Kapitel 3

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"Aha", meinte Gray nur, als ich geendet hatte. "Wie, 'Aha'?" War das jetzt sein Ernst? Ich verriet ihm, als Fremdem, sehr vertrauliche Informationen, die Unbekannte eigentlich nichts angingen und sein einzigster Kommentar ist 'Aha'? Was für ein Schwachkopf! "Das ist ja alles wirklich seehr spannend und so", ergänzte der Schwachkopf sich, "aber woher kommst du eigentlich und warum bist du überhaupt hier, wenn ich fragen darf? Und warum habe ich dich noch nie zuvor gesehen?" "Das gleiche könnte ich dich fragen", erwiderte ich und und versuchte die plötzlich in mir aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Dass mir schlecht war, war gar kein gutes Zeichen. Anscheinend hatte ich mir entweder mindestens eine Rippe gebrochen oder eine wirklich heftige Gehirnerschütterung zugezogen. Beides klang nicht gerade einladend, aber ich durfte mir auf gar keinen Fall anmerken lassen, wie schlecht mir war. Doch dafür war es anscheinend schon zu spät: "Da du ja meine Hilfe brauchst, musst leider du mir verraten, wo du wohnst." Warum war ich eigentlich eine so miserable Schauspielerin, wenn es um das Vertuschen von Dingen ging? Aber vielleicht konnte ich ihn doch noch mit Worten von meiner Ausrede überzeugen: "Also erstens muss ich gar nichts und zweitens geht es mir gut. Wirklich! Jetzt schau nicht so blöd, ich hab mir nur den Knöchel verdreht, weiter nichts." "So siehst du auch aus", gab Gray unbeeindruckt zurück, "lässt du mich nun dir helfen oder willst du dein Ego behalten und hier verrotten? Zugegeben hätte ich gar kein Problem damit, dich einfach hier liegen zu lassen. Du müsstest dir wegen des Verrottens auch keine Sorgen machen, höchstwahrscheinlich fände dich davor ein hungriges Rudel Wölfe und, wer weiß, vielleicht würden sie dich wegen deiner Dickköpfigkeit zum Alpha-Wolf, weil du das alte oberhaupt durch deine bissigen Worte längst in die Flucht geschlagen hättest. Du hast also die Wahl: Soll ich mich deiner erbarmen und dir helfen oder nicht? Du weißt, dass du Hilfe bitter nötig hast." Verdammt, er hatte Recht, ich brauchte tatsächlich seine Hilfe, wenn ich früh genug zurück sein wollte um eine mögliche Esklation aufgrund meiner Abwesenheit zu verhindern. Obwohl sich jede Zelle meines Körpers dagegen sträubte, nahm ich seine Hilfe an. Ich versuchte aufzustehen, scheiterte aber kläglich. "Warte, ich helfe dir." Gray hielt mir seine Hand hin, die ich geflissentlich ignorierte, worauf er genervt die Augen verdrehte, mich am Arm packte und hochzog. Nun stand ich ganz nah bei ihm, spürte seinen Atem auf meiner Wange und seine Wärme, die von seinem Körper und seiner Hand, die mich noch immer meinen Arm festhielt, ausging. Warte... was?! Ich schüttelte seine Hand ab, schuf Abstand zwischen uns, indem ich einen qualvollen Schritt zurück ging und fauchte: "Ich hätte das auch alleine geschafft!" "Nichts zu danken", sagte er und ein Lächeln zeichnete sich in seinem Gesicht ab. "Warum grinst du schon wieder so blöd, zeig mir lieber den Rückweg!" Er fuchtelte mit der Hand in eine Richtung und ich, mehr oder weniger bereit den Heimweg anzutreten, machte ein paar erste Schritte. Meinen Körper durchzuckte bei jedem Schritt ein stechender Schmerz, der sich auf den Bereich meiner Rippen konzentrierte, worauf ich mich krümmte. "Alles okay?", fragte Gray besorgt und eilte zu mir, um mich zu stützen. Eigentlich wollte ich ihm sagen, dass ich auch sehr gut alleine laufen könne und er wieder verschwinden solle, sah aber ein, dass dies nicht der Fall war und hielt lieber den Mund. Doch irgendwie hatte ich das Gefühl in die falsche Richtung zu laufen. "Bist du dir sicher, dass das hier der richtige Weg ist? Ich glaube..." "Sehe ich etwa so aus, als würde ich vergessen, woher ich gekommen bin und mich wie Hänsel und Gretel im Wald verirren?", fiel er mir ins Wort. Ich merkte jetzt schon: Das würde ein sehr langer Rückweg werden...

"Wie weit müssen wir denn noch laufen?", stöhnte ich erschöpft und verlangsamte mein Tempo. "Nicht schlapp machen, wir sind bald da", trieb Gray mich weiter an und schob mich vorwärts. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie lange wir schon unterwegs waren, hatte aber immer noch das ungute Gefühl diesen Teil des Waldes zum ersten Mal zu sehen. "Und du bist dir auch wirklich sicher, dass wir den richtigen Weg genommen haben", hakte ich nach "Ja klar", versicherte er mir. Doch irgendwie konnte das nicht stimmen:"Wirklich?" "Wirklich! Was denkst du denn, wolang wir hätten gehen sollen, das hier ist doch der Weg zu den Arx" "Ja...bitte, was?"

Einen Moment lang sah ich ihn resigniert an, dann begriff ich: Gray war
kein Freund, nein, er war ein Arx. Gray war ein Verräter. Er war ein
Feind. Mein Feind. Fast reflexartig schoss mein Bein nach oben, direkt
auf ihn zu, so, wie ich es jahrelang gelernt und geübt hatte. Ich
versuchte den Schmerz zu ignorieren, der meinen Körper bei dem Angriff
durchzuckte, und konzentrierte mich stattdessen nur auf meinen Gegner.
Doch zu meiner Überraschung packte dieser im Bruchteil einer Sekunde
mein Bein und drehte es in einer Bewegung um, sodass ich einen halben
Überschlag machte und in einer sehr ungünstigen Position auf dem Boden
landete. Der Schmerz versuchte mich zu überwältigen, mein Schädel
dröhnte, um mich herum tanzten Sterne und mir war speiübel. „Ganz ruhig,
ja, ganz ruhig", versuchte Gray mich zu beruhigen, wie ein wildes Tier,
dass gebändigt werden musste. Aber das konnte er versuchen, bis er alt
und grau war. Mir fiel zuerst nichts ein, was mir aus dieser
missbilligen Lage herausholen konnte, doch auf einmal kam mir ein
Gedanke. Jetzt musste ich voll und ganz Mr. Brown's Rat vertrauen. Es
lag an ihm, wie das hier ausgehen würde. Und ich hoffte, er würde Recht
behalten und ich war nur eine stursinnige Schülerin, die alles und jeden
in Frage stellte. Ungeschickt entknotete ich meine Gliedmaßen, rollte
mich über den Boden und versuchte hinter meinen Feind zu gelangen, indem
ich schneller zu handeln probierte als er, doch dieser hatte sich schon
längst zu mir umgedreht und sah mich irritiert an. Verdammt, ich hatte
doch Recht gehabt, Taktik 4.3.1 anzuwenden war das Irrsinnigste, was man
überhaupt in einem Kampf tun konnte. Und Mr. Brown, so eingebildet wie
er war, hatte mir dies nicht geglaubt sondern auf die kranken Erfinder
dieser Taktiken vertraut und mich in diesen Schlamassel gebracht. Diesen
Kampf konnteich unmöglich noch gewinnen, aber ich konnte es wenigstens
versuchen. „Verräter!", zischte ich Gray mit zusammengebissenen Zähnen
zu und stürzte mich blindlings auf ihn. Es war sinnlos, das wusste ich,
doch ich würde nicht aufgeben. Ich würde kämpfen. Er gab einen
überraschten Laut von sich, anscheinend hatte er dieses taktlose, für
Agmen verhöhnte Angreifen nicht erwartet, ergriff jedoch schnell meine
Arme und stieß mich von sich, sodass ich ein paar Meter über den Boden
schlitterte und gegen einen Baum prallte. Die Wucht des Aufpralls
übermannte mich, mir wurde schwindlig, die ganze Welt schien sich zu
drehen. Verzerrt sah ich noch Gray auf mich zukommen und etwas
unverständliches rufen, bevor alles schwarz wurde und ich das
Bewusstsein verlor.







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