Shit happens

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Shit!
Wütend nehme ich das Buch, welches ich vorhin aus dem Regal geholt habe und werfe es auf den Boden. Eigentlich wollte ich ja in Ruhe lesen, aber meine Gedanken schweifen immer wieder zum Streit.
Als ich aus dem Blickfeld der Jungs verschwunden bin, bin ich natürlich nicht zu Emi gegangen, sondern habe schnurstracks den Weg zu meinem Zimmer eingeschlagen. Stolz muss sein! Sollen die zwei ihren tollen Film doch alleine schauen. Wenn ich wissen will, wie er endet, kann ich ja in die Videothek gehen oder Wikipedia 'nen Besuch abstatten. Auf jeden Fall besser, als sich so viel Nervenstress anzutun. Wie habe ich auch glauben können, dass ich mit denen klarkommen werde? Oh man, ich werde von Tag zu Tag aber echt immer dümmer.
Anscheinend schaffe ich es jedes Mal aufs neue, Menschen falsch einzuschätzen. Noch vor ein paar Stunden schienen sie ganz nett. Jetzt sind es allerdings diese unnachvollziehbaren Leute,denen man liebend gerne aus dem Weg geht. Wieso?! Andererseits, was habe ich davor gesagt: Nur bei der Begrüßung werde ich mir wohl kaum ein Bild machen können. Hat sich ja ganz super bewahrheitet.
Erschöpft lasse ich mich aufs Bett fallen und starre Löcher in die Decke. Was soll ich auch anderes machen? Ich könnte natürlich runter gehen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass Ardy und Taddl immer noch dort rumhängen, ist mir eindeutig zu hoch. Weiter hier oben Nichtstun ist aber genauso sinnlos. Moment mal ... ich könnte ja rausgehen und eine Runde schwimmen. Entspannend und gleichzeitig die beste Möglichkeit, alleine zu sein. Mir ist gerade wirklich nicht nach Gesellschaft. Zumindest nicht nach der angebotenen - bis auf Emi, aber wir können ja später was zusammen machen. Genau so!
Schnell nehme ich den Jutebeutel, welcher achtlos neben dem Stuhl liegt. So ... Bikini, Handtuch, Hut, Sonnencreme , -brille und Handy. Müsste alles sein. Ich öffne den Schrank und angel die Sachen raus. Wow, alles da! Zum Schluss schließe ich die Tür ab und ziehe mich um. Wäre ja auch zu bescheuert, wenn plötzlich jemand reinplatzt und mich dabei sieht.
Als ich an der Treppe bin, lehne ich mich kurz über das Geländer. Keine Spur von den unerwünschten Leuten, schön. Dafür entdecke ich in der Küche Mum. "Ich bin mal weg, schwimmen.", rufe ich, bevor ich hastig einen Abgang mache, damit sie mich nicht daran hindern kann. Ich hätte natürlich einfach so abhauen können, aber den Ärger will ich mir ersparen.

Das kühle Wasser prickelt angenehm auf meiner Haut, als ich mit einem wirklich unmännlichen Schrei ins Wasser springe. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die Temperatur, aber am Anfang ist und bleibt es schlicht und ergreifend kalt! Dafür ist es extrem klar und man kann am Ufer perfekt den Grund sehen. Ich bevorzuge aber trotzdem die Erhöhung, von der man springen kann. Es gibt zwar noch die Klippe, aber das ist nichts für mich. Ja, dafür bin ich zu feige.
Gebannt lausche ich den Vögeln, die fröhlich zwitschernd in den Bäumen sitzen. Ich liebe die nur dadurch unterbrochene Stille, welche einfach den perfekten Kontrast zum Stadtleben bildet. Einfach unglaublich! Außerdem sind hier so gut wie nie andere Leute, deshalb ist dieser Ort für mich fast wie eine kleine Oase. Ein Platz, an den man sich zurückziehen kann, wenn man alleine sein will, aber das Haus schon satt hat.
In Gedanken schwimme ich ein Stück weiter rein und lege mich wie ein Stern hin. Es ist mega lustig, so flach im Wasser vor sich hin zu dümpeln und zu faulenzen. Gönnung pur! Ich schwimme aber auch gerne normal, weil ich mehrere Jahre zum Training gegangen bin. Hat meiner Meinung nach sehr viel gebracht.
Vorsichtig tauche ich unter. Das Wasser kühlt mein Gesicht und meine Haare wehen wirr hin und her. Ein Zug, ein weiterer und noch einer bringen mich Meter um Meter weiter. Wie in Zeitlupe gleite ich durch den See. Kleine Bläschen kommen aus meinem Mund heraus. Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, bis ich Luftmangel bekomme und gezwungenermaßen auftauche. Wenn es nach meinem Gefühl ginge, dann würde ich noch ewig dort bleiben.
"Hey!" Wieso kann man denn nirgendwo seine Einsamkeit genießen? Wieso?! Ohne Witz, ich bin gerade kurz vor dem ausrasten. Kaum hat man seine innere Ruhe gefunden, kommt irgend so ein Spacko daher gelaufen und sie verpufft. Ich drehe mich extra quälend langsam herum und sehe ... Marley! Creepy, ich fühle mich übelst verfolgt. Kann man da was dagegen machen?
"Was machst du denn hier?", frage ich ihn leicht genervt. "Dasselbe wie du, schätze ich mal." Entweder er hat den Ton nicht mitbekommen oder er kann es locker überspielen. Ich tippe eher auf zweiteres. Langsam kommt er ins Wasser. Ich kann natürlich alles mögliche über ihn sagen, aber coole Muskeln hat der Typ alle mal. Ganz abgesehen von dem großformatigem Tattoo auf der Brust. Respekt!
"Und was mache ich?" "Schwimmen und die Ruhe genießen, ja?" Er lacht, sodass seine Wangemuskeln nach oben zucken und die Augen dadurch ganz schmal werden. "Genau. Aber eigentlich alleine.", bemerke ich spitz. Marley macht allerdings keine Anstalten, in irgendeiner Art und Weise 'ne Fliege zu machen. Seriosly? "Gesellschaft hat noch niemandem geschadet, bei deiner Laune erst recht nicht." In seinen Augen sehe ich, dass er kein Nein zulässt, deshalb gebe ich es einfach auf. Ist vielleicht auch besser so.
"Deli, richtig? Oder willst du dich lieber Delina genannt werden?" Alles klar, dass ich so etwas noch erleben darf. "Deli passt schon." Ich will mal nicht unfreundlich sein, wenn er schon darauf besteht. "Cool. Dann kannste mich ruhig auch Mary nennen." Mary? Ist aber ein verrückter verrückter Vogel. "Aber das ist doch..." "... ein Mädchenname? Na und?", schneidet mir Marley das Wort ab. Oh, er soll nicht denken, dass ich das irgendwie lustig finde oder so. "Ist bloß etwas ungewöhnlich, aber nice." Letzteres ist zwar halb gelogen, aber muss sein. "Gut, dass das jemand mal auch so sieht." Der Junge ist richtig froh, dass sieht man ihm an. Die Stimmung kann ich ihm unmöglich verderben. Er versucht ja wenigstens anständig, ein Gespräch aufzubauen, nicht wahr?

Vielleicht sollte ich auch etwas dazu beitragen. "Wie wäre es mit einem Wettschwimmen?" Mist, wieso kann ich nicht nachdenken, bevor ich was sage? So war das auch nicht geplant. Shit happens. Jetzt kann ich eh nichts mehr daran rütteln. "Gerne. Bis dorthin?" Er deutet auf eine Stelle am Ufer, ungefähr 50 Meter von uns entfernt, an der eine recht markante Eiche steht. Die kann man sich sehr gut merken. Okay, Rücktritt geht nicht. "Klaro."
"Auf drei! Eins, zwei, drei!"
Wie beim Startschuss bei einem Wettkampf sprinte ich los. Kraulschwimmen bietet sich am besten an. Schnell hieve ich meine Arme nach vorne und strampel energisch mit den Beinen. Dabei versuche ich, richtig zu atmen und nicht aus der Puste zu kommen. Durch die Uni bin ich ziemlich aus der Übung. Das könnte eine fette Niederlage werden...
Ehe ich mich versehe, lande ich am Ziel - Marley nur wenige Meter vor mir. "Gewonnen!" Er imitiert Trompetengeräusche, sodass ich einen heftigen Lachflash bekomme. "Hast dich aber super geschlagen.", fügt der Blonde noch hinzu. "War früher mal beim Training, bin aber mittlerweile aus der Übung. Und wo hast du so schnell springen gelernt?" Mein Gegenüber versucht gar nicht erst, bescheiden zu klingen: "Selbst beigebracht. Gehe aber eher ins Fitnessstudio." Das erklärt vieles, zum Beispiel, wieso er stählerne Muskeln hat, während Ardy der wahre Inbegriff der Lauchigkeit ist. Obwohl, weil er früher Breakdance gemacht hat, steht er immerhin noch besser als Taddl da.
Mit einem Blick auf meine Armbanduhr merke ich, dass schon ziemlich viel Zeit vergangen ist. "Wir sollten langsam zurück, es müsste bald Essen geben." "Echt?" Marley leckt sich voller Vorfreude über die Lippen: "Deine Mum kann einfach höllisch gut kochen." Komplimente machen kann er auf jeden Fall, das ist immer fresh. "Na dann sollten wir uns mal beeilen."
Schnell packen wir unser Zeug zusammen und nehmen den Trampelpfad zurück zum Haus.

There is nothing I can doWo Geschichten leben. Entdecke jetzt