drei

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Ich hatte noch nie in meinem Leben etwas Verrücktes getan.
Okay; sich über ein halbes Jahr in seinem Zimmer zu verkriechen wirkt vielleicht ziemlich durchgeknallt, ist es aber gar nicht.
Nicht, wenn man einen Grund dafür hat.
Lou und ich hatten in der zweiten Klasse mal Regenwürmer gegessen, aber das war eine kindische Mutprobe, nichts wirklich außergewöhnlich Verrücktes.
Bisher hatte ich mich immer zurückgehalten. Kein Risiko eingehen. Nicht auffallen. Nichts tun, was mir auch nur in irgendeiner Weise Angst macht.
Tja. Und da wäre ich nun. Nur noch wenige Schritte von den Menschen entfernt, vor denen ich die letzten Monate panisch geflüchtet war.
Eigentlich müssten meine Beine zittern. Oder meine Hände.
Aber plötzlich fühlte sich alles an mir wie tot an.
Ich war nicht mehr Herr über meinen Körper. Mein Kopf schrie: Halt! Stehen bleiben! Nicht weitergehen!, doch meine Beine hörten nicht zu. Sie liefen und liefen.
Bis ich vor Nora, Isa, Carla und Tess stehen blieb.
Für einen kurzen Moment schien die Zeit still zu stehen. Ich nahm alles gleichzeitig war: Carlas perfekt geformte Augenbrauen, die erschrocken in die Höhe schossen; Isas unsicherer Blick, der zwischen Tess und Nora hin und herhuschte; Tess' geschocktes Lufteinsaugen: Isas volle Lippen, die sich zu einem undeutbaren Grinsen verzogen: "Maggie."
Maggie.
Sie klang als könnte sie es selbst kaum glauben- andererseits aber, als hätte sie ihr ganzes Leben lang nur auf diesen Moment gewartet und war sich ganz sicher gewesen, dass er irgendwas kommt.
Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen doch nichts kam heraus.
"Lang nicht gesehen", stimmte Tess mit ein und ich merkte, dass sie mich von oben bis unten musterte. Alle drei taten es.
Ich versuchte mir vorzustellen, was sie sahen; die blasse, müde, makeup lose, ängstliche Maggie in schlabberigen Jeans und unförmigen dunklen T-Shirt, mit aufgerissenen Lippen und abgekauten Fingernägeln.
"Lou freut sich bestimmt, dass du gekommen bist." Isas Unterton war nicht zu überhören.
"Mit dir hat echt keiner gerechnet", flötetete Nora.
Ich sagte immer noch nichts. Mein Kopf war wie leer gefegt.
"Hey, da kommen die Boys!", kreischte Tess plötzlich und sprang an mir vorbei um ein paar mir unbekannten Typen entgegenzurennen.
Isa verdrehte lächelnd die Augen. Dann packte sie plötzlich mein Handgelenk.
Ihre Hand war eiskalt.
"Komm, Maggie." Ihre Augen leuchteten. "Partytime."

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