01 | Feels so empty

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One more time is one too many for me. Bark bye bye your words ain't sinking in me. Cut the crime, you're not a rebel baby. This isn't love.

Durch den Ton meines Weckers wache ich auf und drücke, wie gewohnt, die Schlummertaste. Mit offenen Augen lasse ich mich wieder in mein Bett fallen und begutachte die Zimmerdecke. Heute ist Donnerstag, der 18. Februar. Nachdem ich zwei weitere male die Schlummertaste betätigt habe, stehe ich schließlich auf und schleppe mich in das Badezimmer. Ich sehe bei weitem nicht mehr so zerstört aus wie noch vor einem Monat. Meine Augen haben den gewohnten Glanz wieder, die Augenringe unter meinen Augen sind weitestgehend verschwunden. Auch dusche ich wieder alle zwei Tage, weswegen meine Haare nicht mehr so fettig sind. Meinen Bart rasiere ich mir auch alle paar Tage ab, das einzige, das geblieben ist, sind die Schmerzen in meinem Bein. Deswegen nehme ich auch noch die Tropfen, habe mir mittlerweile auch neue geben lassen. Wenn ich diese auch wirklich morgens, mittags, abends zu mir nehme, habe ich auch keinerlei Beschwerden. Durch Tims Erwachen habe ich wieder Hoffnung geschöpft. Hoffnung, dass wir wieder richtige Freunde werden könnten. Hoffnung, dass er sich wieder an mich erinnern würde. Hoffnung, dass er wieder leben würde, mit jeder kleinen Facette des Lebens. Leben mit der Liebe, der Hoffnung, dem Glück... Durch Tims Erwachen habe ich es geschafft, wieder einen geregelten Alltag zu bekommen. Durch Tims Erwachen stehe ich jeden Tag um acht Uhr morgens auf, frühstücke, dusche... Wenn ich einkaufen muss, dann kaufe ich morgens auch ein. Um zwölf Uhr mache ich mich, wie immer, auf den Weg zu Tim ins Krankenhaus. Wie gewohnt gehe ich die Treppe rechts neben der Rezeption die entlang und biege in die Intensivstation ein. Vor Zimmer 317 mache ich halt, atme einmal tief durch und betrete das Zimmer. „Guten Morgen Tim, wie geht es dir heute?" „Hallo, Stegi. Ganz gut, denke ich.", antwortet er, sein Blick geht stur aus dem Fenster. Ich ziehe mir die Jacke aus und hänge sie an den Kleiderhaken. Danach gehe ich zu Tim. „Wie lange sitzt du schon hier?" „Seit der kleine Zeiger zwischen der zehn und der elf ist." „Tim, das sind mittlerweile knapp zwei Stunden. Was ist da draußen denn so interessant?", frage ich ihn verdutzt und ziehe mir dabei einen Stuhl heran, damit ich mich neben Tim niederlassen kann. „Alles" „Könntest du Alles bitte erläutern?" Zwischen uns entsteht eine erdrückende Stille. „Stegi, weißt du... Es ist so komisch. Ich bin 21 Jahre alt und kann nicht gehen. Jeder Mensch kann gehen, nur ich nicht. Ich kann ja auch die Uhr nicht lesen. Ach, was sage ich; lesen, schreiben, rechnen kann ich alles nicht. Nichts kann ich. Ich kann ja nicht einmal selbst auf die Toilette gehen, dafür muss ich eine Krankenschwester rufen. Kannst du dir vorstellen, wie beschämend das ist? Weder erinnere ich mich an irgendetwas, noch kann ich etwas. Stegi, ich fühle mich einfach wie eine Last. Wäre ich nicht zu dumm zum Autofahren gewesen...", er macht eine Pause. Sein Seufzer lenkt meine visuelle Konzentration ebenfalls auf ihn, stumm laufen ihm die Tränen herunter. „Du kannst nicht leugnen, dass ich dir damit so viel erleichtert hätte", fährt er fort. „Man sieht dir doch an, dass es dir mittlerweile besser geht. Meinen Eltern scheine ich nicht wirklich wichtig zu sein, zumindest besuchen sie mich nie. Stegi, du bist doch eigentlich der einzige Grund, weswegen ich am Leben bin. Du hast mir so unglaublich viel Kraft gegeben, indem du jeden Tag an meinem Bett gesessen und mit mir geredet hast... Wenn du nicht mehr kommen würdest... Ich weiß nicht, ob ich das aushalten würde. Wenn du mir auf einmal aus dem Leben gerissen wirst, dann habe ich doch nichts mehr. Niemanden, dem ich noch wichtig wäre; dem ich etwas bedeute. Ich kann mich immer noch nicht an dich erinnern, aber etwas in mir sagt, dass ich dir vertrauen kann. Etwas sagt mir, dass du die letzte Person bist, gegenüber der ich misstrauisch sein sollte. Ich weiß nicht, wie viel du mir damals bedeutet hast, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass du mir immer noch genau so viel Wert bist, wenn nicht sogar noch mehr... Bitte, Stegi, verlass mich nicht. Nie." Tim dreht sich mühevoll zu mir um und sieht mich aus traurigen Augen an, über seine Wangen strömen die Tränen. „Es ist einfach so... Jeder Mensch ist frei. Ob er es weiß oder nicht ist etwas anderes. Aber jeder Mensch ist dazu in der Lage, sich frei zu bewegen. Sie sind nicht abhängig von irgendetwas. Nicht so, wie ich an das Bett gebunden bin. Die Menschen wünschen sich die Freiheit, dabei sind sie doch schon frei. Wieso schätzen sie ihre Freiheit nicht? Wieso ist es für sie eine Selbstverständlichkeit während ich hier im Krankenhaus liege, sie den ganzen Tag beobachte und mich an ihre Stelle wünsche. Sie dürfen alles machen, und ich so ziemlich gar nichts. Aber das beste an ihrer Freiheit ist die Beweglichkeit. Sie können ihre Beine sinnvoll nutzen ohne auf den Boden zu fallen. Sie können sich mit Freunden treffen, wann sie wollen. Sie können auch einfach an das Ende der Welt reisen; und was kann ich? Ich kann von dem Bett zum Fenster gehen und eben diese Menschen beobachten. Ich kriege ja nicht einmal die Strecke zur Toilette hin... Stegi, was kann ich denn überhaupt? Was will mir das Leben damit sagen? Wieso musste der Autofahrer in mein Auto fahren, wieso hätte ich nicht schon weg sein können?" Ich bin sprachlos. Seit Tim wieder wach war, hat er mit mir noch nie so viele Worte gewechselt. Jetzt weiß ich endlich, was immer in Tim vorging während er aus dem Fenster geguckt hat. Jetzt weiß ich endlich, wie ich Tim helfen kann. Jetzt weiß ich endlich, wie ich Tim dazu bringe, sich lebendig zu fühlen. Doch zunächst nehme ich ihn einfach in den Arm und streiche seinen Rücken auf und ab. Das ist im Moment das beste, was ich machen kann.

„Hör zu, Tim. Ich frage jetzt eine der Krankenschwestern, ob wir rausgehen können, ja? Wartest du so lange auf mich?" Während er sich die Tränen aus seinem Gesicht wischt nickt er und so suche ich die nächste Krankenschwester auf. „Entschuldigen sie, könnte ich für den Patienten in Raum 317 bitte einen Rollstuhl bekommen?" „Was haben Sie denn vor mit Tim?" „Ich möchte mit ihm raus an die frische Luft. Er ist so traurig, weil jeder Mensch die Freiheit hat, sein zu können, wo er sein will. Da möchte ich ihm das Gefühl geben, dass er das auch kann." „Das ist sehr zuvorkommend von Ihnen. Gehen Sie schon einmal vor, ich bringe Ihnen den Rollstuhl gleich vorbei." „Vielen Dank." So drehe ich mich wieder um und warte zusammen mit Tim auf die Krankenschwester.

„Was machen wir denn jetzt?", fragt Tim und beäugt den Rollstuhl. „Wir gehen jetzt an die frische Luft. Aber setz dich erst einmal." Er steht vorsichtig aus dem Stuhl auf und greift sofort nach den Lehnen des Rollstuhls, um auf ihnen den nötigen Halt zu finden, damit er sich drehen kann. „Merkst du, dass du einen Fortschritt gemacht hast? Du hast dich gerade ohne meine Hilfe in den Rollstuhl gesetzt. Das ist der Schritt zu Freiheit.", grinse ich ihn an. „Ja... Danke, Stegi." „Kann es losgehen?" Er nickt.


Zum zweiten mal geboren [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt