Distelgrau

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Distelgrau
Distel – Deine spitzen Reden schneiden durch mein Herz

Leise seufzend schmiegte sich Hermine noch ein kleines Stückchen näher an die große Gestalt, die  hinter ihr auf dem Sofa saß. Ein Buch lag ruhig auf ihrem Schoß und heißer Dampf stieg aus der Tasse auf dem Tisch.
Die letzten vier Wochen waren wohl die schönste Zeit in ihrem Leben. Jeden Tag nach der Arbeit apparierte sie entweder nach Hogsmeade, um Severus dort zu treffen und etwas Essen zu gehen oder er stand abends vor ihrer Tür und wartete auf sie. An den Wochenenden verkrochen sie sich meistens in Hermines Wohnung und führten angeregte Gespräche über diesen und jenen Zaubertrank, ihre Arbeit im Ministerium oder die Unfähigkeit der Schüler. Bei letzterem Thema setzte Hermine sich immer felsenfest für die armen Kleinen ein und sie war stolz auf sich, dass sie ihrem ehemaligen Professor die Stirn bot. Oder aber sie lasen stundenlang schweigend nebeneinander Bücher, bis eine kleine fahrige Berührung – sei es ein sanftes Streifen, wenn sie einander die Teetassen übergaben oder ein zu intensives Ankuscheln – ihnen eine Gänsehaut über den Körper schickte.
Hermines Wangen wurden rot, wenn sie an all die Male dachte, in denen seine langen Finger sich in ihren Haaren vergraben und seine dünnen Lippen die Ihren erobert hatten. Ihre Gedanken drifteten zu ihrer ersten intimeren Begegnung ab und augenblicklich begannen ihre Wangen zu brennen.

Er hatte sie so nah an sich gezogen, wie er es noch nie getan hatte. Seine Finger fuhren ihren gesamten Körper entlang und Hermine war sich sicher, dass nicht die kalte Steinwand der Kerker in ihrem Rücken für ihre Gänsehaut verantwortlich war.
Sie hatte ihre Arme um seinen Hals gelegt, während ihre Zunge einen Kampf mit seiner ausfocht. Ganz so, als wären sie Ritter in strahlenden Rüstungen, die mit ihren schweren Eisenschwertern gegeneinander antraten.
Als er sich für einen kurzen Moment von ihr löste, um ihre Bluse über ihren Kopf zu ziehen und sie achtlos auf den Boden zu werfen, hatte Hermine atemlos die Augen geschlossen und ihren Kopf an die Mauer hinter sich gelegt. Sie hatte die Kälte willkommen gehießen und ihre Gedanken versucht zu ordnen. Doch sie kam erst gar nicht dazu, ehe seine Lippen wieder mit aller Leidenschaft gegen ihre pressten. Sie spürte sein schnelles Herz unter ihren Fingern schlagen und fühlte sich, als würde sie auf Wolken schweben. Seine Finger suchten sich weiter den Weg über ihren Körper. Severus war so zärtlich, als würde er eine winzige Maus streicheln. Als hätte er Angst, er würde sie verletzen können.
Ihre zittrigen Finger knöpften seine Robe auf und als sie sie nach gefühlten Stunden endlich gänzlich geöffnet hatte, streifte sie ihm den schweren Stoff von den Schultern, der sogleich raschelnd auf den kalten Stein fiel. Seine warme Haut unter ihren sensiblen Fingerspitzen fühlte sich für sich beinahe surreal an, doch sie genoss jede Sekunde. Hatte sie sich doch so lange danach gesehnt. Ihr Blick traf auf seinen und augenblicklich schien es, als hätten sie eine Verbindung zueinander. Als würde ein kleiner grauer Faden sie miteinander verbinden. Severus hob seinen Mundwinkel leicht an, ehe er ihr erneut einen verlangenden Kuss aufdrückte.

Ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie daran dachte. Nie hatte sie gedacht so glücklich sein zu können. Und doch legte sich eine Traurigkeit über sie, die ihr Lächeln augenblicklich verschwinden ließ. Severus hatte sich in den letzten Tagen verändert. Sie sah ihn nicht mehr jeden Abend – er hatte viel in Hogwarts zu tun. Jedenfalls war das seine Begründung. Umso mehr genoss sie diesen Abend mit ihm auf ihrer Couch. Hermine wusste, dass eine Beziehung nicht immer einfach war. Und schon gar nicht mit einem Severus Snape. Aber genau deshalb verlor sie auch nie die Hoffnung. Sie fand, dass sie und Severus die perfekte Mischung waren. Ein absoluter Kompromiss zwischen seinem Schwarz und ihrem Weiß; ein perfektes Grau, das sowohl trist, als auch tröstlich sein konnte.
„Ich muss gehen." Seine kalte Stimme riss sie abrupt aus ihren Gedanken. Verwirrt schaute sie auf ihre antrazitfarbene Wanduhr.
„Es ist doch erst halb sieben", hauchte sie leise und fürchtete sich. Sie fürchtete sich, denn sie spürte, dass sie ihn langsam verlor. Dass er ihr langsam aus den Fingern glitt.
Langsam erhob er sich und ließ ihren Rücken, an dem eben noch sein Oberkörper gelehnt hatte, frierend zurück.
„Und dennoch muss ich gehen." Severus richtete seine Roben, schob den mausgrauen Sessel zur Seite, um das Buch, das er bis eben gelesen hatte, zurück in das Regal zu stellen und ging mit gestrafften Schultern zur Tür.
Hermine hatte alles stumm beobachtet, doch nun breitete sich Panik in ihr aus.
„Gehst du, ohne dich zu verabschieden?", fragte sie leise, ihre Stimme was brüchig und sie wusste, dass sie haltlos zu weinen beginnen würde, wenn er erst einmal durch die Tür verschwunden wäre. Severus stoppte abrupt und blickte, mit dem Rücken zu ihr, auf die Haustüre.
„Auf Wiedersehen, Hermine", gab er zurück, ehe er durch die Tür trat, sie schloss und nichts als Stille zurückließ. Und wie prophezeit stahl sich eine Träne ihre Wange hinab, als sie das Klacken des Schlosses hörte.

Als Hermine am nächsten Tag aus dem Fenster schaute, spiegelte das Wetter ihre Gefühle wider. Dicker Nebel hing in der Luft und machte es beinahe unmöglich, auch nur zehn Meter weit zu schauen. Seufzend wandte sie sich ihrem Kleiderschrank zu. Sie hatte entschieden bei so einem Wetter an einem Samstag bloß in Jogginghose und Schlafshirt durch die Wohnung zu laufen, deshalb nahm sie sich ihre graue Lieblingshose aus dem Schrank und zog sie über.
Kaum zehn Minuten später stand sie an der Theke in ihrer Küche über ihren heißen, dampfenden Tee gebeugt. Die ganze Nacht schwirrten ihr Fragen und Gedanken durch den Kopf. Hatte sie etwas falsch gemacht? Wieso war Severus so abweisend zu ihr? Doch ehe sie auch nur noch einen weiteren Gedanken daran verschwenden konnte, ließ ein lautes Klopfen sie aufhorchen. Ihr Blick glitt zu ihrem Küchenfenster. Dort saß eine kleine schwarze Eule, die mit stoischer Ruhe gegen das Glas pickte. Sofort durchströmte Hermine ein Gefühl des Glücks. Sie wusste ganz genau wem diese winzige Eule gehörte und nach seinem kühlen Abgang am vorigen Abend, war sie einfach nur erleichtert von ihm zu hören.
Hermine stieß sich von der Theke ab und hüpfte beinahe zum Fenster, um der Eule Einlass zu gewähren. Mit einem kleinen Sprung stand diese nun auf ihrem Fensterbrett und streckte ihr ihr kleines Beinchen entgegen. Schnell nahm Hermine ihr den Brief ab, legte ihr noch zwei Eulenkekse auf den kalten Stein und schlenderte zurück zu ihrem Tee. Das Fenster würde sie zumachen, sobald die Eule verschwunden war.
Sie betrachtete nicht lange das elegante Pergament mit dem Wappen Hogwarts' darauf, sondern trennte den Brief ordnungsgemäß mit einem metallenen Brieföffner auf und begann zu lesen. Schlagartig verzogen sich ihre Mundwinkel zu einem breiten Lächeln, ehe sie in ihr Schlafzimmer rannte, um sich umzuziehen.

Der dichte Nebel umhüllte Hermine, als sie auf den schottischen Hügeln stand und wartete. Der November nahm seine Arbeit wirklich ernst und ließ dicke graue Wolken über ihr hängen, die verheißungsvoll den nächsten Regen andeuteten. Doch in Hermine brannte eine Sonne aus Freude und Glück. Severus hatte sie dorthin beordert und sie freute sich unaussprechlich ihn zu sehen.
Als sie dann seine große, schwarze Gestalt durch den Nebel erkennen konnte, schlug ihr ihr Herz bis zum Hals. Er war nur noch wenige Meter von ihr entfernt, als sich ein glückliches Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. Doch als sie sein Gesicht, umhüllt von Nebel und seinen schwarzen Haaren, erkennen konnte, erlosch es wieder.
„Hey", flüsterte sie, während er sich vor ihr positionierte und sie kalt ansah. Seine Gesichtszüge waren verhärtet, die Augenbrauen hatte er tief in sein Gesicht gezogen und die Furche zwischen ihnen war tiefer als je zuvor. Er begrüßte sie nicht und augenblicklich spürte Hermine, dass seine Emotionen wie Rauch verschwunden waren. Als wären sie nie dagewesen. Als wären sie eine dünne Staubschicht gewesen, die er mit dem letzten Hausputz weggewischt hätte.
„Es geht nicht mehr." Seine kalte Stimme bohrte sich in ihr Herz und schnitt mit einer silberglänzenden Klinge tiefe Wunden hinein.
„Was geht nicht mehr?", fragte sie leise, aus Angst vor der Antwort. Heiße Tränen brannten in ihren Augenwinkeln, drohten auf die winzigen Kiesel unter ihr zu fallen.
„Ich werde diese Liaison beenden", antwortete er hart und schnitt mit jedem Wort tiefer in ihr Fleisch. Hermines Atmung beschleunigte sich, ihr Herz verlangsamte sich im Gegenzug dazu. „Du bist zu jung, ich bin zu alt und gefährlich. Es hätte nie eine Zukunft gehabt." Seine stechend schwarzen Augen bohrten sich in ihre Seele, durchwühlten alles und ließen sie zerstört zurück. In ihrem Kopf verloren die Bilder der letzten Wochen an Farbe, wurden schwarz, weiß und grau und dienten, wie alte Fotos, bloß noch als Erinnerungen.
Die Sonne der Freude in ihrem Innern, setzte ihr Herz in Flammen und verbrannte es in ihrer Brust, bis nur noch Asche übrig war und nun konnte sie auch nicht mehr die Tränen zurückhalten.
Sie wollte schreien und ihm sagen, dass sie ihn brauchte und ihn liebte, doch sie nickte nur stumm. Nach einem kurzen Nicken, drehte sich Severus um und ging mit wehen Roben davon. Ließ eine schluchzende Hermine hinter sich, als wäre sie nur Schall und Rauch.

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