Kapitel 1

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„Und merkt euch, das Wichtigste ist, dass ihr euren Gegner niemals aus den Augen verliert. Niemals! Behaltet außerdem immer einen kühlen Kopf, denn die Taktik ist das Entscheidende, nicht die Kraft. Denkt an den Odysseus, der aus der Höhle des schrecklichen Zyklopen Polyphem entkommen ist, nur mithilfe seines Verstandes.Wie hat er das wohl geschafft? Natürlich durch einen taktisch ausgeklügelten Plan." Genervt legte ich den Kopf in den Nacken. Schon seit einer halben Ewigkeit hielt uns unser reizender Kampfunterrichtslehrer, Mr.Brown, eine Predigt über die Genialität der taktischen Kampftechniken, die, meiner Meinung nach, nicht sooo unfassbar toll waren, wie er es immer behauptete. „Komm jetzt Charlie, wir müssen weitermachen!", drängte mich meine Freundin Lila, der ich wegen des gestrigen Tages immer noch nicht verziehen hatte. Manchmal war sie eine wirklich miese Freundin... „Also", sagte diese nun, „ich bin wieder den Angreifer und du der Verteidiger." Ohne auf eine Antwort zu warten vollführte sie eine elegante Drehung und lies ihren Fuß auf mich zu sausen. Da ich ihr nur mit halben Ohr zugehört hatte, sah ich ihre Attacke etwas zu spät... und spürte, wie ihr Fuß mein Gesicht mit voller Wucht traf. Ich verlor mein Gleichgewicht und flog auf die harte Trainings-Matte. „Uuups", sagte sie und hielt sich theatralisch die Hand vor den Mund. Angefressen rieb ich mir den pochenden Schädel. In diesem Moment kam unser reizender Kampfunterrichtslehrer vorbei und tadelte: „Mein Gott Charlie, was war das denn bitte für eine miserable Verteidigung? Ach was, welche Verteidigung? Konzentriere dich bitte auf eure Aufgabe anstatt Löcher in die Luft zu starren. Ganz dünnes Eis Charlie, ganz dünnes Eis." Was für reizende Worte. Wie reizend. Kopfschüttelnd entfernte sich Mr. Brown von uns und ging zu der nächsten Matte, auf der gerade ein Schüler beim Tritt ausgerutscht war, worauf er ein empörtes „Herrie" von sich gab. Wütend funkelte ich Lila an. „Was sollte das denn gerade?" In ihren Augen las ich Genugtuung ab, als sie sprach: „Ach, du meinst meinen Angriff? Keine Sorge, Herr Brown nimmt dir deine Unachtsamkeit bestimmt nicht so krumm, er weiß doch, dass niemand hier meinen Attacken gewachsen ist." Stolz warf sie sich die Haare in den Nacken und lächelte mich zuckersüß an. War das jetzt ihr Ernst? Ich hatte keine Ahnung, wie ich dieses eingebildete Getue interpretieren sollte, aber ich zweifelte langsam daran, dass es nur Spaß gewesen war. Vor allem war es nicht das erste Mal, dass sie etwas derartiges tat. „Hey, Charlie, das war doch nur Spaß!" Lachend hielt sie mir die Hand hin und als ich sie ergriff, zog sie mich hoch. „Geht es dir gut?"

Ich nickte. „Wirklich? Oder brauchst du etwas zum Kühlen?", hakte sie nach. „Ja, alles bestens." Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit - okay, mein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren - aber ich beschwerte mich grundsätzlich nicht über Schmerzen, weil es andere nur verunsicherte und obendrein wirkte es meines Empfinden nach eitel. Außerdem hatte ich das ungute Gefühl, dass Lila's „Spaß" gar kein Spaß gewesen war sondern einfach das, was sie in dieser Situation gedacht hatte... was irgendwie beunruhigend war. „Bist du bereit?", fragte meine Freundin nun. „Dieses Mal schon." Ich begab mich in Stellung und konzentrierte mich nur auf die Verteidigung... sie war das Wichtigste. Doch dann geschah etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte: Sie täuschte einen Tritt an, holte aus und lies ihre Faust auf mich zu sausen. Im letzten Moment wich ich dem Angriff aus, indem ich in die Hocke ging, packte ihren nun gestreckten Arm und drückte ihn mit aller Kraft weg, wodurch sie einen überraschten Laut von sich gab und auf die Trainingsmatte fiel.
„Nein, nein, nein" Verzweifelt hob Mr. Brown die Hände, „wie oft soll ich es dir denn noch sagen, Charlie, nicht selbst angreifen, nur verteidigen, wenn du angegriffen wirst!" Was hatte der denn jetzt für ein Problem. „Aber ich habe nichts falsch gemacht, ich wurde angegriffen und habe mich entsprechend verteidigt! Was wollen Sie denn von mir? Hätte ich mich schlagen lassen sollen?" Ich schnaubte, mein Schädel dröhnte. Wo war nur das Warnschild, auf dem „Vorsicht, Explosionsgefahr" stand, wenn man es brauchte? „Nein, das nicht, doch sie hätten Taktik 4.3.1 ausführen sollen." Wütend ballte ich die Fäuste: „Aber wenn man sich hinter den Gegner stellen würde, hätte dieser sich schon längst umgedreht und sich auf einen gestürzt, bevor man auch nur ,Piep'sagen könnte." „Deswegen muss man auch schneller als der Gegner sein", erwiderte Mr. Brown ungerührt. Jetzt reichte es! Endgültig! Mit hoch erhobenem Kopf stolzierte ich an meinem Kampfunterrichtslehrer vorbei aus der Trainingshalle, während alle Blicke auf mir ruhten.
Ich musste weg von hier. So weit wie möglich! Weg von Lila, weg von Herr Brown und weg von den ganzen unnützen Kampftechniken. Ungeachtet der Schüler, die gerade das Klassenzimmer wechselten und erschrocken zur Seite sprangen, stürmte ich durch den Korridor, in den ich gelangt war. Ich erreichte den ältesten Hintergang der Schule, der wahrscheinlich seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt wurde und stürmte aus dem Gebäude. Vor mir erstreckte sich ein gewaltiger Wald, genannt der 'Finsterwald'. Das Gebiet hier hatte man verwildern lassen, warum, wusste ich nicht genau. Ohne zu zögern rannte ich los. Ich kam an umgefallenen, morschen Bäumen vorbei, sprang über sperrige Wurzelgebilde, hielt nicht an oder zügelte mein Tempo, bis ich an eine kleine Lichtung gelangte. Ich blieb stehen, schwer keuchend, und sah mich um. In der Mitte der Lichtung stand eine alte Eiche, umgeben von einer Blätterschicht, die von kleinen Grashalmen durchbrochen wurde. Außerdem boten die Äste des Baumes eine hervorragende Sitzgelegenheit. Ich wusste zwar nicht wieso, aber ich wollte unbedingt auf diesen Baum klettern. Und nichts und niemand würde mich davon abhalten können. Motiviert versuchte ich den Stamm zu erklimmen, vergebens. Urplötzlich hatte ich eine Idee: Ich ging einige Schritte zurück. Dann stellte ich mich in Position und stürmte geradewegs auf den Baum zu. Ich bekam einen dünnen Ast zu fassen und zog mich mit Mühen an ihm hoch. Ich ergriff den Ast über mir, als es plötzlich unter meinen Füßen knackste und ich hilflos in der Luft baumelte. Verdammt! Verstört hangelte ich mich am Ast entlang und schaffte es - irgendwie - mich hochzustemmen, sodass ich nun wie ein nasser Waschlappen am Ast hing. Es gelang mir den Stamm zu erreichen und mich gegen ihn zu lehnen, was durchaus bequemer war, als an einem Ast abzuhängen. Ich schloss die Augen und lauschte dem Zwitschern der Vögel und das Pfeifen des Windes. Was wachte Lila wohl gerade? War sie vielleicht sauer, weil ich sie einfach alleine gelassen hatte und sie nun mit dem guten, alten Mr. Brown trainieren musste. Doch irgendwie belustigte mich der Gedanke, dass sie zusammen mit Mr. Brown trainierte, der wahrscheinlichüber ihre miserablen Tritte und Schläge herzog, als wären sie das Allerletzte... gleich nach Spinnen. Unser reizender Kampfunterrichtslehrer hatte nämlich eine sehr ausgeprägte Spinnenphobie. Einmal hatte sichein harmloser Weberknecht in unserer Trainingshalle eingenistet, worauf Mister Brown einen halben Anfall und sich geweigert hatte uns zu unterrichten, wodurch wir zwei Freistunden bekommen hatten. Bei der Erinnerung an diese Geschichte musste ich grinsen. Um genau zu sein musste ich sogar ziemlich laut lachen. Plötzlich hörte ich ein Knacken, gefolgt von einem Fluchen, das - wäre es in Misses Clarkes Klassenzimmer ausgestoßen wurden - der gesamten Klasse ein paar extra Stunden beschert hätte. Was war denn jetzt hier los? Konnte man denn noch nicht mal ein paar Minuten auf einem Ast abhängen - vor ein paar Minuten wortwörtlich? Momentmal! Wer war das eigentlich? Und was hatte dieser Jemand hier zu suchen?

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Und cut! Wir hoffen euch hat das Kapitel gefallen und bitte nehmt es dem cut nicht übel, er ist nicht böse....nur ein bisschen gemein;)
Liebe Grüße, Janina und Anne :)

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