„Sie müssen sich das Gedächtnis vorstellen wie ein System, das nur aus Fäden besteht. Jeder Faden verbindet ihr Gehirn, den Sie sich bitte als Nagel vorstellen, mit einer Erinnerung, die auch ein Nagel ist. Die Fäden sind allerdings nicht sehr stabil. Je öfter sie die Erinnerung aufrufen, umso fester wird der Faden und kann schließlich von einem Wollfaden, den sie leicht mit einer Schere durchtrennen können, zu einem mehrmals ineinander verknoteten Wollfaden werden. Man kann diesen zwar immer noch durchtrennen, allerdings benötigt man dafür mehr Zeit. Wenn jetzt also jemand, zum Beispiel Tim, für längere Zeit auf keine einzige Erinnerung zugreift, so werden die Fäden zerstört. Die Erinnerung ist noch da, er kann sie nur nicht mehr aufrufen. Trainiert man aber mit Tim, so können die Fäden wiederhergestellt werden und einige Erinnerungen können wieder am Faden sein. Sie zum Beispiel, welches Fach war ihr liebstes in der Schule?" „Biologie" „Und welches Fach mochten sie gar nicht?" „Deutsch" „Dann sagen Sie mir doch bitte, wer große Vertreter der Aufklärung waren und wann diese Epoche war." „Ähm... Vielleicht das 20. Jahrhundert?" „Und wer hat die Aufklärung vertreten?" „Ja, ich versteh schon. Ich habe keine Ahnung davon." „Gut. Sie können mir aber mit Sicherheit sagen, wie die DNA-Replikation funktioniert." Ich setze zu einer Antwort an. „Sie brauchen es mir jetzt nicht erklären, aber Sie könnten es. Nehme ich richtig an?" Ich nicke. „Genau. Mit den Epochen haben sie nicht so viel Zeit verbracht wie mit dem menschlichen Körper, deswegen können Sie sich dabei auch dementsprechend erinnern. Das ist zurückzuführen auf die Fäden in Ihrem Gedächtnis." „Also müsste ich rein theoretisch mit Tim zu Personen oder Orten gehen, die eine Erinnerung in ihm heraufrufen können und er erinnert sich langsam?" Er nickt lächelnd. „Aber bitte übertreiben Sie es nicht. Sich verzweifelt daran zu erinnern bringt einem genau so viel, wie gar nichts zu tun. Lassen Sie die Erinnerungen auf Sie zu kommen." „Wäre es denn möglich noch einmal mit Tim herauszugehen?" „Ich gebe Ihnen diesbezüglich in ein paar Tagen Bescheid. Jetzt muss er sich ausruhen, also würde ich Sie auch darum bitten sich von ihm zu verabschieden und morgen wiederzukommen." „Gut, mache ich. Danke, Dr. Buchmeier!" Er verabschiedet sich von mir und verschwindet hinter der nächsten Ecke. Es gibt also noch Hoffnung. Glücklich gehe ich in Tims Krankenzimmer, welcher mich gar nicht bemerkt. Er sitzt schon wieder auf dem Stuhl am Fenster. „Tim, es gibt gute Neuigkeiten! Wir können zusammen schaffen, dass du dich erinnerst!" Er nickt mich abwesend an. „Ich weiß." „Ist alles in Ordnung?" Er nickt erneut. „Der Arzt meinte aber auch, dass du dich ausruhen solltest. Also muss ich mich leider schon etwas früher verabschieden, aber ich komme morgen wieder. Bis dann!" Ich wuschle ihm einmal durch die Haare und verlasse gut gelaunt das Krankenhaus. Es gibt die Möglichkeit, dass er sich erinnert! Das ist so unglaublich.
„Guten Morgen.", grüßt mich eine Krankenschwester als ich in die Intensivstation eintrete. „Morgen", antworte ich lächelnd. „Ich nehme an Sie wollen zu Tim?" Ich nicke und gehe den Gang entlang um schnellstmöglich bei ihm zu sein. „Das geht leider nicht." Ich bleibe stehen, lege meine Stirn in Falten und sehe sie verwirrt an. „Wieso geht das nicht? Es ging doch die ganze Zeit..." „Ja, aber Tim hatte die Nacht einen kleinen Zusammenbruch. Seine Werte sind zwar alle im grünen Bereich, aber er hat mich darum gebeten, keinen Besuch zu ihm zu lassen, da er alleine sein möchte." Ihre Worte sind wie Messer für mein Herz. Tim möchte alleine sein. Er möchte nicht, dass ich ihn besuche. Er möchte mich nicht sehen. Wieso? Er sagt doch selbst, dass er mich braucht. Weshalb lehnt er nun also ab? Das macht einfach keinen Sinn für mich. „Ja... Danke. Richten Sie einen Gruß aus?" „Klar, kann ich machen." „Gut, danke." Mit diesen Worten drehe ich um und verlasse das Krankenhaus. Allerdings gehe ich nicht nach Hause. Ich gehe in den Kaiser-Wilhelm-Park. Ich gehe die gleiche Strecke, wie ich mit Tim auch gegangen bin und mache bei dem Teich Halt. Verwirrt setze ich mich auf den Rasen und begutachte diesen nachdenklich.
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Zum zweiten mal geboren [Stexpert]
FanfictionDies ist meine Fortsetzung zu "[Stexpert] - Wenn ich bald aufgebe, sei nicht sauer, ja?" Viele haben sich gewünscht, dass ich wieder schreibe und diese Wünsche, teilweise auch Bitten, haben mich sehr motiviert. Deswegen habe ich mir noch einmal die...