Denis hätte wohlmöglich noch einige Stunden weiterschlafen können, doch die dicken Regentropfen, die ihm ins Gesicht fielen, rissen ihn frühzeitig aus seiner Traumwelt. Er richtete sich auf und wischte sich sein nasses Gesicht ab. Wenige Stufen unter ihm hockte Emily, welche jedoch schon länger wach zu sein schien. Obwohl sie mit dem Rücken zu Denis saß und sein Aufsetzten, wegen des lauten Regens, kaum hörbar war, bemerkte sie ihn. Lächelnd blickte sie über die Schulter.
"Guten Morgen Denis.". Emilys blonde Haare klebten ihr im Gesicht, jedoch machte sie sich nicht die Mühe, diese weg zu streifen. Denis dachte an den Abend, an dem er sie vor dem Schlafengehen nach ihrem Namen fragte. Emilys Anblick ähnelte dem vor zwei Tagen, aber irgendwie war er doch so anders. Die Bewegung war dieselbe und auch wenn die Person dieselbe war, ihr Lächeln war es nicht und der Regen gab der Situation ebenfalls eine ganz andere Atmosphäre. "Guten Morgen Emily", Denis blieb sitzen und eine Weile sagte keiner von ihnen was. "Wegen gestern...Es tut mir echt leid. Ich hab echt keinen Plan, was da mit mir los war". Sie schaut zu Boden und nur wenige Mal nahm sie den Mut zusammen, Denis Blick zu erwidern. Es wurde wieder still. Denis wollte zwar die Typischen "Du musst dich nicht entschuldigen" Phrasen bringen, doch Emilys angestrengt nachdenkendes Gesicht, vermittelte ihm, dass sie noch etwas sagen wollte. Sie schaute zu ihm hoch und obwohl sie noch etwas verloren schien, war besonders ihre Stimme lauter und ihr Blick entschlossener geworden.
"Kennst du das, wenn du in einem Traum eine Person siehst und dieser jemand, könnte jedes beliebige Aussehen haben, aber du weißt ganz genau, um wen es sich handelt. Oder, wenn du von irgendeiner Situation träumst und obwohl du noch gar nicht verstehst, um was es sich handelt, hast du trotzdem extreme Angst, oder du verspürst Trauer oder sonst was. Kennst du das? Dieses extrem verstärkte Bauchgefühl in Träumen. Irgendwie hatte ich das gestern. Ich schaute in den Nachthimmel und alles war okay, aber plötzlich ... Keine Ahnung. Plötzlich fühlte ich diese extreme Wut, ohne direkt zu wissen warum". Sie blickte nachdenklich zu Boden, als ob sie erwartete dort die Worte zu finden, die ihr gerade nicht in den Sinn kommen wollten. "Ich weiß nicht. Vielleicht sagt uns ein Anblick, ein Bild oder so was manchmal einfach mehr als wir uns selbst eingestehen... Vielleicht sind diese Gefühle nur eine Reaktion unseres Unterbewusstseins, um endlich etwas Ehrliches aus uns heraus zu bringen" Schwere Tropfen fielen auf den Marmor und Denis vergaß beim Anblick der bereits komplett durchnässten, zerbrechlich wirkenden Emily, dass er selbst fast am Erfrieren war und es an seinem Körper ebenfalls keine trockene Stelle mehr gab.
"Naja etwas ehrliches... Muss doch Gründe dafür geben, dass es nicht so einfach ist, das herauszubringen." Diese Worte brachten Emily dazu, wieder hochzublicken. Nicht unbedingt die Worte allein, eher die Überraschung darüber etwas von ihrem Gegenüber zu hören, der gerade noch so abwesend wirkte, verwunderten sie, aber ebenfalls Denis selbst. Er war es nicht gewohnt etwas zu sagen, ohne davor darüber nachzudenken. Das wusste auch Emily, die nicht irgendwie versuchte die darauf folgende Stille zu unterbrechen, sondern sogar ganz im Gegenteil, konsequent keinen Laut von sich gab und Denis in gewisser Weise dazu motivieren wollte, mehr spontane Aussagen zu äußern. Aus dem ganz einfachen Grund das diese Spontanität genau das inbegriff, was in dem Moment Wunsch und Thema war: Ehrlichkeit.
Für beide war es leicht zu durchschauen, was dem anderen gerade durch den Kopf ging. Denis wusste, was Emily von ihm hören wollte, er wollte es doch selbst auch in gewisser Weise sagen, aber etwas das sie bereits seit ihrem ersten Treffen begleitete, schien eine undurchdringliche Mauer um ihn herum zu bilden und dies zu verhindern. Eine Ewigkeit verging, oder jedenfalls kam es beiden so vor, in der sie sich gegenseitig zu einer Art Starrwettbewerb herausforderten. Emily noch immer im Sitzen und mit einem solch konzentrierten Blick, dass man glauben könnte, Denis stünde ein Quizrätsel auf der Stirn geschrieben und er, der mindestens 5 Stufen höher Stand und auf sie herunterblickte. Die Stille endete mit einem Seufzer.
"Emily... Okay ich werde nicht so machen, als ob ich nicht verstehen würde, was du gestern gemeint hast. Du kannst auch noch mal so oft behaupten wie du willst, dass du es nicht weißt, aber ich glaub es ist uns beiden klar, was los war." Obwohl ihre bisherige Zeit zusammen ausschließlich aus Treppensteigen bestand, hatte Emily das Gefühl ihn noch nie so erschöpft gesehen zu haben und plötzlich kamen Schuldgefühle in ihr hoch, ihn nicht zu diesen Worten motiviert, sondern eher gezwungen zu haben. Das Bild des starken und beschützenden Tigerweibchens verschwamm zu dem eines alten und entkräfteten Exemplars. Zwar noch stets ein majestätisches und geachtetes Raubtier, doch die Wunden der unzähligen Kämpfe und die müden Augen waren nicht zu übersehen. Die Konsequenzen des eigenen Handelns, eines langen Lebens voller Entscheidungen und Konflikte. Wie sollte solch ein Tier anders darauf reagieren herausgefordert zu werden, als nachzugeben?
"Natürlich waren meine Worte gestern nicht ganz ehrlich. Aber in diesem einen Moment war es schön sich die eine Sache, unter den Tausenden schlechten und bedrohlichen, schön zu reden. Ich will nur, dass du mich verstehst..." Seine Augen wandten sich von ihren ab und sein Kopf senkte sich. Ein Moment der Ruhe bis zu wenigen letzten Worten, in denen Denis sie wieder anblickte und ihr ein Lächeln schenkte, dass einerseits so viele Emotionen beinhaltete, aber auch gleichzeitig keine, die man mit einem Lächeln assoziieren würde. So viele verschiedene Ausdrücke, dass sogar Emily, die sich selbst als Menschenkennerin sah, nicht alle entschlüsseln konnte. Die eindeutigen waren jedoch Hilflosigkeit und Scham.
"Emily ich bin kein Lügner, ich hab einfach nur Angst"
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Stairway to Heaven
FantasyZwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, treffen sich auf einer endlos scheinenden Treppe im Wald. Keiner der beiden weiß, wie sie an diesen Ort gekommen sind und wohin sie sollen, doch der Weg zu der letzten Stufe bringt Antworten u...