Von Rindfleisch und Katzen

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Verträumt sitze ich auf der Bank im Garten und starre Löcher in den Himmel. Ich brauche gerade einfach nur einen Ort, an dem Ardy ausnahmsweise nicht Tonnen von Pessimismus aka 2,4-Dimethylpropan oder was-weiß-ich was für ein Zeug verstreut hat. Tja, dumme Dinge verdienen fiese chemische Namen.
Okay, vielleicht habe ich gerade ein klitzekleines bisschen überreagiert, aber der Halbalbaner mit seinem Hyperdypertemperament erst recht! Der soll sich ja nicht einbilden, ich wäre Schuld an allem. Das tut er allerdings gerade wohl. Na super. Doch solange ich weiß, wie es stimmt, ist alles gut. Kann ja auch ohne ihn klarkommen – mit Spasten gebe ich mich nicht ab. Ist ja nicht so, dass wir bei Nerve oder so sind und uns 24h mit Handschellen aneinander ketten müssen. Wäre ja auch eine extreme Zumutung!

Ein Räuspern reißt mich zurück aus meinem Hirn in den Garten. Hä? Ich muss mir erst nochmal die Augen reiben, bis ich checke, dass Marley vor mir steht. Was will der denn?
„Was ist?" Meine Frage klingt wohl etwas sehr ruppig, aber egal. „Schlechte Laune?" Oh Mann, wie ich diesen Tonfall hasse. Was geht ihn das an? „Nein! Und selbst wenn, was geht dich das an?" Der junge Mann bläst demonstrativ die Backen auf und grinst: „Das geht mich sehr wohl was an. Schließlich bin ich der Seelenklempner für alle Fälle."
„Ja nee, ist klar." Ich zeige ihm nur einen Vogel. Er ist ja auch ein verrückter Vogel, wenn man es so sieht. „Hast deine Wut etwas zu sehr an Ardy ausgelassen?" Weiß jetzt schon das ganze Haus von der kleinen Diskussion?! Früher gab es ja eigentlich noch sowas wie einen Ehrenkodex, wo man das unter vier Augen ausklingen lassen hat, aber die Zeiten sind der Ansicht des Rothaarigen wohl vorbei. Seriosly?
„Was hat er dir denn für eine tolle Lüge aufgetischt?!" „Wieso Lüge?" Marius reißt verwundert die Augen auf: „Habt ihr euch etwa nicht gestritten?" „Nur eine minimale Meinungsverschiedenheit.", versuche ich die Lage möglichst friedlich abzutun. Es sollen ja am Ende nicht auch noch Luna, Taddl und die ganze Gemeinschaft antanzen und mich ohne Grund zur Schnecke machen. Das Finale wäre ja, wenn dann auch noch Ardy im Türrahmen stehen und mit einem pädophilen Grinsen zusehen würde. Er ist und bleibt halt ein kleiner Wichser.

„So sah das aber ganz und gar nicht aus. Der Gute hat ja richtig gekocht. Sonst kann ihn kaum etwas aus der Geduld bringen." „War aber wirklich so!" „Na dann hast du es richtig drauf." Wir lachen. Joa, der Typ ist eigentlich doch ok, auch wenn ich mich frage, wie das bei dieser Gesellschaft möglich ist. Dinge gibt's. Wenn ich YouTuberin wäre, würde ich ein Video über mysteriöse Vorfälle drehen und den Fakt unbedingt reinnehmen!
„Also ... wie hast du das geschafft? Nun will ich es aber genau wissen!" Er grinst triumphierend, weil er wohl schon ahnt, dass ich nicht abschlagen kann. Sollte ich wirklich...? Ich mein, wenn er es doch Ardy weitersagt, dann gibt es hier Beef ohne Ende. Obwohl, wen juckt's?
„Ist eigentlich keine große Story. Ardy platzt in mein Zimmer rein, schimpft mich voll, ich bleibe ruhig, er rastet noch mehr aus, dann werde ich auch wütend und puff – ist er wieder weg. Das alles nur, weil er seinen Humor verlegt hat. Jemand müsste dringend mal schauen, in welcher Schublade er liegt."
„Na, na, es wird doch einen Grund gehabt haben, wieso er ausrastet, oder?" Wieso ist er so neugierig und bohrt nach? Kann ja echt heiter werden. „Nur eine Kleinigkeit. Etwas Zahnpasta an der Türklinke, ein Klassiker, nichts Weiteres."

Und wieder lacht er. Lauter Tränen fließen aus seinen Augenwinkeln. Er bekommt ja schon fast keine Luft mehr mit seinem hochroten Kopf! „Moment mal ... du willst mir weismachen, dass man Ardy mit etwas Zahnpasta zur Weißglut bringen kann?!" „Ähm, ja." Glaubt er mir das jetzt nicht? Ist doch normal, da ist mein Cousin keine goldene Ausnahme oder so. Obwohl Ausnahmen bekanntlich die Regel bestätigen. Grundsatz aller Chemiker, die behaupten, faul zu sein. Voll der Widerspruch!
„Das ist aber echt eine Meisterleistung!" Marley hat mittlerweile einen extremen Lachflash und klopft mir mehr oder weniger beachtend auf den Rücken. Was zum ...? Jedenfalls kann ich auch nicht anders, als es ihm gleich zu tun. Einige Minuten später rollen wir schon fast auf dem Boden herum und brauchen eine Ewigkeit, um uns wieder zu beruhigen. Das ist ja mal ein Gespräch.
„Jetzt aber mal ernst, was ist los? Nur die Tube wird es wohl schlecht gewesen sein, oder?" Ich zögere leicht mit der Antwort. Ist ja schon eine privatere Angelegenheit, als dieser Prank. Und ich will auch nur ungern, dass er denkt, ich würde sie alle scheiße finden. Was aber eigentlich stimmt. Bis auf ihn. Er scheint echt nett zu sein und in den entscheidenden Dingen nicht mit dem Rest mitzuziehen.

Hoffentlich täuscht dieser Eindruck nicht. Es passiert leider viel zu oft, dass man sich in Menschen irrt, sie falsch einschätzt und im Nachhinein darum trauert, Zeit mit ihnen verbracht zu haben. Eine bittere Erfahrung, die einen ein Leben lang prägen kann. Ich hoffe echt, dass zumindest Marius normal bleibt, sonst habe ich außer Emi niemanden zum Reden für die Zeit hier.
„Nun ja, das ist so eine Sache...", ringe ich mich nun doch durch. Er wird schon schweigen können. „Ardy hat sich irgendwie total verändert. Ist nicht mehr so wie früher. Verstehst du, was ich meine?" Der Junge nickt verständnisvoll und nimmt meine Hand. Okay... „Klar. Aber alle verändern sich doch ständig, nicht wahr?" „Das schon, aber..." Ich stocke wieder. „Es ist halt hauptsächlich unser Verhältnis. Ich mein, er kann sich ruhig die Haare färben, so oft er Bock drauf hat und sich neue Hobbies suchen, aber der Rest ist halt total verwirrend."
„Wenn du nicht willst, dann müssen wir nicht darüber reden. Ich kann verstehen, dass du das gerade alles total strange findest. Es wird sich schon alles wieder gerade biegen, glaub mir! Ardy setzt sich wahrscheinlich nur selbst unter Stress wegen den Songs, obwohl er das gar nicht braucht. Ich rede mit ihm." Ich denke zwar, dass es wohl eher an Luna und Taddl liegt, aber das sage ich ihm lieber nicht. Das Album würde meinen Cousin definitiv nicht so leicht aus der Ruhe bringen.

Auf einmal spüre ich etwas Weiches an meinem Bein und schaue nach unten. Wie eigentlich nicht anders zu erwarten, ist es der Kater. Zumindest einer von Beiden. Sein Fell ist echt kuschelig und man möchte ihn am liebsten den ganzen Tag nur knuddeln. Marley lächelt ebenfalls.
„Magst du Katzen?" Oh. Mit einem Schlag ist seine Freude aus dem Gesicht gewischt und macht einem verwirrenden Ausdruck Platz. Trauer, und doch ein Hauch gespielten Glückes. Eine hauchzarte Maske, die aber sehr leicht zu durchschauen ist.
„Ja. Habe selber einen. Yasha. Mein kleiner, lieber Schmusi. Der kuscheligste sibirische Waldkater der Welt. Mein Himmel auf Erden." Er schluckt. „Obwohl, hatte trifft es wohl eher. Ich bin ja umgezogen und er ist bei meinen Eltern geblieben. Ich vermisse ihn echt."
Daraufhin folgt Schweigen. Sehr langes Schweigen. Wir sitzen einfach nur da, denken uns etwas, aber sprechen unsere Gedanken nicht aus. Wieso muss das immer so kompliziert sein?
„Ich glaube, ich gehe dann mal." Ohne etwas Weiteres zu sagen, erhebt sich Marius und geht wieder ins Haus, während ich benommen sitzen bleibe. Na toll, ganz super gemacht!


There is nothing I can doWo Geschichten leben. Entdecke jetzt