zwei

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Der Beton auf den Straßen war vom Regen ganz aufgeweicht.
Ich wusste nicht, wie lange es her war dass ich das letzte Mal Regen auf meiner Haut gespürt hatte.
Schließlich gestaltet sich das als ziemlich schwierig, wenn man nie rausgeht.
Und bei Regen ging ich erst Recht nicht raus.
Lou hatten früher und ich oft im Regen gespielt. Während andere Kinder das Gesicht verzogen und rein hetzten, sprangen wir kreischend in die Pfützen und hatten so viel Spaß dass wir hätten platzen können.
Aber eigentlich war es jedes Mal mit Lou so- egal, was wir taten.
Ich drückte mich tiefer in den Autositz und versuchte, meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken.
Mom fing meinen gequälten Blick im Rückspiegel auf. "Mach dir keine Sorgen, Süße." Obwohl sie lächelte klang ihre Stimme angespannt.
Sie hatte genauso viel Angst wie ich.
Ich sagte gar nichts, schloss die Augen.
Das alles konnte nur ein Albtraum sein. Obwohl ich eigentlich Panik spüren müsste, fühlte ich gar nichts.
Ich hatte mich noch nie in meinem Leben so leer gefühlt. Leer und kalt.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Sie waren kalkweiß.
"Wir sind da."
Tatsächlich hielten wir an. Neben uns ragte ein dunkler Klotz in den grauen Abendhimmel.
Das Gebäude, das Lou für ihre Abschlussparty gemietet hatte.
Es sollte mit seinem flachen Dach und der großen Glasfront wohl einen modernen Eindruck machen. Ich fand, dass dies das hässlichste Haus war, das ich je gesehen hatte.
"Sie sehen mich."
Ohne, dass ich es wollte umkrallte ich den Gurt.
Sie sahen mich wirklich. Nora, Isa und ein paar andere von ihnen standen vor der riesigen verglasten Eingangstür, rauchten und starrten mich an. Immer wieder wechselten sie einen geschockten Blick, konnten es offensichtlich nicht fassen, dass ich hier war.
Mom drehte sich um. "Sie sehen dich nicht. Noch nicht. Die Scheiben sind verdunkelt. Hör zu, Maggie..."
"Sie sehen das Auto. Sie wissen, dass ich hier bin!" Ich schrie fast.
Plötzlich spürte ich nämlich doch Panik. Große Panik.
Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, zu ersticken.
Mom lehnte sich über den Sitz und ergriff meine Hand. "Maggie. Ich weiß, dass du Angst hast. Aber du kannst dich nicht für immer in deinem Zimmer verstecken. Du gehst da jetzt raus. Und wenn ich dich wieder abholen soll, rufst du mich an!"
"ICH GEHE DA NICHT RAUS!" Meine Stimme brach ab. Ich rang nach Luft. "Ich kann nicht glauben, dass du mich hergebracht hast!", schreie ich. "Ich will nicht zu dieser Party! Ich gehe nicht zu dieser Party! Ich kann nicht zu dieser Party!" Ich wiederholte die Sätze.
Keine Ahnung, wie oft ich sie Mom entgegenbrüllte. So oft, dass ich irgendwann keine Luft mehr bekam.
Und während ich vor mich hin keuchte und an nichts mehr denken konnte an Dunkelheit und mein Bett, fiel mir endlich Moms Gesicht auf.
Die müden, verquollenen Augen mit den tiefen Ringen darunter. Die vielen Falten, die sie viel älter aussehen ließen als sie eigentlich war. Das strähnige Haar.
Die heruntergezogenen Mundwinkel.
Wann hatte ich meine Mutter das letzte Mal ausgelassen lachen sehen, nicht nur künstlich lächelnd?
Ich hatte die letzten Monate kein einziges Mal an sie gedacht. Nicht eine Sekunde überlegt, wie es ihr ging.
Ich hatte immer nur an mich gedacht.
Und trotzdem war sie hier, brachte mich zu einer Party, zu der ich nicht hinwollte- nur um mir zu helfen.
Meine Mutter war erschöpft.
Es ging ihr kein bisschen besser als mir.
Im Gegenteil.
Sie drehte sich um und startete den Wagen.
"Ich fahre dich wieder nach hause", sagte sie fast tonlos.
"Mom-"
"Nein. Du musst nicht zu dieser Party gehen. Es tut mir so Leid, Maggie." Ihre Stimme war so brüchig. Ich war mir sicher, dass sie Tränen in den Augen hatte.
"Warte."
Mein Herz pochte mir bis zum Hals.
Ich schnallte mich ab.
Öffnete die Tür.
Sie drehte sich um und sah mich erschrocken an.
Ich atmete tief durch.
"Hol mich in einer Stunde wieder ab."

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