Neuer Blickwinkel

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Maria fühlte, wie ihr Herz wie verrückt in ihrer Brust hämmerte. Sie wich mit vor Schock geweiteten Augen vor ihm zurück. Großer Fehler. Sie spürte eine Wand in ihrem Rücken. Lachend stützte er sich mit seinen Händen an dieser Wand ab und legte seine Stirn an ihre. Sie saß in der Falle. Naja, es war ja nicht so, als ob ich überhaupt eine Chance gehabt hätte, dem Teufel höchstpersönlich zu entwischen.

„Du hast Angst ... Das kann ich verstehen ... Wenn du gern einen Moment hättest, um ein letztes Gebet auszusprechen ..."

„Ich verzichte", lehnte sie stirnrunzelnd ab.

Er ging einen Schritt zurück, um sie besser ansehen zu können. „Tatsächlich?", fragte er überrascht nach. „Deine kleine Halskette erzählt mir da aber etwas anderes ..." Er warf einen abschätzenden Blick auf den schlichten Kruzifix um ihren Hals.

„Was bringt es mir schon, zu Gott zu beten? Er hört mich doch sowieso nicht. Ich habe ihn damals angefleht, meine Mutter zu retten, als sie krank wurde und sie ist trotzdem gestorben. Ich habe Gott gebeten, mich von meinem fanatischen Vater zu befreien oder ihn wenigstens von seinen Hirngespinsten zu heilen. Aber kein einziges Mal hat mich Gott erhört.

Naja, vielleicht behält mein Vater ja am Ende doch Recht. Vielleicht bin ich ja wirklich eine verfluchte Abscheulichkeit aus der Hölle, unwürdig in den Augen Gottes. Ich meine, ich rede hier gerade mit dem Teufel höchstpersönlich. Wenn das nicht mal irgendein grausames Zeichen des Schicksals ist, dann weiß ich auch nicht ..."

„Wow, in dir sieht es wohl ziemlich finster aus ... Und das bloß, weil dein Daddy dich nicht genug liebt?", verspottete er sie. Das machte sie wütend.

Es schien dumm und naiv, aber sie sah ihr Schicksal bereits besiegelt, also stieß sie ihn ein Stück zurück. „Mich nicht genug liebt?!", fuhr sie ihn an. „Er verabscheut mich seit meiner Geburt! Er glaubt, dass meine Mutter gestorben ist, weil ich überhaupt existiere! Er hält mich für eine buchstäbliche Ausgeburt der Hölle!

Er hat jahrelang alles Mögliche versucht, um den Teufel aus mir zu vertreiben und jetzt stehst du hier direkt vor meiner Nase und machst dich über mich lustig! Das ist doch wohl ein schlechter Witz! Was er heute an meinem Gesicht gemacht hat, das blaue Auge und die kaputte Lippe ... Das ist mit Abstand das Harmloseste von allem, okay?!"

Sie kehrte ihm den Rücken zu und schob ihr Shirt hoch, sodass er die etlichen alten Narben auf ihrem Rücken betrachten konnte, die von den Peitschen stammten. Sie hatte keine Ahnung, woher sie sich so plötzlich den Mut nahm, mit dem Teufel in so einem vorlauten Ton zu sprechen. Womit sie in dem Moment überhaupt nicht gerechnet hätte, war, dass er ihre Narben berührte. Er fuhr die Linien sanft mit seinen kühlen Fingern nach.

Als er seine Finger wieder weg nahm, spürte sie ein ungewöhnliches Kribbeln auf ihrer Haut. Instinktiv fasste sie ihre Narben an und fühlte nichts als ebenmäßig glatte weiche Haut. Sie fasste an ihre Lippe und bemerkte, dass sie wieder verheilt war. Ihr blaues Auge pochte auch nicht mehr. Stirnrunzelnd holte sie ihr Handy aus der Hosentasche und schaute sich ihr Gesicht in der Spiegelung des dunklen Displays an.

Verwirrt blickte sie zu ihm auf. „D-Du ... Du hast all meine Verletzungen geheilt? Sogar die alten Narben?", fragte sie.

„Ja", antwortete Luzifer schulterzuckend.

„Wieso?", klang sie leicht hilflos bei der Frage.

„Brauche ich denn einen Grund? Kann ich nicht einfach mal ausnahmsweise nett sein? Die meisten von euch Menschen sind mir nie begegnet und glauben, mich trotzdem zu kennen. Vielleicht bin ich ja nicht das üble Monster, für das ihr mich alle haltet?"

„Und das soll ich glauben?", hakte Maria zweifelnd nach.

„Glaub doch, was du willst, Kleine ... Warum kannst du dich nicht einfach bedanken und es gut sein lassen?!", wurde er etwas lauter.

„Äh, tut mir Leid", entschuldigte sie sich nervös. „Vielen Dank ... Luzifer?"

„Satan, Teufel, Schlange, Lichtbringer ... so viele Namen, aber ja, ich bevorzuge Luzifer", bestätigte er ihre unausgesprochene Frage.

„I-Ist es wahr, was mein Vater glaubt? Und wenn ja, warum gerade ich? Bitte, ich will es einfach nur verstehen ... "

„Meinst du jetzt diese Theorie, dass deine schönen roten Haare deine Verbindung zu mir symbolisieren? Wenn ja, dann lass dir gesagt sein, dass das totaler Schwachsinn ist und mir ein weiteres Mal klar vor Augen führt, wie lächerlich ihr Menschen doch seid ..."

„Wenn du wirklich so wenig von Menschen hältst, warum hast du mich dann geheilt?", fragte Maria nachdenklich.

„Wir beide wurden ungerecht behandelt. Unsere Väter, deren Aufgabe es eigentlich ist, uns zu lieben und uns zu beschützen, haben uns stattdessen für Dinge bestraft, die nicht in unserer Macht lagen. Mein Vater trägt eigentlich die Hauptschuld an allem. Ich meine, er hat immerhin uns alle geschaffen. Er hat uns so gemacht, wie wir sind. Mich würde es gar nicht geben, wenn er es nicht so gewollt hätte. Er wollte den Teufel, nur damit er der Gute, der große Held, sein kann."

Das ... klang logisch, fand Maria. Sie hätte nie gedacht, dass sie dem Teufel eines Tages Recht geben würde. Jede Geschichte hatte immer zwei Seiten. Nur weil sie und die meisten anderen bisher nur die eine Seite kannten, musste das noch lange nicht heißen, dass es auch die Richtige war ...

„Eine Frage hätte ich noch ...", setzte sie zögerlich an.

„Schieß los", nickte er.

„Wirst du mich umbringen?"

„Wieso sollte ich?", runzelte Luzifer die Stirn. „Du hast mir nichts getan und es gibt keinen Vorteil, den dein Tod mir verschaffen könnte. Was hätte ich schon davon?"

„Keine Ahnung, ich dachte, es macht dir vielleicht Spaß?"

„Tut es auch, aber ganz ehrlich? Du gefällst mir und als vor sich hin rottende Leiche wärst du nicht sehr unterhaltsam ... Ich arbeite so hart, um meine Pläne zu verwirklichen. Da kann ich mir das doch mal gönnen, findest du nicht?"

„Ich bin jetzt also das neue Unterhaltungsprogramm des Teufels, oder wie?", hakte Maria ungläubig nach.

„Sieht ganz so aus!", lachte er auf.

Verdammt, wo bin ich da bloß hineingeraten?!

ABGEBROCHEN! Kissed By The DevilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt