wir es geschafft uns am Schlafzimmer meiner Eltern vorbei zu schleichen, sonst hätte das richtig Ärger gegeben. Mein Vater hält nämlich nicht viel von Jungsbesuch und um diese Uhrzeit sowieso nicht.
Sobald ich den Kasten gefunden habe, drehe ich mich zu Jonas um.
"Erstmal sollten wir das ganze vielleicht säubern", murmle ich dann zu mir selbst, nehme ein Handtuch und befeuchte es etwas.
Dann gehe ich auf Jonas zu und fange an vorsichtig über seine Wange zu streichen. Ich merke, wie er bei der Berührung leicht zusammenzuckt. Da er sitzt, komme ich jetzt auch gut an sein Gesicht dran. Die Wunde blutet kaum noch und scheint auch nicht allzu tief zu sein.
Während ich beginne seine Wange zu desinfizieren, frage ich ihn: "Bist du sonst noch irgendwo verletzt?"
Er sieht mich an und schüttelt leicht den Kopf: "Ne, dürfte nur ein paar blaue Flecke geben, aber wem sag ich das... dir geht's wohl genauso."
Ich lasse meine Hand sinken und suche nach einem Pflaster, als ich plötzlich seine Hand an meiner Wange spüre, die sanft darüberstreicht. Ich spüre ein leichtes prickeln und weiß nicht, ob es an der blauen Wange oder an Jonas Hand darauf liegt. Ich sehe ihn an.
Was tut er da nur?
"Es sieht jetzt schon ganz schön blau aus", murmelt er und fragt mich danach, "tut es sehr weh?"
"Es geht", gebe ich zu und senke wieder den Blick. Irgendwie ist mir das peinlich...
Mit meinem Blick in Richtung Boden sehe ich allerdings einen Kratzer an seiner Hand, der noch blutet.
"Deine Hand blutet", stelle ich erstaunlich sachlich fest. Irgendwie nehme ich weder seine noch meine eigenen Verletzungen wirklich war...
"Was? Oh, ich hab mich letztens geschnitten, wahrscheinlich ist das nur wieder aufgegangen. Hast du zufällig noch ein Pflaster?"
Ich nicke und reiche ihm eins. Danach klebe ich ein zweites auf seine Wange und weiche wieder zurück. Diese Nähe zu ihm ist ziemlich komisch...
Jonas steht auf. "Danke. Und dir geht es soweit gut? Kann man dich jetzt alleine lassen?"
Ich lächle leicht: "Ja, alles gut."
Da bin ich mir zwar gar nicht so sicher, aber das werde ich ihm bestimmt nicht sagen. Zwar hat er sich bis jetzt echt vorbildlich benommen, aber ich muss das ja nicht ausreizen.
"Okay, dann fahr ich besser mal."
"Ja, ich bring dich noch zu Tür."
An der Tür angekommen, weiß ich nicht so recht, was ich jetzt tun soll... Aber irgendwas muss ich ja tun...
"Danke, dass du mich gerettet hast. Ich will gar nicht wissen, was passiert wäre, wenn du nicht da gewesen wärst", sage ich schließlich.
"Kein Problem. So Schweine gehören weggesperrt."
Wiedermal nicke ich. Dann fällt mir noch etwas ein: "Erzähl davon bitte niemandem, ja? Ich will wirklich nicht, dass irgendwer davon erfährt..."
Und schon wieder habe ich Jonas um etwas gebeten. Nicht, dass das noch zur Gewohnheit wird...
"Okay, ich verliere kein Wort mehr darüber. Ciao Mia", antwortet er mir und ist dann auch schon verschwunden.
Zum Glück hält er dicht. Ich will gar nicht wissen, wie meine Mitschüler reagieren würden, wenn sie davon wüssten. Ob sie alle Mitleid hätten oder mich als das totale Opfer sehen würden... Beides wäre schlimm.
Während ich hoch zu meinem Zimmer gehe, denke ich über Jonas Verhalten nach. Sowas hätte ich niemals von ihm erwartet... Erst hilft er mir, dann bewahrt er mich noch mal vor diesem Typen und dann bringt er mich auch noch nach Hause und sorgt sich um mich... Und hat er mich nicht gerade Mia genannt? Das hat er vorher auch noch nie.... was soll das?
Bevor ich im mein Zimmer gehe, dusche ich noch ausgiebig und schrubbe mich mehrmals richtig sauber. Ich fühle mich so dreckig und dabei ist ja noch nichts Gravierendes passiert. Nur an meiner Hüfte, an meinen Armen und eben an meiner Wange sind blaue Flecke, die ich in den nächsten Tagen wohl irgendwie verstecken muss. Meine Schminke muss fürs erste wohl zu meinem besten Freund werden...
Um fünf Uhr morgens falle ich dann erschöpft ins Bett und möchte eigentlich schlafen, doch ich kann nicht. Ständig habe ich die Bilder von diesem Typen vor Augen. Wie er mich anfasst, wie er mich küsst. Ob er mich wirklich vergewaltigt hätte? Bestimmt...
So kommt es, dass ich mich irgendwann in den Schlaf geweint habe.
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Dance into my Soul
Novela JuvenilDie 17- Jährige Emilia, oder auch Mia, hat eigentlich alles. Auf den ersten Blick. Vor allem aber hat sie einen Traum: ein Tanzstipedium. Das nötige Talent hat sie, doch was ist mit ihren Mitschülern von der "International School For Musical Arts"...