Nach einem Ende kommt immer ein Anfang

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Ein Jahr später


Antworten zu finden war nicht leicht. Tage, Monate und sogar ein Jahr später, beschäftigte Joe das Zugunglück, wie ein wandelnder Albtraum, der ihn nicht nur nachts in seinen Träumen, sondern auch tagsüber angriff.

Verärgert klappte er die Mappe, die mit zahlreichen Artikeln um den Zug 2359 der Alpha Trax nach Eastbourne - oder wie man ihn offiziell nannte: Last Train -gespickt war, zu. Feiner Staubdunst flimmerte im Schein der Lampe.

Als Serienmassaker hatten die Medien die Sache aufgeputscht. Behauptungen der Polizei es seien Tiere gewesen, hatten niemanden zufrieden gestimmt, am wenigsten Joe. Letzten Endes konnte nichts eindeutig bewiesen werden, weshalb der Fall ungeklärt zu den Akten gelegt wurde. Viele Fragen blieben offen und würden es vermutlich auch bleiben.

„Du sollst doch nicht so grummelig schauen, Joe. Das gibt nur hässliche Falten", sagte Billy grinsend und küsste ihn auf den Hals, während er seine Arme um Joes Körper legte.

„Hier, ich habe etwas für dich, damit du auf andere Gedanken kommst."

Billy streckte ihm ein rechteckiges Paket entgegen. Joe wusste, was es war. Er lächelte.

„Das ist schon merkwürdig, dass ich in einem Buchladen arbeite, Bücher verkaufe - du mir aber welche schenkst."

„Finde ich gar nicht. Ich weiß, worauf du stehst. Das ist gut für mich. Dann muss ich mir wenigstens nicht das Hirn zermartern, auf der Suche nach einem passenden Geschenk für meinen", Billy drückte ihm einen langen, feuchten Kuss auf die Wange „heißen Lover."

„Igitt, du bist widerlich", kicherte Joe, als ihn Billys Zunge am Ohr kitzelte.

„Mach auf", sagte der andere grinsend und lehnte sich mit der Wange an Joes Kopf, während er diesen dabei beobachtete, wie er das bunte Papier herunterriss.

Zum Vorschein kam ein reißerisches Coverbild. Soviel sei gesagt, es war ziemlich düster, unheilvoll und eine unnatürliche schattenhafte Gestalt beherrschte das Bild. Joe lächelte.

„Danke. Irgendwann müssen dir die Werwolfgeschichten aber ausgehen, oder?"

„Ein paar habe ich noch", lächelte Billy.

„Und was dann? Dann gibt es keinen Dankeschönsex mehr für dich?"

„Danach überlege ich mir was anderes. Oder schreibe selber eins. Na, wie wäre es?"

Joe boxte ihm in die Seite, als Billy seine Finger unter sein Shirt gleiten ließ.

„Ich kann es immer noch nicht glauben", sagte Joe plötzlich ernst und sah Billy mit einem durchdringenden Blick an. „Ich könnte schwören, ich hab gesehen, wie dieses Vieh dich gebissen hat. Ich träume nachts davon."

„Du hast eine blühende Fantasie", Billy verwurschtelte Joes Haar, der quietschend protestierte. Sie lieferten sich eine kurze Schlacht. Die Billy gewann. Das tat er immer. Mit leichtem Druck auf die Handgelenke hatte er Joe unter sich auf das Bett genagelt. Keuchend ließ Billy ihn los und lehnte sich zurück, dabei saß er rittlings auf Joes Schoß.

„Weißt du, mehr als all diese Stunden bei dieser Psychotante Karen, würde es dir was bringen, diese scheußliche Sammlung zu verbrennen."

Billy wies mit dem Finger auf Joes Mappe. „Weiß sie eigentlich, dass das Ding unter deinem Kopfkissen liegt?"

„Sie muss nicht alles wissen", Joe grinste frech und ließ sich hemmungslos von Billy küssen. Eine ganze Weile lagen sie so auf dem Bett, Körper und Lippen aneinander gepresst. Billys Hände wanderten über Joes Körper, bis dieser ganz schläfrig wurde.

„Es ist Vollmond", bemerkte Joe müde. Ein heller Lichtschein stahl sich durch das große Fenster im Schlafzimmer und beleuchtete, wie auf einer Bühne den unteren Teil des Bettes. Es war noch früh am Abend. Der Mond war noch gar nicht richtig aufgegangen.

„Stimmt. Perfektes Timing, um mit deinem neuen Buch zu beginnen."

„Das heißt wohl, ich wache wieder allein auf?", fragte Joe, ohne auf Billys Scherz einzugehen und sah in seine tiefen, blauen Augen, die heute zu glühen schienen. Nur ein wenig. So wenig, dass es auch Einbildung hätte sein können.

„Ich bin vor Morgengrauen zurück, versprochen", erwiderte der Blonde und küsste Joes Stirn. „Und davor können wir besinnungslosen Sex haben, damit du bis zu meiner Rückkehr ohnmächtig in den Laken liegst."

„Ich frag mich, was Karen zu unserer Beziehung sagen würde?"

„Sie fände es romantisch."

„Das ich mit dem Mann zusammen bin, der das alles miterlebt hat?"

„Ich bin dein Retter."

„Und trotzdem hat es Monate gedauert, bis du zu mir gekommen bist."

„Ich war schüchtern", antwortete Billy kokett.

„So einen Unfug habe ich ja noch nie gehört."

Provokativ ließ Joe seine Hüften kreisen, sodass Billy anerkennend die Augenbrauen hob.

„Na dann, halte dein Versprechen, du großer grauer Wolf. Ich will die Nacht nicht wieder im Sessel verbringen und den Mond anstarren."

„Das lasse ich mir nicht zweimal sagen", mit einem Knurren biss Billy Joe spielerisch in den Hals.

Joe erzählte Billy nicht, dass er trotz allem mitten in der Nacht aufgewacht war. Dass er wieder den Mond angestarrt hatte, während er auf seine Rückkehr wartete. Im Morgengrauen, als seine Augenlider schwer wurden, legte er sich zurück ins Bett.

Irgendwann hörte er Wasserrauschen. Es kam aus der Dusche. Normalerweise würden sie zusammen duschen.

Nicht heute.

Nicht wenn es Vollmond war.

Howl (ManxMan) #allaboutyourbook17Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt