Ein Grund

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Schweiß brannte mir in kleinen dicken Perlen auf der Stirn, als mich das laute, schrille Surren des Weckers aus dem Schlaf riss. Innerhalb von Sekunden war ich hell wach, doch ich wollte mich nicht bewegen. Mein ganzer Körper war schwer und irgendwie bleiern. Ich hob meine Hand und strich mir mit müden tauben Fingern übers Gesicht. Die zu kurze Nacht spürte ich jetzt schon im ganzen Leib. Um vier hatte ich es erst wirklich geschafft einzuschlafen. Nur zwei Stunden waren einfach nicht genug. Man schien mir allerdings nicht mehr gönnen zu wollen.

Dieses Gesicht. Dieses verdammte Gesicht schien mir selbst bis in meine Träume zu folgen. Seine Stimme suchte mich in meinen Träumen heim, zusammen mit dem lauten Knall seines Gewehres. Schon bei dem Gedanken stieg mir erneut der saure Schleim den Rachen hinauf.

„Caro, steh auf!" Stephanie stand bereits mitten im Raum und breitete ihre zerwutzelten Decke wieder über das schmale Einzelbett. Ich versuchte als leise, als es mir möglich war, zu seufzen und meinen Körper so aus seiner Starre zu befreien. Mit schweren Gliedern setzte ich mich in meinem Bett auf. Ich brauchte schlicht und ergreifend mehr Schlaf, um wieder „gesund" zu werden. Ruhe, etwas Entspannung, würde reichen. Ein hohe freie Welt über meinem Kopf , die mir Platz zum denken und Atem gibt. Ich will Wald, Wiese und kalte Luft.

„Du bist kein Morgenmensch, oder?" Stephanie war jemand der gerne mit anderen sprach und viel lachte. Nicht, dass ich nicht auch gerne lachte, doch irgendwie schien es mir keinen wirklichen Grund dafür zu geben zu lachen. Die Menschen mochten auch nett sein und es kam mir auch so vor, als wollte man sich um mich kümmern. Ich erkannte jedoch keine wirkliche Besserung. Es schien mir so als wollte man mich nur weg sperren. Aus den Augen aus dem Sinn.

„Nur manchmal." Ich lächelte sie kurz an und begann mich dann meinem Bett zu zuwenden. Im Schlaf hatte ich meine Decke an das Ende meines Bettes getreten. Sie schien mich anscheinend im Schlaf gestört zu haben. Fest packte ich sie an zwei Ecken und schleuderte sie in die Luft.  Der Dunst der kurzen Nacht verfolg durch einen kühlen Wind. Langsam sank sie wieder auf mein Bett und bedeckte auch nun meinen Kopfpolster. Es begann unpersönlich auszusehen. Jeder Mensch hätte hier liegen können. Nichts wies darauf hin, dass ich hier einmal gelegen hatte. Keine Kuscheltiere, Bücher oder eine besondere Bedecke war zu finden. Ein einfaches Niemandsbett.

„Ich brauche nur einen Grund um aufstehen zu wollen." schloss ich an und begann mit Stefanie etwas zu glucksen. Sie bürstete sich gerade die Haare und versuchte sie irgendwie in einem Dutt zu bändigen. Der Schnitt war ungleichmäßig, sowie unsauber und machte es ihr noch schwerer, wo doch laut ihrer Ansicht jede Strähne schon immer tat was sie wollte. Ihr Leben war nicht unbedingt weniger tragisch gewesen, eigentlich ging sie nämlich noch zur Schule. In diesem Jahr hätte sie abschließen sollen. Unter dem mehr und mehr ansteigenden Erfolgsdruck, dem dritte und sie selbst sie aussetzte lies ihren Körper einfach irgendwann nach geben. Angeblich hatte sie öfter einmal manische Anfälle in kleinen Maßen gehabt, bevor man sie hier behandelte. Bei einem dieser hatte sie leichte rote Kratzer an ihrem Hals und diesen tollen Haarschnitt davon getragen, der noch immer nicht ausgewachsen war. Manchmal soll sie aber auch einfach nur zusammen gebrochen sein. Wie ein abstürzender Computer schalteten sich viele tragende Funktionen ab und sie viel wie ein Kartoffelsack laut auf den Boden. Seitdem wir uns allerdings ein Zimmer teilten hatte ich das noch nie mitbekommen. Entgangen war mir allerdings auch nicht, dass sie die meiste Zeit von vielen aufmunternde Worte erhielt. Die Ärzte und Betreuer wollten etwas Druck von ihr nehmen, so dass ihr Körper auch wieder erholen konnte. Oftmals merkte man ihr auch gar nicht an, was mit ihr los war. Anders bei mir. Jeder mit dem ich in Kontakt kam schien zu wissen wer ich war und das obwohl man versuchte nichts über mich persönlich zu veröffentlichen. Der Reporter schlichen dennoch gerne über den Unicampus und versuchte Informationen über mich zu bekommen und eine neue Schlagzeile so an Land zu ziehen. Solche Sachen waren allerdings auch der perfekte Zündstoff  für Geschichten und Gerüchte. Ich war das Mädchen, dass von diesem Amokläufer herum gezogen wurde. Die Überlebende, die den letzten Schuss abgegeben hatte.

„Sie es so, wenn du dich anstrengst bist du bald wieder frei." Ich nickte und strich die letzten Falten aus der Decke. Freiheit klang für mich in diesem Moment wie etwas total abstraktes. Eine Begebenheit, die wie die wahre Liebe nur in Gedichten und Büchern vorkommen konnte.

Kurz darauf verließen wir auch schon das Zimmer und begaben uns in den großen Saal um zu frühstücken. Ich aß wenig, nicht weil ich keinen Hunger hatte, doch ich wurde automatisch nervös, wenn ich diesen Saal betrat. Unser Zimmer  war klein und ich fühlte mich darin auch nicht besonders wohl, doch in diesem großem Saal war es noch schlimmer. Hier passten viele Menschen hinein, zu viele um wirklich alle im Augen zu behalten. Sie konnten alles wollen. Reagieren würde man immer zu langsam.

Immer wieder musste ich tief Luft holen und versuchen mich irgendwie zu entspannen, wie es die Ärzte mir geraten hatten. Ich sollte mir zwar Zeit nehmen um mich zu erholen, dennoch musste ich mich immer wieder mit solchen Situationen konfrontieren. Sie meinten es wäre gesund und würde verhindern, dass ich mich ins Exil zurück zog. Vielleicht mochte ich aber das Exil. Dort konnte ich mich eventuell wohler fühlen.

Mit fünfzehn weiteren saß ich an einem langen Tisch. Stefani war eine von ihnen. Wir waren lustiger weise oft zusammen, vielleicht auch nur weil wir sonst hier nicht wirklich jemand anderen hatten. Irgendwie hatte wir aber auch so begonnen uns fast so etwas wie anzufreunden. Wir bekamen auch nicht oft besuch und konnten so wenigstens miteinander reden. Dabei handelte es sich nicht unbedingt um tiefgründige Themen, was vielleicht auch genau das war was wir brauchten. Wir ließen auch die Gründe für unseren Aufenthalt außen vor. Man musste eh schon die ganze Zeit darüber reden. Es war schon fast nervig.

Der Saal war gefüllt mit Stimmengewirr. Ich indessen schwieg und nutze vermeintlich die Zeit um etwas nachzudenken. Ganz klar eine ziemlich blöde Idee, da es vermutlich wieder böse Gedanken herauf beschwor. In dieser Zeit schien es generell keine gute Idee zu sein mich für zu lange Zeit allein zu lassen. Ich kam gerne mal auf dumme Ideen. Dennoch, oder gerade deshalb, begannen allerdings immer mehr und mehr meiner eigentlichen Freunde mich zu meiden. Ob ich es ihnen übel nahm? Ganz klar. So verschwiegen ich oftmals auch war, dass hieß ja nicht unbedingt gleich,  dass ich unbedingt alleine seien wollte.

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