Therapien

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Die ersten Tage allerdings durfte mich außer meinen Eltern sowieso niemand besuchen. Die Ärzte meinten es würde mir helfen mich an die neue Situation zu gewöhnen. Ich nahm mir das gerne als Grund, warum mich niemand besuchte. Als man es nämlich wieder durfte war das Mitleid schon lange in Angst umgeschlagen. Niemand wollte sich diese emotionale Bürde zumuten. Ihr eigenes Leben verlangte ihnen wohl schon genug an emotionaler Kraft ab. Eigentlich wollte man das geschehene auch nur noch vergessen. Sowohl sie als auch ich. Das ging wohl oder übel am besten wenn man sich nicht sah. Noah konnte ich so wohl mit gutem Gewissen meines besten Freund nennen. Er schrieb mir zumindest noch oder wollte mit mir telefonieren.

Erleichtert verließ ich mit Stefanie wieder den Saal. Der Druck auf meiner Brust begann sich langsam zu verringern. Wir hatten jetzt noch eine halbe Stunde, bevor die Beschäftigungstherapie startete. Das hieß erstmal zwei Stunden Zeichentherapie, was ja wohl noch am ehesten meinen Interessen nachkam. Obwohl ich nicht wirklich gerne zeichnete und das trotz meinem Kunststudium. Ich kritzelte nicht einmal wirklich gerne in Blöcke, Bücher oder Hefte. Ich liebte es Gemälde zu betrachten. Sie genauer zu analysieren und mir zu überlegen was sich der Künstler dabei gedacht hatte. Dabei ging ich am liebsten mit Noah ins Museum. Er studierte zwar Psychologie und war vielleicht nicht unbedingt sehr Kunst interessiert, doch er er lernte schnell. Außerdem brachte er so eine ganz andere Sicht und einen neue Blick für gewisse Dinge mit. So bildeten sich gerne zu verschiedenen Bildern ganz interessante Theorien. In der Zwischenzeit hatten wir es allerdings schon eine ganze Weile nicht mehr getan. Vor alle dem war ich oft mit meinem jetzigen Ex zusammen gewesen. Noah war auch meisten mit von der Partie gewesen und dennoch wollte mein Ex nicht mitkommen. Egal was ich tat er wollte nicht mit. Er konnte einfach nicht mit Kunst anfangen, hatte sich auch gerne bei Gelegenheit über meine Studienrichtung lustig gemacht. Das Ganze hielt sich zwar meist immer noch im „lustigen" Rahmen, doch eigentlich hätte es auch für mich ein erstes Indiz seien sollen, dass wir einfach nicht zusammen passten. Kurz vor den ganzen Ereignis hatte wir uns dann auch getrennt. Jeder anderer hätte es sicher schon kommen sehen, doch ich trug noch die rosarote Brille. Am Ende hatte es einfach nur weh getan.

Als nächste würde dann die sogenannte Gruppentherapie, diese dauerte dann wieder mindestens eine bis zwei Stunden. Dabei wurde dann natürlich auch erwartet, dass man sich praktisch geistig „auszog". Man sollte also, im Ideal, dieser Gruppe Menschen, welche anscheinend ähnliche Traumata erfahren hatten wie man selbst, alles erzählen was einem beschäftigte. Dabei sollte natürlich im Idealfall auch über niemanden geurteilt werden. Es ging einfach nur darüber über alles zu sprechen und sozusagen dem Baby einem Namen geben. Probleme und Ängste sollten einfach nicht totgeschwiegen werden. Man erfährt dabei natürlich auch so einiges über die Menschen, was die Gruppe, im Ideal, natürlich auch nie verlässt, geschweige denn die Klinik. Ich selbst redete dabei nur wenig über das was passiert war. Niemand konnte es einfach wirklich verstehen oder sich auch nur in mich hinein versetzten. Sich das auch nur auszumalen war schwer. Ich war mir meinem Tod damals so sicher gewesen. Meine Kleidung hatte Teile meiner Kotze wie Wasser aufgesogen und überall hatte es nach Blut und Blei gestunken. Die Menschen hatten nicht aufgehört zu schreien. Die Bilder, Geräusche und Gerüche jagten mich. Folgten mir in meine Träume, wie Schatten. Das Letzte was ich als nun noch wollte war über das alles sprechen. Die Ärzte sahen das natürlich anders und versuchten mich weiter zu motivieren darüber zu sprechen. Es war ein Teufelskreis. Selbst die Tabletten, die die Angstzustände verringern beziehungsweise verhindern sollten, erfüllten nur geringen zweck. Mein Körper fühlte sich nur etwas taub an und kurze Zeit nach dem Einnehmen hatte ich meist sehr konfuse Gedankenstränge.

In unserem Zimmer lies ich mich auf mein Bett sinken. In meiner Hand schaukelte ich mein Handy. Die Anstalt war keine geschlossene, weshalb wir auch geringfügigen Zugang zu unserem alten Leben hatten. Internet durften wir allerdings nur unter Aufsicht benutzen, gerade die, die noch mit ihrer Erfahrung mit Mobbing oder dergleichen zu kämpfen hatten. Sie sollten sich ja erholen, dennoch wollte man sie nicht von der Welt isolieren.

Oft war ich schon kurz davor gewesen Freunde zu schreiben. Ich hielt mich aber zurück. Ich wusste einfach nicht was ich ihnen hätte schreiben sollen. Mir blieb einfach nur die Hoffnung, dass sie den Kontakt irgendwann wieder zu mir suchten. Selbst mit Noah schrieb ich nur wenig. Eigentlich wollte ich ja mit ihm sprechen. Telefonieren wollte ich allerdings dennoch nicht. Es war einfach irgendwie komisch.
Ich lehnte mich nach vorne und begann mit meinen Händen unter das Bett zu langen, dabei zog ich eine einfach Kiste hervor. Alles was ich an persönlichen Zeug mitgenommen hatte befand sich darin. So auch mein Buch über Michelangelo. Die Renaissance zählte zu einer meiner absoluten Lieblingskunstepochen. Die Werke Michelangelos faszinierten mich dabei am Meisten. Noah hatte es mir dabei zu meinem 21. Geburtstag geschenkt. In letzter Zeit hatte ich sehr oft darin geblättert. Es war eine gute Ablenkung und ließ mich wenigstens so tuen, als wäre ich noch eine einfach Kunststudentin. Das Buch verlies allerdings nie dieses Zimmer, da ich einfach Angst hatte, dass es verschwand. Es war mein liebster Zeitvertreib, welchen ich mir auch nicht nehmen lassen wollte, außerdem war es ein Geschenk, noch dazu von meinem besten Freund.
Ich zog meine Knie fest an die Brust und begann das Buch zu öffnen. Auf der ersten Seite stand in schwarzen Buchstaben ein Geburtstagsgruß von Noah. Ich flog mit meinem Blick kurz darüber und musste Lächeln. 

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