Ich bleibe stehen und warte wiederwillig auf ihn.
"Danke!", sagt er atemlos und schaut mich freundlich an.
Ich schweige, denn ich möchte so wenig wie möglich mit ihm quatschen.
Zusammen schlendern wir zu der großen alten Tür.
Herr Stempf hat recht.
Sie ist offen und die kühle Luft schlägt uns entgegen.
Ich drehe mich zu kleinem Bruder, der mir höflich die Tür aufhält.
Er ist total blass.
"Alles in Ordnung bei dir?" , frage ich ihn und beiße mir verärgert auf die Lippe.
Ich wollte nicht mit ihm reden.
"Jaja ... !" , meint er.
Glücklich über seine kurze Antwort, gehe ich gemütlich in den vierten Stock, stumm und leise.
Ich öffne schnell die Tür und steuere geradewegs auf meine Tasche zu.
"Soll ich dir deine Tasche mitbringen?" , frage ich ihn und könnte mich nochmals ohrfeigen.
Sei einfach still.
Hör auf so nett zu sein.
Kleiner Bruder steht schwankend im Türrahmen und schielt auf den Boden.
"Ich kann nicht" , sagt er noch, dann rennt er blitzschnell nach links.
Ähm ... hallo?
Was soll das denn bitte.
Ich wollte so schnell es geht mein Zeug holen und dann weg und jetzt verschwindet der Depp einfach und lässt mich hier alleine stehen.
Ich könnte nun einfach gehen.
Ist ja nicht mein Problem.
Aber meine Fürsorglichkeit siegt und ich lasse meine Tasche wieder fallen.
"Moritz?" , rufe ich leicht genervt.
Keine Antwort.
Der kann sich doch nicht einfach so verpissen.
Ich schaue nach links in den langen Flur.
Keine Spur von kleinem Bruder.
Ich werfe einen Blick in die nebenliegenden Klassenzimmern, auch hier keine Spur.
Vielleicht auf dem Klo?
Vorsichtig öffne ich die Tür zur Jungstoilette.
"Moritz?"
Als Antwort bekomme ich ein laues Würgen und Husten zu hören.
"Moritz alles gut?" , frage ich etwas nervös.
Ich höre die Toilettenspülung, dann kommt kleiner Bruder käsebleich aus der Kabine.
"Ich glaube ich habe einen Sonnenstich!" , sagt er und hält sich an der Tür fest.
Ich mache ein paar Schritte auf ihn zu.
Seine Augen sind milchig und er sieht total fertig aus.
"Soll ich mal ... fühlen?" , frage ich ihn unsicher.
Er nickt.
Vorsichtig lege ich meine Hand auf seine rote Stirn.
Ich habe sowas noch nie gemacht aber jeder Idiot würde merken, dass er glüht.
"Caro ich glau ... !" , ein großer brauner Schwall ergießt sich über mein T-Shirt, Hose und Schuhe.
Bleib ganz ruhig.
Mir wird schlecht aber ich schlucke den dicken Kloß, der sich in meinen Hals gebildet hat, runter.
Er hält sich erschrocken die Hand vor den Mund und ganz langsam nehme ich meine wieder von seiner Stirn.
"Scheiße!" , sagt er.
"Nein. Kotze!" , meine ich und versuche zu lächeln.
"Tut mi ... !" , er sprintet in eine der Kabinen und ich höre nochmals ein lautes Würgen.
Dann blicke ich an mir herunter.
Ich bin komplett voll mit Kotze.
Ich stinke widerlich und der bloße Anblick meines Shirts führt zu einer Atomnot meinerseits.
Ich stehe einfach nur da und weiß nicht was ich machen soll.
Das kann doch nicht sein!
Sowas habe ich noch nie erlebt.
Eine Freundin hat schon mal in mein Zimmer gekotzt aber meine Mutter hat sich dann um alles gekümmert.
Ich atme tief durch und erwache aus meiner Starre.
Ohne Nachzudenken werfe ich mein T-Shirt auf den Boden und versuche meine Hose so gut es geht von Erbrochenem zu befreien.
Meine Schuhe stelle ich angewidert an den Rand und gehe dann zu kleinem Bruder.
Er hängt verkrümmt über der Kloschüssel und übergibt sich erneut.
"Lass es einfach raus!" , spreche ich ihm gut zu und versuche ihn irgendwie zu beruhigen.
Was sagt man denn in solch einer Situation?
Er spukt nochmal, sodass mir ein kalter Schauer über den Rücken läuft.
Danach ist es erstmal still.
"Ist es ... vorbei?" , frage ich vorsichtig.
"Glaube schon!"
Er dreht sich von der Toilette weg und lehnt seinen Kopf an der Wand an.
"Warte kurz!" , bitte ich ihn und hole ein paar Tücher aus dem Spender.
Dann setze ich mich wieder neben ihn.
"Du hast da ... soll ich ... ich das wegmachen?" , frage ich etwas unbeholfen und deute auf seinen Mund an dem noch Reste von seinem Erbrochenem hängen.
Er schweigt und dreht seinen Kopf wortlos zu mir.
Er tut mir unglaublich leid.
Unsicher wische ich ihm die Kotze weg und schmeiße das Tuch ins Klo.
Ich komme mir ehrlich gesagt etwas dämlich vor.
Im Bikinioberteil, Barfuß und mit dreckiger Hose neben einem leichenblassen Kerl zu hocken, der auch gerade aus einem Grab gekrochen sein könnte.
Und das alles auf dem Männerklo.
"Tut mir leid!" , sagt er irgendwann und durchbricht damit die unheimliche Stille.
"Kannst du nichts dafür!"
Ich schaue ihn an.
Sein Blick ist starr nach vorne auf die voll gekritzelte Kabinenwand gerichtet.
"Tut mir trotzdem leid!"
Er dreht sich zu mir und schaut mir in die Augen.
Sein Blick ist so weich, dass ich rot werde und eilig woanders hinschaue.
"Kannst du mir kurz helfen ... ich würde gerne mein Gesicht waschen!"
Ich nicke und helfe ihm hoch.
Zusammen und im Schneckentempo gehen wir zu den alten verkalkten Waschbecken.
Er dreht den Wasserhahn auf und wäscht sich sein Gesicht.
Ich blicke derweil auf meine dreckigen Schuhe.
Die waren nagelneu.
Jetzt kann ich sie in den Müll werfen.
"Kannst du mir ein Tuch geben?" , fragt er.
Ich hole schnell eins und drücke es ihm in die Hand.
"Glaubst du, du kannst zurück zum Klassenzimmer?" , frage ich ihn.
Er hält sich an meinem Arm fest und blickt zu Boden.
"Caro ich mu ... !" , er stößt mich feste zurück und ich knalle mit dem Kopf an das Waschbecken.
Kleiner Bruder übergibt sich laut würgend in der Ecke und die Fließen werden mit einer braunen Soße überzogen.
Ich fasse mir an meinen Kopf, der höllisch weh tut.
"Ich rufe jetzt deine Eltern an!" , sage ich entschlossen und rappele mich auf.
Das kann so nicht weiter gehen.
"Dein Handy liegt im Klassenzimmer?"
Er nickt kurz und starrt verstört auf sein Erbrochenes.
"Ich bin sofort wieder da!"
Dann öffne ich die Türe und trete in den Flur.
Die frische Luft tut gut und das Klassenzimmer ist zum Glück nicht weit weg.
Dort angekommen krame ich in seinem Rucksack nach seinem Handy.
Nachdem ich es gefundene habe, nehme ich es und renne dann zurück zu kleinem Bruder.
Als ich die Tür aufmache schlägt mir ein unerträglicher Gestank entgegen.
Wie verschimmelter Käse gemischt mit den Häufchen von ungefähr tausend Hunden.
"Dein Code?" , frage ich ihn und halte die Luft an.
"4749!"
Ich tippe die Zahlenfolge schnell ein und suche in den Kontakten nach der Nummer seiner Mutter.
Dann rufe ich an.
"Hallo Moritz?" , fragt eine piepsige Stimme.
"Äh ne ... hier ist Caro ... ... eine Freundin von Moritz. Wir haben ein Problem!"
"Oh hallo, was ist denn los?" , hakt sie nach.
"Wir waren heute im Freibad und Moritz hat einen Sonnenstich. Er muss sich die ganze Zeit übergeben.
Vielleicht können sie ihn abholen?" , erkläre ich ihr eilig.
"Oh Gott, natürlich, wo seid ihr?"
"In der Schule. Wir probieren nach unten zu kommen!"
"Ich bin in 10 Minuten da!"
"Dankeschön!" , sage ich noch, bevor ich auflege.
Ich höre wie kleiner Bruder würgt und hustet.
"Deine Mutter kommt gleich!" , erzähle ich ihm erleichtert.
"Danke Caro!"
Er dreht sich zu mir um, immer noch leichenblass.
"Wir müssen langsam nach unten gehen!"
Seine Augen weiten sich.
Dann schüttelt er kräftig den Kopf.
"Das kann ich nicht!"
"Doch! ... wir schaffen das!"
Ich drehe mich einmal um meine eigne Achse und suche nach einem Eimer oder einem großen Gefäß.
"Caro!"
"Ja?"
Ich schaue wieder zu kleinem Bruder.
"Du blutest!" , sagt er leise.
"Wo?"
Ich blicke mit einem mulmigen Gefühl an mir herunter.
"Hinterkopf!"
Vorsichtig greife ich mir an den Hinterkopf.
Eine warme Flüssigkeit färbt meine Fingerspitzen rot und rinnt langsam an meinen Haaren herunter.
Tief durchatmen.
"Das ist nicht schlimm!" , lüge ich und versuche ein Lächeln über die Lippen zu bekommen.
Ich konnte Blut noch nie gut sehen.
"Ich habe dich geschubst. Das ist meine Schuld!" , sagt er traurig.
"Nein ... du kannst nichts dafür!"
Ich schaue ihm in die Augen.
Dieses Blau ist wunderschön.
Als würde man darin ertrinken.
"Wir müssen jetzt nach unten!" , sage ich und durchbreche die Stille, die zwischen uns herrscht.
Er nickt unsicher.
Ich halte ihm die Tür auf, sodass er in aller Ruhe in den Flur staksen kann.
"Warte kurz!" , bitte ich ihn, als wir zusammen den Flur entlang schlendern, und verschwinde in der Putzkammer.
Gleich auf Augenhöhe finde ich einen Eimer.
"Nur für Notfälle!"
Schnell reiche ich ihm den pinken Kübel und eile dann ins Klassenzimmer um unser Zeug zu holen.
So schnell es geht werfe ich mir mein Reserve T-Shirt über und husche dann wieder nach draußen.
"Geht es?" , frage ich kleinen Bruder als wir die Treppe hinunter gehen.
Er nickt als Antwort und mir fällt ein kleiner Stein vom Herzen.
"Hallo?" , ertönt auf einmal eine helle Stimme und ich bekomme seine Mutter zu Gesicht.
Eine kleine zierliche schick gekleidete Frau mit blonden streng zurückgebundenen Haaren.
"Oh nein, mein Junge!"
Sie rennt auf uns zu und streichelt ihm behutsam über den Kopf.
"Vielen Dank, ... Caro!" , sagt sie erleichtert und mustert mich.
Nein, normalerweise sehe ich nicht aus wie ein Penner und normalerweise trage ich auch Schuhe.
"Caro fährt bei uns mit, wir nehmen sie mit!" , fordert kleiner Bruder.
Ich blicke ihn etwas überrascht an.
"Aber natürlich!" , sagt seine Mutter.
"Dankeschön!" , murmle ich leise.
Er hält mich zurück.
"Ich habe dir zu danken!"
"Hey, was machen sie in der Schule?" , ruft eine aufgeregte Stimme.
Unser Hausmeister steht mit hochrotem Kopf im Gang und hält den Besen festumschlossen in seiner Hand.
"Wir sind gerade am Gehen!" , sage ich schnell und dränge die Beiden zur Tür.
Etwas verdutzt blickt er uns hinterher.
"Ach, ich glaube die Toilette im vierten Stock müsste nochmal gesäubert werden!" , dann fällt die Tür hinter uns zu.___________________________________
Bin im Updatefieber ^^
Über Kommis würde ich mich sehr freuen :)
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Proud
Teen FictionProud-Club klang richtig gut, als ich das Angebot auf meinem Wahlfachzettel las. Und nun stehe ich Händchen haltend in einem Kreis und versuche meinen inneren Frieden zu finden. Gar nicht so einfach, denn meine Kameraden haben so ihre Macken, mit de...