London, 1786

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Ihre schmale Hand in seiner rannten sie hinein in den dunklen Park der Pimplebottoms. Das Feuerwerk hatte gerade erst begonnen und erfüllte den Novemberabend mit seinem lauten Getöse. Der schwere Chronograph, die Zeitmaschine mit den zwölf kostbaren Edelsteinen, schlug bei jedem Schritt hart gegen seine Beine, doch das einzige, was in diesem Moment zählte, war ihre Flucht. Er wünschte sich nicht zum ersten Mal, dass dieses Gerät zerbrechlich genug wäre, um es durch so eine einfache Erschütterung vernichten zu können. Ihre Probleme wären dreimal einfacher zu lösen.

Ein hastiger Blick über die Schulter bestätigte ihm, dass Rakoczy noch eine Weile brauchen würde, bis er sie erreichte. Sein Ablenkungsversuch hatte funktioniert. Für den Moment wähnte Gideon de Villiers sich in Sicherheit. "Wo hast du so gut kämpfen gelernt?"

"Mein Vater sagt, ich sei ein Naturtalent." Gwendolyn Shepherd, seine Zeitreisepartnerin, sah ihn nicht an, sondern starrte angestrengt in Richtung der etwas höher gelegenen Terrasse. Die aufsteigenden Feuerwerkskörper spiegelten sich in ihren blauen Augen und ließen sie funkeln wie den Abendhimmel.

Liebend gerne hätte er ihr aufgestecktes schwarzes Haar berührt und die Spangen die es hielten gelöst, doch er riss sich zusammen. "Gwen...", entschlüpfte es ihm leise und als sie ihn nun endlich ansah, wäre er beinahe zurück gestolpert. Schmerz und mühsam unterdrückte Liebe lag in ihren Augen. Dieser verfluchte Plan des Grafen. So viel hatte Gideon getan, um Gwen von sich fernzuhalten. Schlussendlich hatte er ihr sogar das Herz gebrochen. Er hatte sie verletzt und trotz alledem war sie gekommen. Hatte den Chronographen, ihre einzige Chance ohne die Loge zu überleben, bereitwillig geopfert, um sein beschissenes kleines Leben zu retten. Zum zweiten Mal. "Eins musst du wissen. Ich wollte nie nur mit dir befreundet sein."

Eindringlich sah er sie an. Gwen erwiderte seinen Blick und ehe er reagieren konnte, hatte sie ihre Hand sanft in seinen Nacken gelegt und ihre Lippen auf seine gedrückt. Ihr vertrauter Geruch stieg ihm in die Nase. Leise seufzte er auf, legte seine Hand in ihr Kreuz und zog sie noch etwas näher an sich. Sie war seine Droge, seine Liebe, sein Leben. Viel zu lange hatte er auf sie verzichten müssen.

Sein dummes Herz schlug vor Aufregung heftig gegen seinen Brustkorb, was vielleicht aber auch ihrer schnellen Flucht eben zu verschulden war, als er sich widerstrebend von ihr losmachte und einen Schritt von ihr wegtrat. Sie hatten keine Zeit. Alles was zählte, war die Tatsache, dass sie irgendwie die Zeit bis zu ihrem Rücksprung überbrücken mussten. Aber nicht hier, mitten ihm Park, wie auf dem Präsentierteller. Gwens frustrierter Laut tat ihm in der Seele weh, ebenso wie der verletzte Blick, der ihn kurz darauf traf. Sie dachte, er hätte sie zurück gewiesen. Natürlich dachte sie das. Er konnte es ihr nicht einmal verübeln. "Kannst du dich jetzt endlich mal entscheiden, was du von mir willst? Mein Herz macht das nicht mehr mit." Wütend funkelte sie Gideon an.

"Gwen." Tief luftholend versuchte er die richtigen Worte zu finden, was schwer war, da er sich ihrer Präsenz nur allzu gut bewusst war. Er benötigte all seine Beherrschung, damit er sie nicht erneut an sich zog. "Wenn du mich küsst, dann fühlt sich das an, als würde jemand in meinem Innern einen Benzinkanister auskippen und anzünden." Verwirrt sah sie ihn an und blies sich eine verirrte Haarsträhne aus den Augen. Nur zu gerne hätte er sie selbst mit den Fingern weggestrichen. "Ich habe keine Ahnung, was du mit mir machst", setzte er verzweifelt hinzu, in der Hoffnung, sie würde es bald verstehen.

"Soll heißen?", fauchte sie, ihre Hände zu Fäusten geballt.

"Das soll heißen, dass ich nicht mehr ohne dich leben kann, dass sich alles um dich dreht." Er atmete tief ein, der Geruch von Feuer trat ihm in die Nase, doch er beunruhigte ihn nicht. Im achtzehnten Jahrhundert war die Pyrotechnik noch längst nicht so ausgereift, wie in ihrer Zeit. Abgesehen davon kostete ihn dieses Geständnis einiges an Mut. "Und es macht mir verdammt Angst."

"Aber Gideon mir geht es doch genauso. I-ich hab' echt versucht dich zu hassen. Aber..."

Rasch unterbrach er sie, als er hinter sich Rakoczys Männer brüllen hören konnte. Dennoch musste sie noch eins verstehen. Seine Beweggründe. Sie sollte nicht glauben, er hätte sie aus einer reinen Laune heraus verletzt. "Der Graf verwendet unsere Gefühle gegen uns. Ich sollte dir gleichgültig sein."

Gideon konnte ihr ansehen, dass sie protestieren wollte, doch der wütend brüllende Rakoczy hinter ihnen, zwang sie zum Weiterlaufen. "Warum habt ihr sie entkommen lassen? Ihr habt nicht aufgepasst."

Seine Stimme mit dem seltsamen ungarischen Akzent klang erschreckend deutlich durch den Lärm der Bonfire Festlichkeiten. Sie hatten zu viel Zeit verloren. "Komm!"

"Gideon de Villiers!", brüllte der erste Handlanger des Grafen weiter.

Er spürte Gwen neben sich für einen Moment erstarren. Auch ihr war klar geworden, in welch brenzliger Situation sie sich befanden. Um sie abzulenken, drückte Gideon ihre Hand ein wenig fester und sagte, weiterhin über den unebenen Boden rennend: "Hast du vergessen, was für ein Kotzbrocken ich bin?"

Sie erwiderte sein Lächeln, wenn auch etwas gezwungen, er wollte gerade etwas ergänzen, als ein weiterer Schuss durch die Nacht hallte. Hastig zog er seine große Liebe hinter eine der großen Windhundstatuen. Sie hockten sich mit dem Rücken dagegen auf das feuchte Gras, vor ihnen der dunkle Wald. "Du entkommst mir nicht." Rakoczys Drohung trieb ihm eine Gänsehaut in den Nacken, die er krampfhaft zu unterdrücken suchte. Angst würde ihm in diesem Moment das Gehirn vernebeln und er brauchte jetzt einen klaren Kopf.

"Auf die Sache mit dem Kotzbrocken würde ich später gerne noch einmal zurückkommen." Gwens Augen blitzten spitzbübisch auf, wenn dieser ansatzweise Flirtversuch auch nicht ausreichte, sie die Situation vergessen zu lassen. "Jetzt lass uns aber erstmal lebendig wieder in die Gegenwart zurückkehren."

"Gideon de Villiers. Wo seid ihr?" Erneute Schüsse. Einer schlug direkt in den Sockel der Statur ein und Gideon legte hastig die Hand über Gwens Mund, um ihren Schrei zu ersticken, den sie unweigerlich ausgestoßen hatte. Wahrscheinlich wäre sie über die explodierenden Feuerwerkskörper zwar eh nicht gehört worden, aber sicher war sicher. "Los, findet sie."

"Wir haben nur noch wenige Minuten, solange müssen wir noch durchhalten. Die dürfen auf keinen Fall mein Blut mit dem Chronographen zusammenbekommen." Nur ungern wollte er sich ausmalen, was passierte, wenn sie die Zeit nicht überbrücken konnten. Zur Not würde er den Grafen und seine Lakaien persönlich ablenken, um Gwen die nötige Zeit zu verschaffen. "Wir müssen uns trennen."

Der junge de Villiers konnte Gwen ansehen, dass ihr das gehörig gegen den Strich ging. Sie öffnete den Mund, kam allerdings nicht zum protestieren, da ein weiterer Schuss nur knapp neben ihrem Versteck in den Boden einschlug.

"Okay?"

Er konnte ihre Entschlossenheit in ihren Augen blitzen sehen. Auch sie war bereit. "Okay." Mit diesem einen Wort wandte sie sich um und verschwand leisen Schritts im Gebüsch, den Chronographen in der Hand. Gideon betete zum Himmel, dass er sie jetzt nicht zum letzten Mal lebend gesehen hatte.

Smaragdgrün - Im Tode vereint (OS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt