Es brauchte nicht mehr als diesen einen aufrichtigen Satz um dem, im Fetzen ähnlichen, nassen, weißen Gewand, am Boden kauerndem Mädchen wieder ein Stück ihrer selbst einzuhauchen. Der Optimismus, die kindliche Unschuld und Fröhlichkeit, die Denis vom ersten Tag kannte, aber für kurze Zeit für verloren glaubte, kehrte in Form eines breiten Lächelns zurück. Trotz der eigentlich bitteren Worte, die folgen würden, strahlten ihre Augen und die deprimierende, verregnete Szenerie erschien plötzlich, wie durch einen Filter des Glücks betrachtet.
"Natürlich hast du Angst. Vor wenigen Tagen kannte ich dich noch nicht. Wir sind auf einer verdammten Treppe in einem Wald, welche dem Anschein nach kein Ende hat. Scheiße noch mal ich würd mir Sorgen machen, wenn wir keine Angst hätten, weil das bedeuten würde, dass wir keine Menschen sind, sondern sonst was für Kreaturen. Das oder totale Soziopathen." Keuchend, da sie während des Satzes kein einziges Mal Luft nahm, machte Emily eine Pause, bis sie die Kraft gesammelt hatte, um aufzustehen und die Stufen zu Denis herauf zu hüpfen. "Und schau uns an. Meine Güte du bist 60 und schaust aus, als ob du irgendein Voodoo Mittel entdeckt hättest oder irgendwelche Ziegen oder Jungfrauen geschlachtet und in ihrem Blut gebadet hättest und Mitte dreißig wärst. Also wenn das kein creepy Benjamin-Button-Scheiß ist, dann weiß ich auch nicht!" Selbst Denis musste spätestens ab dem letzten Teil von Emilys Rede schmunzeln. Ihm war bewusst, dass sie nichts davon als wirklichen Scherz meinte, doch es ging einfach nicht anders, denn beim erneuten Erklären der Situation wurde ihm erst die extreme Absurdität des Ganzen klar.
Währendessen griff sich Emily in die nassen Haare und obwohl sie dank ihrer großen Augen und dem niedlichen Gesicht noch immer etwas Engelsgleiches hatte, hätte man sich bei dem schmutzigen weißen Gewand und dem wirren Blick, der sich in genau diesen schönen Augen spiegelte, auch vorstellen können, dass sie gerade aus einer geschlossenen Anstalt entlaufen sei. "Und die da! Denis ich schwöre dir, als ich hier aufgewacht bin, noch bevor wir uns getroffen haben, da waren die noch nicht da!" Ihre Hände waren noch immer in den nassen, blonden Strähnen vergraben, von denen die meisten ihr im Gesicht klebten und welche außer der Farbe nicht mehr wirklich viel Ähnlichkeit mit dem Kurzhaarschnitt vor noch wenigen Tagen hatten. "Das war alles kahl! Nichts war da drauf! Es sind seitdem vielleicht vier Tage vergangen, noch nicht einmal! Was soll das!?"
Emily wurde von einer plötzlichen Bewegung von Denis unterbrochen. Er legte die Arme um sie und drückte sie an sich. In diesem Moment hätte sie sogar eher damit gerechnet, dass sich Denis spontan dafür entscheidet, aus vollem Halse singend, in den Wald zu laufen, so ziemlich alles wäre ihr wahrscheinlicher vorgekommen als eine Umarmung. Kurz musste sie sich noch überlegen, ob es ihr eher unangenehm war oder sie sich im Griff eines anderen Menschen wohlfühlte, nachdem sie solche Nähe so lang nicht mehr zu spüren bekam. Ein wenig unbequem erschien ihr die Position zwar schon, da Denis auch ohne den Vorsprung einer Stufe bereits zwei Köpfe größer war und sie, trotz seiner Bemühung sich hinunter zu bücken, dazu gezwungen war sich auf die Zehenspitzen zu stellen, aber im Großen und Ganzen war sie ihm dankbar. Es erschien ihr erstaunlich, dass jemand den sie nur so kurz kannte, sie so gut einschätzen konnte. In gewisser Weise gab er ihr in dem Moment genau dass, was sie brauchte, ohne dass sie diese Sache im Vorhinein selbst hätte benennen können.
Langsam löste er den Griff und gab ihr lächelnd mit einer Kopfbewegung ein Zeichen in Richtung Weg. Man spürte keine Regentropfen mehr, sondern nur noch die Sonnenstrahlen im Gesicht, die von den Pfützen auf dem Marmor reflektiert wurden.
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Stairway to Heaven
FantasyZwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, treffen sich auf einer endlos scheinenden Treppe im Wald. Keiner der beiden weiß, wie sie an diesen Ort gekommen sind und wohin sie sollen, doch der Weg zu der letzten Stufe bringt Antworten u...