13. Der Hunger

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Als die ersten Sonnenstrahlen durch die halb heruntergelassenen Fensterläden glitten, schlurfte ich nach unten in die Küche. Ich hatte in der Nacht kaum geschlafen – ich hatte mich nicht wieder in Jeffs Bett legen wollen und mich auf einem der Sofas im Wohnzimmer niederzulassen, war mir zu suspekt gewesen. 

Es überraschte mich, ein paar der anderen Hausbewohner vorzufinden, als ich den Raum betrat. 

Eyeless stand am Herd und briet etwas, das zu meiner großen Freude keine brechreizerregenden Dämpfe verbreitete. Jeff saß rücklings auf einem der Stühle, sodass er mit seinem Blick die Tür direkt erfassen konnte. Sein rechter Arm baumelte über der Lehne und sein Gesicht hatte er zur Hälfte in der linken Armbeuge vergraben, wodurch man nur die Hälfte seiner griesgrämigen Miene zu sehen bekam. Wundervoll. 
Zögerlich setzte ich mich auf den Stuhl gegenüber von ihm und vermied es, ihm dabei zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Er schien mal wieder echt schlecht gelaunt zu sein. Auf der Anrichte neben Eyeless saß BEN und musterte abschätzig den Inhalt der Pfanne. „Die Eier sind jetzt gut.", kommentierte er. „Von einem Kind lasse ich mir nichts über gute Eier erzählen.", erwiderte der Augenlose mit einem boshaften Grinsen in der Stimme, woraufhin sich der Blonde empört aufplusterte. "Was soll das denn heißen?!" Als er sich jetzt neben Eyeless aufbaute, sah man, dass er kaum kleiner als der Maskierte war. Vermutlich war er sogar genauso groß wie Jeff, der nun aufstand und genervt zu den beiden hinüberblickte. Das war mit einem eingeritzten Grinsen ein echtes Kunststück. „Ava. Ich habe keinen Bock darauf, mir das schon so früh am Morgen zu geben. Komm mit." „Ich würde aber gerne was essen.", protestierte ich, doch Jeff hatte mich schon am Gelenk ergriffen und schleifte mich wie einen Sack hinter sich her. 

Tatsächlich war mir vor Hunger schon ganz übel. Kein Wunder; ich hatte seit meiner Ankunft nichts mehr gegessen. Die Angst, Verwirrung und Hilflosigkeit hatten mich meine Grundbedürfnisse bis jetzt völlig vergessen lassen. „Dann lass uns eben in einen Supermarkt gehen.", grummelte Jeff. „Ich versichere dir, dass sowieso jede Tütensuppe besser schmeckt, als Jacks Rühreier." Ein Beleidigtes: „Das habe ich gehört!", beantwortete Jeff mit einem Unfreundlichen; „Halts Maul!"

Dann standen wir schon vor der Haustür. Das Holz der Außenwände war in einem hellen Grau gestrichen worden, das durch Alter und Witterung allerdings bereits an vielen Stellen abgeblättert war. Eine Veranda wand sich um das gesamte Erdgeschoss und mündete auf der linken Seite in einer ausladenden Terrasse. Vereinzelte Bäume standen verloren auf dem Feld herum, und vor uns erstreckte sich ein Trampelpfad, der direkt auf einen dichten Wald zuführte. Schon allein beim Anblick der weiten Strecke wurde mir ganz elend.

„Also um ehrlich zu sein...", setzte ich an, wurde dann aber davon abgelenkt, dass Jeff einen ziemlich schweren Schlüsselbund aus seiner Hosentasche hervorkramte und damit zu einem Schuppen stiefelte, der sich einige Schritte abseits unauffällig hinter einem regelrechten Berg aus Unkraut duckte. Stumm beobachtete ich, wie Jeff damit begann, den passenden Schlüssel rauszusuchen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit. 
„Vielleicht sollte ich aufhören, ständig die Schlüssel anderer Leute mitgehen zu lassen.", fluchte er leise. Mir wurde etwas schlecht. Ich konnte mir in etwa vorstellen, wie der Mörder zu so einer Unmenge an Schlüsseln kam. Es war kein schöner Gedanke. 

Schließlich und mit einem triumphierenden Glucksen, hatte er aufgeschlossen.

Ich hatte mich derweil auf den Eingangsstufen niedergelassen und hielt meinen rebellierenden Magen. Jeff verschwand in dem dunklen kleinen Raum. Ich hörte ihn im Inneren rumoren. Etwas schepperte zu Boden, ein rauer ausgesprochen derber Fluch folgte. 

Und mit einem Mal erkannte ich darin die Chance, endlich von hier wegzukommen. Ohne mir einen genaueren Plan zurechtzulegen sprang ich auf und schlug die Schuppentür mit voller Wucht zu. „Was zum...?!", erklang Jeffs überrumpelte Stimme.
Mich interessierte nicht, was er danach noch alles an unschönen vulgären Ausdrücken losließ, ich hatte meine Beine schon in die Hand genommen und sah zu, Land zu gewinnen. Im Nachhinein betrachtet, war diese Aktion entsetzlich dämlich. Ich weiß nicht mal, was ich mit ihr hatte bezwecken wollen, ich schätze, mich hatte nach so vielen Jahren der Gefangenschaft einfach der Fluchtinstinkt gepackt. Ich stürzte also los, ohne auch nur einen Blick über die Schulter zu riskieren. 
„Ouman du Idiotin, bleib sofort stehen!!", brüllte Jeff mir noch wutentbrannt hinterher, aber seine Stimme war noch beruhigend weit entfernt, also ignorierte ich ihn und rannte stattdessen noch ein bisschen schneller. Ich musste es nur bis zum Wald schaffen, dann hätte ich vielleicht eine ernstzunehmende Chance. Meine Lungen schrien jetzt schon nach Luft. Ich war wie schon angemerkt nie besonders sportlich gewesen. Im Gegenteil, die wenigen Schulstunden an Sport waren jedes Mal eine Qual gewesen und in der Klinik hatte ich mich erfolgreich vor jedem Yoga-, Leichtathletik oder Handball Kurs gedrückt. Einige Meter vor dem Waldrand wagte ich schließlich doch einen kurzen Blick zurück.

Verwundert stellte ich fest, dass Jeff die Verfolgung gar nicht aufgenommen hatte. Dabei wäre es ihm ein Leichtes gewesen, mich wieder einzufangen. Trotzdem verlangsamte ich nicht, bis ich die Bäume erreicht hatte, und auch nachdem ich in das Dickicht untergetaucht war, lief ich noch eine ganze Weile lang weiter, bis ich außer Atem zu Boden sank. Zitternd sog ich die feuchte Waldluft in meine brennenden Lungen, erhob mich schließlich und schleppte mich langsamer weiter. Mein Magen knurrte wie ein wildes Tier und mir war schwindelig. Doch trotz meines miserablen Zustandes war ich froh.

Zum ersten Mal seit Langem war ich wieder frei.


Tödliches Spiel (Jeff the Killer FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt