Neue Leute

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Die Reifen quietschen auf dem sandigen Weg, als die Autos gekonnt vor dem Haus parken, und wirbeln dabei Wölkchen auf. Ich huste kurz und reibe mir die Augen, bevor ich von der Bank aufstehe und mit Emi zu ihnen gehe.

Eine Tür wird aufgerissen und meine Tante steigt vom Beifahrersitz: „Da sind wir." „Besime!", schreie ich glücklich und stürze auf sie zu. Wir haben uns zwar erst vor einem halben Jahr gesehen, aber sie ist wirklich ein Teil von mir. Ihre dunklen, lockigen Haare flattern wild im Wind, als wir uns umarmen. Der unvermeidliche Geruch des Mangoparfüms kribbelt wohlig in meiner Nase. „Ich bin so froh, wieder mit euch zu sein.", meint sie lachend. „Und ich erst!" Ich drücke mich noch fester an sie. Meine Tante schafft es auf ungewöhnliche Art und Weise immer, einem das Gefühl von Geborgenheit zu geben. Das alles nur mit ihrer einerseits energischen, aber doch freundlichen Ausstrahlung. Eine Seltenheit, wenn ihr mich fragt – dabei gibt es in meiner Familie mehrere Leute dieser Art. Onkel Aaron, der jetzt dazukommt, gehört ebenfalls dazu. Auch er macht sich sofort daran, alle zu umarmen und mit seiner guten Laune anzustecken.

Nun öffnen sich auch die Türen des Landrovers. Das erste, was ich sehe, sind Ardys Haare. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, waren sie noch braun, aber er hat sie sich rot gefärbt. Nicht nur irgendein normales rot, sondern so ein knalliges, feuriges. Bei den meisten Leuten hasse ich sowas, aber es steht ihm wirklich und passt zu seinem Charakter.
„Deli!" Mein Cousin macht sich nicht einmal mehr die Mühe, die Tür zu schließen, sondern rennt zu mir. Er umfasst meine Hüfte und hebt mich leicht hoch. Ich verschränke meine Hände in seinem Nacken und lege mein Kinn an seine Schulter: „Ardy!" Für einen Augenblick spüre ich seine Lippen, als er mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange haucht. Als ob er Gedanken lesen könnte und merkt, dass ich langsam in Luftmangel gerate, lässt er mich runter und lächelt wieder. Ardy hat ein einmaliges Lächeln, sollte man an dieser Stelle erwähnen. Es vereint viele Eigenschaften in einem: warm, abenteuerlustig, entwaffnend, leicht crazy und doch eine Spur schüchtern. Jetzt fehlt nur noch sein Lachen: „Bin ich dir nicht zu schwer?" „Wie kommst du darauf? Ich mein, ich halte ja auch Luna locker aus!"

„Hey! Du enttäuschst mich, Ardy." Ich wirbel herum und erblicke ein Mädchen mit dunkelbraunen Haaren. Das muss also Luna sein, Ardys Freundin. Ardys Freundin. Sorry, aber ich muss mich immer noch an den Gedanken gewöhnen, dass er fest mit jemandem zusammen ist. Sie trägt einen hellrosanen Kapuzenpullover mit grauen Katzen- und hellblauen Mäuseköpfen und eine schwarze Jogginghose, die sie recht locker und chillig herüberkommen lässt. Auf ihren Armen ist eine kleine schwarze Hündin, die neugierig die Umgebung betrachtet und wohl nur darauf wartet, auf Erkundungstour zu gehen. Das Mädchen lässt sie herunter, drückt sich kurz an Ardy und reicht mir dann die Hand: „Hallo, ich bin Luna. Und du bist Delina, stimmt's?" „Ja, aber nenn mich ruhig Deli.", biete ich ihr nur an. Ich weiß nicht wieso, aber ich glaube, wir werden uns extrem gut verstehen. Sie wendet sich an meine beste Freundin: „Dann bist du Emese, oder?" „Genau. Kannst aber ruhig Emi zu mir sagen.", meint diese nur schüchtern und lächelt. Na toll, jetzt gerät sie wieder in ihren weltberühmten Schüchternheitsmodus. Das war letztens auch so, als wir mit ein paar anderen Leuten aus der Uni feiern waren. Alle haben sofort aktiv getanzt, geredet und dumme Witze gerissen. Ich habe an einem Abend so viel über sie erfahren wie in den ganzen Semestern bisher nicht! Emi hat sich erst stark zurückgehalten und nach gefühlt einer Ewigkeit ins Gespräch eingebunden. Dort ist sie dann aber auch, selbst wenn mit kleiner Hilfe von Alkohol, entspannt geworden – seitdem lief es wie am Schnürchen.

„Was gibt es?" Ein weiterer Freund von Ardy kommt dazu und greift nach dem Hund:"Na, Pipi?" Wtf, hat der eine tiefe Stimme. Ich habe zwar schon alles Mögliche erlebt, aber das wird gewöhnungsbedürftig. Mindestens genauso wie der Name des Hundes. Pipi. Ich hoffe mal, es gibt da auch Alternativen dazu, denn ich ... muss bei dem Wort an andere Dinge als einen niedlichen Hund denken. Ihr wisst, was ich meine. Andererseits würde es mich nicht wundern, wenn der Namensvorschlag von Ardys Freund gekommen wäre: Er hat türkise Haare, die recht gut mit seinen blauen Augen harmonieren. Sein Style ähnelt Ardys – ein Crossshirt, weiße Hose und meinen Berechnungen nach sündhaft teure Sneakers. Die Krönung bilden aber die etlichen Tattoos, die ich jetzt schon sehen kann: Über dem Auge, am Hals und am Wangenknochen. Moment mal ... wie hieß er nochmal? Taddl oder Marley? Ich haue die Namen immer noch durcheinander, ist das peinlich. Vielleicht hätte ich mir diese noch einmal merken müssen, statt Ardys Social Media – Seiten abzustalken. Wieso mache ich das überhaupt?! Ich mein ja nur, wir sind Verwandte. Wir haben dieselben Großeltern.

Der Türkishaarige reicht mir freundlich die Hand: „Ich bin Taddl, und du?" Gut, dann hätten wir die Frage schon einmal geklärt. Taddl. Dann wird der letzte Marley sein. Um es als Memo zu formulieren: Taddl – türkise Haare. Bei den zwei Namen wird es schon klappen. Das war damals in der 11. schwerer, als unsere Klassen quasi auseinander gerissen wurden und ich den Großteil der Leute nur vom Sehen her kannte. Deshalb hatte ich auch nicht gerade viele Namen bereits gekannt oder mal aufgeschnappt.

Wie aufs Stichwort taucht auch der Fahrer auf. Das ist also Marley. Ausnahmsweise mal keine gefärbten Haare, nur normales blond halt. Dazu eine stinknormale gelbe Jacke. Als er einen Augenblick mit dem Rücken zu uns gedreht ist, sehe ich ein Tattoo auf seinem Nacken. Ein Flügelpaar, wenn ich es recht erkenne. „Marley.", stellt er sich recht spärlich vor und reicht mir ebenfalls kurz die Hand. „Deli.". Ich glaube, er ist bloß müde von der Fahrt. Die Strecke von Köln bis hierher ist nicht gerade sehr kurz. Mir wäre da auch nicht nach lange reden und so.

Nachdem wir auf ziemlich umständliche Art und Weise die Koffer aus den Autos gehievt haben, machen wir uns auf den Weg ins Haus. Oma hat noch immer Freudentränen in den Augen, seitdem sie Ardy in ihre Arme geschlossen hat. Die zwei haben schon immer so eine, ich weiß nicht, magische Verbindung. Schon früher war das so. Wenn Ardy irgendein Problem hatte, ist er damit sofort zu Oma gerannt. Klar, er hatte genug Geschwister und auch mich dafür, aber das war dann doch etwas anderes. Ein unerklärliches Band, das zwei Menschen miteinander verbindet.

„So, here we are!" Ardy seufzt und ist richtig zufrieden, als er die Koffer im Eingangsbereich abstellt. Tja, die sind wohl doch nicht so leicht, wie gedacht. Ich mein, wenn er schon einen auf Gentleman macht und zusätzlich Lunas Gepäck abnimmt, dann muss er die Konsequenzen tragen.

„Zeigt ihr Marley, Taddl und Luna ihre Zimmer?", wendet sich meine Mum an Emi und mich. Stimmt, die drei sind ja zum ersten Mal hier und haben keine privaten Zimmer wie alle aus der Familie. „Geht klar!"

There is nothing I can doWo Geschichten leben. Entdecke jetzt