Novem - Aileen Delacroix

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Gelangweilt sitze ich auf dem roten, weichen Sessel in unserem Gemeinschaftsraum. Mein Blick huscht immer wieder zwischen dem Buch das aufgeschlagen neben mir liegt und meiner Pergamentrolle hin und her. Fast wie automatisch bewegt sich meine Hand mit der Feder und schreibt jedes einzelne Wort so wie es im Buch steht ab, sodass nur das leise, raue Kratzen meiner Feder auf dem Pergament zu hören ist.
Neben mir sitzt meine beste Freundin Zoé und sieht mir müde dabei zu, während sie ihren Kopf auf ihre Handflächen gestützt hat.
Immer wieder vergleiche ich den Text im Buch mit meinem eigenen Aufsatz, doch als ich feststelle, dass ich noch lange nicht fertig bin und mir noch mindestens Dreifünftel des Textes fehlen entweicht meinen Lippen ein leises Seufzen. Es wird wohl doch noch länger dauern als gedacht...
Schließlich nehme ich ein leises Tippeln neben mir wahr und mein Kopf dreht sich automatisch zu meiner Freundin, die ungeduldig mit ihren Fingerkuppen auf den Tisch herum klopft.
"Zoé lass das...", murmele ich und wende meinen Blick wieder meinem Aufsatz zu.
Sie seufzt leise und sieht mich an, als ob ich verrückt wäre.
"Mensch Aileen, du kannst das doch auch noch morgen fertig schreiben!", meint sie und verdreht die Augen, während sie sich wieder zurück in ihren Sessel lehnt und die Hände vor der Brust verschränkt.
"Ich will es aber heute fertig haben", antworte ich ihr schlicht, presse meine Lippen aufeinander und schreibe ohne mich ablenken zu lassen konzentriert an meinem Text weiter.
Plötzlich höre ich ein schiefes Quietschen was mich zusammenzucken lässt und meine Konzentration ruckartig bricht. Sofort fliegt mein Blick zur Tür, in dessen Türrahmen ein gehetzter Louis steht.
Seine braunen Haare sind total verwuschelt und seine Haltung verrät, dass er extrem aufgeregt sein muss.
"Aileen! Zoé! Ihr müsst sofort kommen! Die Teilnehmer für die Spiele...sie werden auserwählt!", ruft er uns atemlos zu und läuft mit schnellen Schritten zu uns herüber, wobei er ein angestrengtes Keuchen nicht unterdrücken kann.
Erschrocken weite ich meine Augen uns springe von meinem Sessel auf.
"Wie bitte?? Jetzt!?", gebe ich panisch von mir und fahre mir verzweifelt durch die Haare.
Ich habe das ganze bis jetzt so gut es ging verdrängt, nicht weiter darüber nach gedacht und mir immer gesagt das ich es nicht sein würde...dass die Chance viel höher war das es jemand anderen treffen würde. Ich habe das alles getan, weil ich wusste, dass wenn ich ernsthaft darüber nachdachte, nur noch mehr Angst und Panik in mir auslösen würde...
Doch jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich es nicht mehr verdrängen kann. All meine Sorgen, Ängste und Gedanken stürzen alle auf einmal auf meinen zierlichen Körper ein und lösen einen riesigen Sturm in meiner Magengrube aus.
Was wenn ich gewählt werde? Wenn ich nicht mehr fliehen kann und mein Todesurteil so gut wie gefallen ist? Kurz schließe ich meine Augen und versuche mich wieder zu beruhigen und wieder runter zu kommen. Ich darf jetzt genau das nicht tun; in Panik verfallen. An mir selbst zweifeln und meine ganzen Ängsten dadurch nur noch verschlimmern. Ich habe einfach keine Zeit mehr mir darüber Gedanken zu machen. Mein Schicksal würde so oder so in wenigen Minuten fallen, egal wie ich mich jetzt fühle. Ich muss einfach so selbstbewusst und ehrgeizig wie möglich sein, sonst sind meine Chancen gleich null.
Schnell blinzele ich und öffne meine Augen wieder, sodass ich in die meerblauen Augen von Louis sehe, die mich besorgt mustern.
"Alles okay...?", flüstert er sanft und sieht mich mitfühlend an. Ihm scheint es nicht viel besser als mir zu gehen.
Ich schlucke schnell den riesigen Kloß der sich in meinem Hals angestaut hatte herunter und nicke leicht.
Schnell greife ich nach meinem Umhang und ziehe ihn mir über, bevor ich mich nervös zu den anderen beiden drehe.
"Lass es uns....schnell hinter uns bringen...", bringe ich heraus und spiele nervös mit meinen Fingern.
Die anderen beiden nicken nur und so laufe ich mit schnellen Schritten voraus.
Immer wieder setze ich einen Schritt vor den anderen um es so schnell wie möglich hinter mich zu bringen.
Anfangs spüre ich, wie 2 verwirrte Blicke in meinem Rücken brennnen, doch dann schienen sie mir zu folgen.
Meine Schritte beschleunigen sich immer mehr, je größer meine Nervosität wird, je größer meine Angst wird. Doch ich bin stehts darauf bedacht an nichts zu denken, auch wenn ich mich immer wieder ermahnen muss.
"Wo ist eigentlich Lucie?", murmele ich während ich immer entschlossener und schneller wurde.
Ich würde das alles hier schaffen...irgendwie.
"Sie ist schon da", erwidert Louis, während meine beiden Freunde aufholen und sich nun bemühen neben mir Schritt zu halten.
Ich nicke nur leicht und versuche wieder einmal alle Gefühle von mir fern zu halten und meine Mauer aufrecht zu erhalten.
Mein Blick huscht immer wieder an den steinernen Wänden von Beauxbeauton entlang und mustert sie ausgiebig um meine ganzen Gedanken zu verdrängen und mich irgendwie abzulenken.

Nach einiger Zeit, in der niemand ein Wort gesagt hatte, kommen wir an der großen, hölzernen Tür zur Halle der Schule an.
Ich schlucke langsam den riesigen Kloß der sich in meinem Hals gebildet hat herunter und lege vorsichtig meine Hand auf die kalte Türklinke, die ich langsam herunter drücke.
Mit zittrigen Knien betrete ich langsam die große Halle. Schnell senke ich den Blick, als sich sofort einige Haarschöpfe zu mir umwanden und mich verwirrt mustern.
Schnell lasse ich mich auf eine der älteren Holzbänke sinken und hebe langsam den Blick, der fast automatisch zu unserem Direktor gleitet, der erwartungsvoll am Feuerkelch steht und darauf wartet, dass er einen Zettel ausspucken würde.
Vorsichtig setzen sich Zoé und Louis neben mich, während ich Louis' besorgten Blick auf mir spüre. Mir entweicht ein kleines Seufzen, als ich meinen Blick langsam ihm zu wende.
"Lou...mir geht's gut", murmele ich une versuche ein überzeugendes Lächeln hervorzubringen. Nun war er derjenige der seufzt.
"Ach komm schon...", meint er und bohrt nun seine blauen Augen in meine. "Ich weiß das du Angst hast...Du hast Angst dass du erwählt wirst...", flüstert er und sieht mich mitleidig an.
Darauf weiß ich nichts mehr zu erwidern und lehne mich resigniert gegen seine Schultern.
"Du hast Recht...", gebe ich leise zu und schlucke.
Er nickt nur leicht. "Ich weiß", sagt er und nimmt vorsichtig meine, in seine große warme Hand und verschränkt sanft unsere Finger miteinander.
Plötzlich ertönt von allen Seiten ein lautstarkes Klatschen und ich drehe mich verwirrt nach vorne zum Feuerkelch.
Der Direktor steht mit einem kleinem, verkohlten Zettel dort und sieht sich suchend um.
Hatten sie den Namen etwa schon verkündet?
"Aileen Delacroix?", höre ich ihn rufen.
Langsam aber sicher dringen seine schweren Worte zu mir durch.
Ich hatte es gewusst.
Ich hatte es in meinem Unterbewusstsein schon längst gewusst und mich damit abgefunden
Und trotzdem macht sich ein Brennen in meinen Augen breit und ich spüre, wie sie feucht werden und ich die Tränen nun kaum zurück halten kann. Sofort spüre ich wie sich zwei starke Arme um mich schließen und mich an sich ziehen.
Doch ich kann nicht richtig darauf reagieren, ich bin wie erstarrt.
"Aileen...du bist stark...du schaffst das", wispert Louis gegen meine Schulter, doch ich kann raus hören, dass auch er Angst hat.
"Bitte tu mir einen gefallen..."
Ich nicke leicht. "Was soll ich tun?", wispere ich überraschend ruhig.
"Tu alles dafür um zu überleben...komm wieder zurück", wispert er ganz leise und küsst mich auf den Scheitel.
"Versprochen", erwidere ich leise und kann nun nicht verhindern, dass sich eine heiße salzige Tränen aus meinem Augenwinkel löst und über meine Wange rollt.
"Sag Zoé und Lucie dass ich sie lieb hab", bringe ich noch schweren Herzens heraus als ich mich nun von Louis löse, Zoé noch einmal traurig zu winke und mich dann auf den Weg zur Tribüne mache.
Fast wie automatisch gehe ich zwischen den vielen Schülern vorbei, die mir alle sofort Platz machten und mich ansehen. Manche mit großen Augen, manche mit Erleichterung, dass es nicht sie getroffen hat. Und manche mit ehrlichen Mitleid.
Schnell steige ich nun auf die Tribüne und nehme die Hand, die mir der Direktor hin hält entgegen und schüttele sie höflich. Doch in mir drin herrscht immer noch das riesige Chaos der Angst...
"Geh Bitte in den Raum dort drüben", erklärt mir der Direktor lächelnd und deutet mit seinen knochigen Fingern auf eine Tür.
Ich nicke leicht und lächele kurz ein wenig, um meine Angst und Nervosität zu überspielen.
Wir lösen unsere Hände voneinander und ich gehe mit schnellen Schritten zu der Tür, dessen Türklinke ich runter drücke und den Raum betrete.

~*~

Und dieser hier ist von Hamsterlie .

Panem et circensesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt