Kapitel 1 - Amber

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„Das macht dann 18,50, Sir.“

Ich reichte dem Trucker mit dem Bierbauch und der grünen Kappe die kleine Ledermappe, in die man das zu bezahlende Geld reinsteckte und verließ den Tisch.

Ich lehnte mich an die Theke und tippte mit dem Zeigefinger den Takt zur vor sich hindudelnden Musik. Nora wischte mit einem feuchten Tuch über die Tische, sah kurz auf und starrte mich an, dann widmete sie sich wieder dem Putzen. Eine Strähne ihres rabenschwarzen Haares fiel dabei in ihr Gesicht, aber das schien sie nicht zu stören.

„Darf es noch ein Glas Limonade sein?“ fragte ich die ältere Dame, die an der Theke einen Brief schrieb.

„Danke, Schätzchen.“ Sagte sie mit einem freundlichen Lächeln. Lachfältchen bildeten sich um ihre blauen Augen. Sie strich sich ihre schneeweiße Locke aus dem Gesicht und widmete sich wieder dem Brief. Als sie den Stift wieder in die Hand nahm entdeckte ich einen auffälligen, goldenen Ring. Muss sehr teuer gewesen sein. Ich könnte mir sowas für eine sehr lange Zeit nicht leisten, obwohl ich so hart schuftete.

Ich holte die Kanne mit der eiskalten Limonade und füllte sie in ihr Glas. Die Eiswürfel darin klirrten gegen das Glas. Das Kondenswasser an meinen Händen wischte ich an meiner dreckigen Schürze ab, dann nahm ich eine Haarnadel aus meiner hochgesteckten Frisur, flechtete eine Strähne nochmal neu und steckte sie wieder fest. Ich achtete zwar nicht auf mein Outfit, aber die Haare sollten schon präsentabel aussehen. 

Der Trucker stand auf und verlies ohne ein Wort das Restaurant.

Ich lief rüber zu seinem Tisch, wischte drüber, um Nora die Arbeit zu ersparen und öffnete das Mäppchen.

20 Dollar? Das konnte nicht sein Ernst sein. Ich war heute zwar nicht in bester Laune, aber das war definitiv zu wenig. Sally’s Diner bezahlte nicht gerade gut aber irgendwie musste ich ja meine Wohnung bezahlen. Außerdem standen Nora und ich in permanenter Konkurrenz um die Kunden und sie war eingeschnappt, dass ich nun zwei Kunden gleichzeitig bediente, aber mir war das Geld im Moment wichtiger. Ellenbogengesellschaft wie es so schön heißt.

Ich kam aus Seattle her um komplett neu anzufangen und meine Träume zu verwirklichen, doch das ist ganz und gar nicht so einfach wie man sich das zunächst vorstellt.

Meine kleine Einzimmer Wohnung reichte zum Leben und Mister Fellon, mein Vermieter, war flexibel und verständnisvoll, wenn ich mal die Miete nicht pünktlich zahlen konnte.

Ich setzte mich zur alten Dame, weil sonst keiner da war, außer Nora die immer noch den selben Tisch putzte.

„An wen schreiben Sie denn wenn ich fragen darf?“

Sie hielt inne und legte den Stift beiseite.

„An meinen Sohn, Schätzchen. Er ist in der Army weißt du? Schreckliche Zeiten und er mitten drin, solche Sorgen hält mein Herz nicht aus, deshalb schreibe ich ihm jeden Tag und jeden Tag kommt ein Brief von ihm an. Seine Frau macht sich auch schreckliche Sorgen, aber sie versucht stark zu bleiben.“

„Bewundernswerte Frauen. Sie und ihre Schwiegertochter. Und ihr Sohn ist ebenfalls bewundernswert unserem Land so zu dienen.“

„Man ist unglaublich stolz, versteh mich nicht falsch, Schatz. Man muss nur lernen das, was man liebt gehen zu lassen, das ist der harte Part. Du wirst das auch noch erfahren, aber so jung wie du bist hat das noch Zeit.“

„Glauben Sie mir, ich wünschte ich hätte sowas noch nicht durchmachen müssen.“ Sagte ich mit einem schwachen lächeln. Sie legte ihre Hand auf meine und sagte mit ihrer warmen Stimme „Wir haben alle unser Kreuz zu tragen.“  und widmete sich wieder ihrem Brief.

Ich sah zu Nora und erwischte sie, wie sie unser Gespräch die ganze Zeit belauschte. Sie schaute schnell wieder auf ihren Tisch, nahm ihren Lappen und lief zum nächsten Tisch.

Ich lief in die Küche und stellte die Limonade wieder weg, als ich plötzlich ein Klingeln hörte. Das Klingeln kam von der kleinen Glocke, die an unserer Tür befestigt war. Ein neuer Kunde.

Nora würde sich ihn wohl warscheinlich ohne zu zögern schnappen, also machte ich erst keine Anstalten raus zu gehen. Ich war viel zu müde. Um 5 im Diner stehen, Hash Browns, Pancakes, Speck und Rührei für die Trucker zuzubereiten schlaucht einen extrem. Dementsprechend riecht man auch nach Öl und Speck. Es braucht eine Weile diesen Gestank aus den Haaren zu bekommen.

„Amber? Komm!“ rief Nora.

„Wie wäre es mit ‚bitte?‘“

aber sie antwortete nicht und ich tapste aus der Küche.

Nora lehnte sich an einen Tisch, hielt einen Brief in ihren Händen und wedelte damit rum.

„Bin ich jetzt auch noch dein Postbote? Der Boden muss noch gewischt werden.“ Sagte sie genervt, ließ den Brief auf den Tisch fallen, lief hinter die Theke und stützte sich mit einer Hand am Türrahmen zur Küche ab.

Mein Herz klopfte so laut, ich hatte das Gefühl, dass die Dame mit ihrer Limo es hören konnte.

Ich hatte einen Klos in meinem Hals und es fiel mir schwer zu atmen.

Vorsichtig öffnete ich den Briefumschlag und nahm den Brief heraus.

„Ein Brief von ihrem Verehrer?“ fragte die alte Frau lächelnd.

Nora schnaubte durch die Nase, schüttelte mit dem Kopf und zuckte mit den Achseln.

„Weiß ich nicht, interessiert mich nicht.“ Daraufhin schnappte sie sich ein Glas und polierte es mit einem Lappen, schielte aber doch immer wieder neugierig zu mir hin.

„Und Schätzchen? Was ist es?“ fragte die alte Frau aufgeregt.

Meine Knie wurden weich. Was es war? Alles, wofür ich die Monate hier gearbeitet hatte, alles wofür ich gekämpft hatte. Das alles steckte in diesem Stück Papier. Ein Stipendium am Art Institute Los Angeles. All die Nächte lang pauken in meinem kleinen Appartment, all die Mieten die ich erst später bezahlen konnte, weil das Kaufen von Lehrbücher Priorität hatte. Das Bangen, ob ich die Kriterien erfüllte, um überhaupt für ein Stipendium in Frage zu kommen, all das hatte sich nun ausgezahlt. Ich konnte nun endlich Gesang und Songwriting studieren. Meine Erlebnisse, Erinnerungen, Hoffnungen,Gefühle und Träume in Texten auszudrücken war schon immer ein großer Traum von mir und nun konnte ich meine Fähigkeiten am College erweitern. Ich habe immer ein kleines Notizbuch in meiner Hosentasche und zücke sofort Stift und Block wenn mir eine zündende Idee für eine Zeile oder eine Bridge kommt. Noch viel mehr würde es mir bedeuten, wenn ich anderen Menschen mit meinen Songs helfen könnte. Und von den großen Meistern am Institute zu lernen ist eine Ehre, die nicht jedem zuteil wird. Seit einiger Zeit habe ich jedoch eine Schreibblockade. Ich sitze dann stundenlang auf meinem ausklappbaren Sofa und grüble mit dem Stift im Mund. Mal ersetze ich den Stift durch eine Zigarette, setz mich ans Fensterbrett und beobachte das Nachtleben von Los Angeles. Doch es will einfach keine neue Idee kommen, vielleicht würde der große Schritt ans Institut mir mehr Motivation und Inspiration liefern. Hoffen wir’s.

„Ich... hab ein Stipendium.“ Stammelte ich.

Nora sah mich missbilligend an, weil sie sich schon zum dritten Mal bei ihrer Traumuni bewarb und immer noch im Diner schuften musste, weil sie ständig abgelehnt wurde.

Ich war außer mir. Freudentränen stiegen mir in die Augen.

„Ich habs geschafft.“ Flüsterte ich.

„Dann mach was draus, Mädchen! Du kannst es damit weit bringen!“ rief die alte Frau und lächelte mir enthusiastisch zu.

Ich nickte hektisch und strahlte Nora an, die gemächlich ihr Kaugummi kaute und notgedrungen ein „Herzlichen Glückwunsch“ herausbrachte.

Ich wusste gar nicht was ich als nächstes machen sollte. Meine Familie konnte ich nicht anrufen, Freunde hatte ich keine. Also schnappte ich mir den Mop und verrichtete den Rest meiner Schicht mit einem triumphierenden Lächeln.

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