10 - Zu viel zum Denken

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,,Der Zauberspruch Anapneo bewirkt, dass sich die Atemwege öffnen und der betroffene Mensch, der beispielsweise vorher keine Luft mehr bekam, wieder frei atmen kann", murmelte Hermine leise vor sich hin, tief über das Zauberspruch-Buch gebeugt. Sie saß in der Bibliothek und lernte sorgfältig ein paar Zaubersprüche, die sie gut für den morgigen Unterricht gebrauchen könnte. Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder zu dem Gespräch zwischen Draco und Snape, dass sie belauscht hatte. Über was hatten sie gesprochen? Und warum kam sie in dem Gespräch vor, wo sie doch beinahe nichts in Dracos Leben bedeutete? Was musste er vor ihr geheim halten? Und wieder wurde sie innerhalb von nicht einmal zwei Wochen Schule von Fragen gequält, dessen Antworten dringend herausgefunden werden wollten. Nur hatte sie leider keine Ahnung, wie sie diese beantworten sollte. Mit Ron konnte sie sich nicht zusammen tun, er hatte etwas gegen ihren Forscherdrang, der ihr sagte, dass die Antworten auf diese Fragen sehr viel bedeuteten. Und Harry würde dem Weasley sicherlich davon erzählen. Sie musste sich irgendwie auf eigene Faust durch schlagen. Doch leider hatte sie als einzigen Hinweis Dracos Stundenplan mit "RW" drauf und seine Geheimnistuerei. Mehr nicht. Und das genügte nicht. 

Seufzend fuhr sie sich durchs Haar und schloss für einen Moment die Augen. Ihre eigenen Gedanken, die unaufhörlich zu arbeiten schienen, überforderten sie. Dies kam äußerst selten vor und genau das beunruhigte sie. Was war so wichtig, um ihre Gedanken in Besitz zu nehmen? Was? Am liebsten würde sie sich ins Bett legen und ein paar Wochen am Stück schlafen, danach würde es ihr bestimmt wieder besser gehen. Doch leider war das nicht die Realität. Die Realität war genau das Gegenteil davon, was sie sich wünschte. Die Schule beanspruchte sie, als Schulsprecherin musste sie jederzeit Jedem zur Verfügung stehen, das fragwürdige und ramponierte Zaubertrank-Buch von Harry und dessen erschummelter Gewinn Felix Felicis und die Draco-Sache beanspruchten sie Tag und Nacht. Schon nach ungefähr 10 Tagen wünschte sie sich, dass die Ferien in Reichweite währen. Doch bis dahin waren es noch viele Wochen und Monate.  

Erneut seufzte sie theatralisch und legte den Kopf in den Nacken. Noch nie hatte sie sich die Ferien herbei gewünscht, das hatte sie den Anderen um sie herum überlassen. Sie war schon immer die Streberin gewesen, die, die lieber lernte anstatt etwas mit den anderen zu unter nehmen. Die, die sich ständig im Unterricht meldete, die, die der Liebling aller Lehrer war, die, die immer nur gute Noten schrieb. In der Grundschule wurde sie immer dafür gehänselt, die anderen Kinder hatten die Begeisterung zum Lernen allmählich verloren und hatten nicht verstehen können, dass sie das Lernen liebte. Die Bücher waren ihre Welt und würden es auch immer bleiben, nichts würde etwas daran ändern können. Doch im Moment fühlte sie sich wie die Anderen: Die Schule wurde lästig und sie würde viel dafür tun, um sie zu pausieren, zumindest für den Moment. 

Hermine senkte den Blick wieder auf das Buch und massierte sich den Nacken. Das Jammern würde nichts helfen, ihr würden in Zukunft wohl viele schlaflose Nächte voller anspruchsvoller Gedankengänge bevor stehen. Da hatte sie ja etwas, wo rauf sie sich freuen konnte. Bevor sie noch weiter in ihrem nutzlosen Selbstmitleid versinken konnte, zwang sie sich dazu, sich auf das Lehrbuch und den Text über den Zauberspruch Anapneo zu konzentrieren. Ihre Augen waren müde, ob wohl es erst später Nachmittag war. Und da heute Mittwoch war, musste sie pünktlich um Mitternacht auf dem Astronomie-Turm sein. Leider.  ,,Es tut mir Leid, Mister Malfoy, aber sie brauchen eine schriftliche Genehmigung eines Lehrers, um die verbotene Abteilung betreten zu dürfen." Genervt und interessiert zugleich sah sie auf. War da gerade von Draco die Rede gewesen? Sie blickte sich um, doch sie konnte ihn nicht entdecken. Stattdessen spitzte sie die Ohren. ,,Madam Pince, ginge es denn auch ohne Genehmigung, dass ich die verbotene Abteilung für einen Moment betrete?"

,,Was denken sie, junger Mann, warum die Abteilung für Schüler gewöhnlich verboten ist?", antwortete die Bibliothekarin gereizt. ,,Und nur für einen kurzen Augenblick?" Sie konnte aus seiner Stimme heraus hören, dass er es eilig hatte und ungeduldig war. Typisch für ihn. ,,Nein, sie haben mich gehört, ich darf ihnen keinen Zutritt gewähren, selbst wenn ich es wollte. Was natürlich nicht bedeutet, dass ich es wollen würde. Schüler sind generell viel zu neugierig und setzen sich über viel zu viele Regeln hinweg...", beschwerte sich Madam Pince über die Schülerschaft. ,,Dann nicht", unterbrach Draco sie ungehalten. Sie konnte seine Schritte hören und die Absätze von Madam Pince, als diese um die Ecke bog und Schüler ermahnte, leise zu sein. Neuer Denkstoff für ihr Gehirn. Was wollte Draco in der verbotenen Abteilung? Zum dritten Mal innerhalb von ein paar Minuten seufzte sie, genervt von sich und ihrem Gehirn, das wieder unaufhörlich zu rattern anfing. Kopfschüttelnd schlug sie das Buch zu, es würde sowieso nichts mehr bringen. 

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,,Hermine! Hermine!" Die Angesprochene drehte sich um, die Schultasche über die Schulter gehängt. ,,Was ist?", fragte sie, als Ron sie auf dem Gang erreicht hatte. ,,Hat Harry dir schon das neuste mitgeteilt?" Sie schüttelte den Kopf. ,,Dann erzähl ich es dir jetzt: Dumbledore hat Harry gestern Abend eine Botschaft zu kommen lassen. Darin stand, dass er ihn am Samstagabend in seinem Büro sehen will." Es war nicht ungewöhnlich, dass Harry Dumbledore in seinem Büro einen Besuch abstattete, er hatte eine engere Beziehung zu ihm als andere Schüler. Doch immer war es interessant, was der Schulleiter sagte. ,,Und was sagt Harry dazu?", erkundigte sie sich. Der Gang war voller Schüler, die entweder noch die letzten warmen Sonnenstrahlen genießen oder durch das Schloss zu ihren Gemeinschafts-Türmen rennen wollten. ,,Er meint, dass Dumbledore wahrscheinlich über Du-weißt-schon-wen und die Todesser-Angriffe reden will." Sie zuckte mit den Schultern. ,,Wahrscheinlich. Die Angriffe können jederzeit wieder passieren und Harry ist als der Junge, der überlebte besonders gefährdet." Ron nickte und bog mit ihr um eine Ecke. ,,Oder er hat von dem Buch erfahren. Was natürlich nicht gut für uns wäre."

Sie räusperte sich. ,,Das heißt, er benutzt dieses Buch immer noch?" Der Rothaarige nickte. Sie stöhnte genervt und schüttelte den Kopf. ,,Das kann doch nicht wahr sein. An dem Rand dieses Buches stehen Notizen, das ist mehr als unfair den anderen gegenüber." Er legte den Kopf schief. ,,Komm schon, das sagst du doch nur, weil du jetzt nicht mehr Klassenbeste bist." Vielleicht schon. Sie hatte es immer gehasst, nicht überall die Beste zu sein, das war eine ihrer Schwächen. Das Harry stets besser in Verteidigung gegen die dunklen Künste war, hatte sie toleriert, immerhin hatte er sich schon oft in seinem Leben verteidigen müssen. Doch das er mithilfe von Schummeln besser als sie war, ging zu weit. ,,Nein, das ist mir egal", log sie, ,,es ist bloß unfair und außerdem sind diese Notizen fragwürdig. Was wenn der Verfasser böse Absichten hatte? Von wem stammt das Buch überhaupt?" Diesmal zuckte Ron mit den Schultern. ,,Keine Ahnung, ich hab noch nie nach gefragt. Ich hab nur einmal gesehen, dass es irgendwas mit H war, aber mehr weiß ich auch nicht." Wieder schüttelte sie ungläubig den Kopf. ,,Das kann doch nicht wahr sein. Ihr schummelt mit Hilfe eines fremden Buches, dessen fremder Verfasser vielleicht böse Absichten hatte. Das ist Betrug." 

Er verdrehte die Augen. ,,Jetzt übertreibe mal nicht. Wir wissen uns nur zu helfen, das ist einfach nur ein leichterer Weg zu guten Noten. Und wir sollen doch die Prüfungen bestehen." Seufzend band sie sich die Haare zu einem Pferdeschwanz nach hinten. ,,Aber nicht auf diesem Weg. Und überhaupt: Wir?" Er nickte. ,,Ja, Harry hilft mir ein bisschen im Zaubertrank-Unterricht." Nur mit Mühe verkniff  sie sich ein Jammern und einen fiesen Kommentar. ,,Ihr solltet das Buch zurück geben, ihr müsst ja nicht unbedingt sagen, dass ihr geschummelt habt", sagte sie stattdessen. ,,Spinnst du?", rief er ungläubig aus, ,,das Buch ist unsere Rettung, ohne das fallen wir durch." 

,,Nein, es gibt auch andere Methoden: Lernen zum Beispiel", bemerkte sie entnervt. Sie hatte jetzt wirklich keine Lust auf eine anstrengende Diskussion. Ein Aufsatz musste noch erledigt werden und danach hatte sie vor, sich schlafen zu legen, bevor sie um Mitternacht den Astronomie-Unterricht antrat. Eine Diskussion passte ihr da nicht in den Plan. ,,Hermine bitte, verrate uns nicht, ja?" Ron setzte seinen Hundeblick auf, in der Hoffnung, sie erweichen zu können. ,,Ich kann für nichts garantieren." Sie presste die Lippen zusammen und strich sich müde eine Haarsträhne aus dem Gesicht. ,,Weißt du was, beenden wir das Gespräch einfach, ich bin müde." Ohne ein weiteres Wort zu sagen bog sie um die Ecke. ,,Ach übrigens", rief der Rothaarige ihr noch hinter her, ,,Harry ist Quidditch-Kapitän. Am nächsten Donnerstag finden die Auswahlspiele statt. Ich hoffe, du kommst." Noch mehr Denkstoff. So langsam hatte sie das Gefühl, dass sie bald Platzen würde.    

Ich hoffe, dass meine Schreibblockade halbwegs vorüber ist, Zeit habe ich jedenfalls wieder. Ich werde mein bestes geben, um wieder regelmäßig jeden Freitag halbwegs annehmbare Kapitel zu veröffentlichen. Ich möchte mich erneut bei euch entschuldigen, dass ich euch so lange hab warten lassen, doch in meinem Leben geht momentan so einiges schief, da fehlt die Zeit und Lust zum Schreiben manchmal. Jedoch trotzdem viel Spaß mit diesem Kapitel!                                                                                

Schatten der Nacht - Teil 1: EntdecktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt