Einige Monate nach dem Vorfall mit Benjamin, hätte es für Taisan in der Schule nicht besser laufen können. Zu Hause sah es dagegen ganz anders aus. Ihre Mutter hatte durch ihre Arbeit im Kiosk neue Freunde gefunden. Neben der Arbeit verbrachte sie nun ihre Zeit meist damit, sich mit ihnen zu betrinken. Vor Tagen, an denen ihre Mutter nicht arbeiten musste, graute es Taisan daher besonders. Oftmals fand sie eine leere Wohnung oder eine betrunkene Mutter vor. Taisan musste sich in beiden Fällen um den Haushalt und um ihre Schwester Alina kümmern. Geld für Lebensmittel klaute sie sich aus der Geldbörse ihrer Mutter. Da diese ihr Geld jedoch immer öfter für Alkohol ausgab, blieb Taisan nicht viel. Stehlen, war dann ihre einzige Hoffnung, denn auf ihren Vater und großen Bruder konnte sie weiterhin nicht zählen. Alina und sie waren auf sich allein gestellt.
Die Wut über das Verhalten ihrer Mutter, ließ Taisan immer häufiger an ihren Mitschülern, der Parallelklasse, aus. Gemeinsam mit Dean, Benjamin und Claire führte sie einen Krieg gegen die Klasse 3B. Taisans Gewaltbereitschaft wurde immer stärker. Einmal in Aktion hatten selbst die Lehrer Probleme sie zu stoppen. Mit jedem Hieb, den Taisan austeilte, löste sich ein Teil der Anspannung in ihrer Brust.Weitere Monate vergingen, Taisan hatte sich nach und nach zur Anführerin ihrer Klasse gemausert. Der Respekt ihrer Klassenkameraden war ihr nun sicher. Taisan dagegen respektierte niemanden mehr und schon gar nicht das Eigentum anderer. Gemeinsam mit ihren Freunden ging sie regelmäßig auf Beutezug. Klaute Spraydosen, Zigaretten, Spielzeug und Kleidung. Einen Teil davon verkaufte sie auf dem Schulhof, das Meiste behielt sie jedoch. Mutprobe über Mutprobe folgte. Aus Taisan, dem schüchternen kleinen Mädchen wurde so nach und nach ein gewaltbereites, rauchendes und respektloses Kind.
Die Verhältnisse zu Hause waren mittlerweile so schlecht, dass Taisan und Alina oftmals ohne Strom da saßen. Im Kerzenschein musste sie ihre Hausaufgaben machen, während ihre Mutter betrunken auf der Couch schlief. Eines Morgens, versuchte Taisan ihre Mutter verzweifelt zu wecken.
"Mum, wach auf. Komm schon, du musst auf wachen!"
"Mh...geh weg Taisan. Verschwinde!"
"Aber Mum heute ist Elternsprechtag. Du musst aufstehen und dich anziehen."
"Einen Scheiß muss ich! Lass mich in Ruhe du Scheißblag. Wenn du deiner Mum was gutes tun willst, dann hol ihr ne Flasche Wodka vom Kiosk. Na los, mach die nützlich, du kleine Ratte!", schrie sie Taisan entgegen.
Taisan, die so schnell jedoch nicht aufgeben wollte und langsam selbst wütend wurde, ließ nicht locker.
"Ich hol dir gar nix, von welchem Geld auch!? Wir haben ja nicht mal Strom du versoffene Alte!"
Mitten im Satz bekam Taisan von ihrer Mutter eine schallende Ohrfeige. Fassungslos starrte sie ihre Mutter an. Ihr Ohr brannte und sie spürte wie eine klebrige Flüssigkeit ihre Wange hinunter lief. Ihre Schmerzen ignorierend, schnappte sie sich ihren Rucksack und lief zur Schule. Auf dem Weg dorthin, begutachtete sie ihr Ohr in einem Schaufenster. Es war knallrot, angeschwollen und blutete stark.Die Armbanduhr ihrer Mutter musste sie wohl erwischt haben. Das getrocknete Blut entfernte Taisan mit einem Taschentuch, bevor sie ihren Weg zur Schule fortsetzte.
In der Schule setzte sie sich schweigend auf ihren Platz. Vollkommen in Gedanken versunken bemerkte Taisan erst, das Mrs. Novak mit ihr sprach, als diese direkt vor ihr Stand.
"Was ist mit deinem Ohr passiert? Taisan, sprich mit mir!"
"Was? Was, soll mit meinem Ohr sein?", fragte Taisan, so als würde sie nicht wissen wovon Mrs. Novak sprach. Dabei war ihr schlecht und schwindelig vor Schmerzen.
"Dein Ohr, es blutet. Wie ist das passiert? Na, los ich bring dich zur Schulkrankenschwester."
Taisan, die mittlerweile jedoch zu schwach war um sich zu rühren. Versuchte Mrs. Novak zu beruhigen.
"Das ist doch nur ein kleiner Kratzer. Nichts wildes. Machen sie einfach weiter mit ihrem Unterricht und kümmern sie sich nicht weiter um mich!"
"Dean, Benjamin bringt sie zur Krankenschwester, aber zackig. Sonst trage ich sie gleich hin.", befahl Mrs. Novak den beiden Jungs und warf Taisan einen warnenden Blick zu.
Als Dean und Benjamin versuchten ihr zu Helfen, schlug Taisan aus stolz ihre helfenden Hände weg und taumelte allein aus dem Klassenzimmer.
Nachdem die Krankenschwester ihr Ohr ausgespült und gekühlt hatte, wurde Taisan ins Büro der Rektorin gerufen.
"Taisan, wer hat dir das angetan? Du kannst es mir ruhig sagen. Nur dann kann ich dir helfen.", sprach die Rektorin Ms. Ward auf sie ein.
Taisan, vollkommen überfordert mit der Situation, saß einfach nur da und zuckte immer wieder mit den Schultern.
"Tai, darf ich dich Tai nennen?", fragte Ms. Ward und erhielt erneut nur ein Schulterzucken als Antwort."Bitte Tai, was ist los? Du bist doch eigentlich ein liebes Mädchen. Ich möchte dir helfen."
Taisan, mittlerweile den Tränen nahe, krächzte schließlich:"Ich brauche keine Hilfe. Es ist alles bestens!"
"Das glaube ich dir zwar nicht, doch vorerst lasse ich es darauf beruhen. Denk aber bitte daran, dass dir meine Tür jeder Zeit offen steht!" Mit diesen Worten entließ sie Taisan.
Taisan, die regelrechte Panik vor ihrer Heimkehr hatte, trödelte auf dem Heimweg herum. Vielleicht hätte sie es Ms. Ward doch erzählen sollen. Aber was soll sie schon machen? Ihrer Mum war nicht mehr zu helfen, solange sie diese Minusmenschen als Freunde hatte. Alina und sie hatten das einfach zu ertragen...
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Broken Smile
Novela JuvenilTaisan, ein Mädchen im Grundschulalter, durchlebt so manche Katastrophen. Gewalt, Ignoranz und der Alkoholismus ihrer Mutter, sind ihre ständigen Begleiter. Oft auf sich allein gestellt, findet ihr Kindheit ein viel zu frühes und brutales Ende. Wird...