1. Der Lärm

11.5K 555 160
                                    

Note [15.11.2021]: Für ein optimales Leseerlebnis empfehle ich euch, in die verlinkten Soundtracks reinzuhören 🖤~ Viel Spaß! 

------

Mitten in der Nacht schreckte ich auf. Das Haar klebte mir an der Stirn. Mir war viel zu heiß, ich hatte die Decke im Schlaf schon weggeschoben, und lag nun nur noch in meinem Nachthemd auf dem weißen Stockbett. Die Bettwäsche und Wände rochen fremd, eine Mischung aus Nichts und Medikamenten, welche Tag ein Tag aus in kleinen, durchsichtigen Plastikbechern in meinem Zimmer abgestellt wurden.
Langsam setzte ich mich auf. Mein Kopf fühlte sich vom Schlaf noch ganz benebelt an, mein Mund war ganz trocken. Ich hatte Durst. 
Jedes der Zimmer hier war mit einem niedrigen Waschbecken hinter der Tür ausgestattet, zu welchem jetzt auch mein Blick sprang. Aber ich wollte nicht aufstehen. Ich wusste: die Sprossen der Leiter, der graue Boden ... all das würde mir frostige Schauer von meinen nackten Fußsohlen bis hin zu meinem Scheitel jagen. Aber ich würde anders nicht wieder einschlafen können. Gerade als ich frustriert zum hinteren Rand der Matratze krabbeln wollte, hörte ich Schritte auf dem Gang vor der Tür. Ich erstarrte mitten in der Bewegung. Normalerweise war um diese Uhrzeit niemand mehr außerhalb der Zimmer unterwegs. Und da ich meiner eigenen Wahrnehmung nicht immer ganz trauen konnte, wartete ich stumm und angestrengt horchend ab. 

Zu den Schritten kamen jetzt auch noch Stimmen dazu. Es waren mehrere Personen, die sich da draußen unterhielten, und auch wenn sie nicht laut waren, klangen sie aufgebracht. Sie kamen immer näher, und blieben schließlich direkt vor meiner Tür stehen. Mittlerweile trommelte mir der Herzschlag gegen die Rippen. Ich wusste nicht warum, aber die Situation machte mir Angst. 

Die elektronische Verriegelung meines Türschlosses piepte durchdringend, als sie geöffnet wurde. Alarmiert blinzelte ich durch das dämmrige Licht zu der Tür, durch welche jetzt vier Leute traten. Nein ... fünf. Was wollten fünf Leute von mir zu dieser Uhrzeit? Neben einer hochgewachsenen Frau, welche die weißen Kittel unserer Betreuer trug, waren drei Beamte in dunklen Uniformen in den Raum getreten. Zwischen ihren bulligen Körpern befand sich ein schlanker Mann, dessen Gesicht mir im Halbschatten des Zimmers für den Moment verborgen blieb. Doch obwohl die Beamten ihn ziemlich grob herumstießen, machte er nicht den Eindruck, als würde ihn die Situation besonders mitnehmen.

„Ava?", fragte die Frau im weißen Kittel und blinzelte durch ihre strengen Brillengläser zu mir nach oben. Ich hatte mich schon immer gefragt, warum Autoritätspersonen so häufig Augenglas benutzten. Hatten sie wirklich alle eine Sehschwäche, oder verlangte das einfach nur ihr Image? 

„Es tut mir Leid, dich zu dieser Zeit noch zu stören. Es handelt sich um einen Notfall.", sagte sie in einer Art und Weise aus der deutlich hervorging, dass ihr überhaupt nichts leid tat.
Ich runzelte die Stirn, was sie bei der spärlichen Beleuchtung allerdings bestimmt nicht erkennen konnte. Mit einer ausladenden Geste, die wirklich nicht notwendig gewesen wäre, deutete sie auf den Gefangenen, den ich schließlich längst ganz ohne ihren dezenten Fingerzeig bemerkt hatte.
„Ein Patient, der für einige Zeit das Zimmer mit dir teilen wird. Sein Name ist Jeffrey Woods. Wir werden uns bald um eine geeignetere Unterbringung dieses Falles kümmern, aber in dieser Situation war Spontanität gefragt.", erläuterte mir die Frau sachlich, im selben Ton, in welchem man auch gelangweilten Siebtklässlern versucht das Bruchrechnen nahezubringen.

„Meinen Sie wirklich, das ist die einzige Möglichkeit?", schaltete sich nun einer der Polizeibeamten ein. Seine stämmigen Kollegen nickten zustimmend, ihre Gesichter in zweifelnde Falten gelegt. Die Frau drehte sich zu den Uniformierten um. Sie spitzte die schmalen Lippen und klopfte ungehalten mit einem dunkelblauen Kugelschreiber auf ihr Griffbrett.
„Ja, das meine ich wirklich. Glauben Sie mir, meine Herren, ich bin damit auch nicht glücklich. Aber unser Jungentrakt ist brechend voll und Sie haben ja drauf bestanden, ihn direkt hier her zu bringen, anstatt ihn erst mal auf Ihrem Revier in Gewahrsam zu nehmen."
Ihr Tonfall wurde bei den letzten Worten ausgesprochen bissig. Offenbar hatte sie schon eine leidige Diskussion hinter sich bringen müssen. Die Polizisten schienen immer noch nicht überzeugt, waren aber offensichtlich heilfroh darüber, die Verantwortung für diesen Jeffrey abgeben zu können. Stumm beobachtete ich, wie einer der Polizisten jetzt vortrat und Jeffreys Handschellen durch eine längere Kette ersetzte, die er am Heizungsrohr unter der Fensterbank befestigte.
Die Betreuerin sah ein letztes Mal zu mir nach oben. Die Gläser ihrer strengen Brille spiegelten zu sehr, als das ich ihren Blick hätte richtig deuten können.
„Drück sofort den Schalter hier, falls etwas...,", Ihr Gesicht nickte kurz in Richtung des Gefesselten hinüber. „ ... passieren sollte. Gute Nacht."
Meine Finger krallten sich in den steifen Stoff der Bettwäsche. Ein heftiger Widerwillen gegen den alleinigen Aufenthalt mit mir und diesem Jeffrey stieg in mir auf, und ballte sich wie ein schwerer Klumpen Eis in meiner Magengegend zusammen. 

Aber die Frau gab mir keine Gelegenheit mehr zu antworten – im nächsten Moment waren sie und die Polizisten schon aus dem Zimmer verschwunden und die Tür fiel leise klickend zurück ins Schloss. Bis jetzt hatte Jeffrey kein einziges Wort gesagt. Nur sein leises Atmen verriet überhaupt, dass ich nun nicht mehr die einzige Person im Raum war. Vorsichtig lugte ich nach unten. Und zuckte sofort zurück. Das Gesicht meines neuen Mitbewohners war schneeweiß, mit unheimlichen, blassen Augen, die mir direkt ins Gesicht starrten. Es würde besser passen, hätte dieser Kerl acht Augen und acht Beine, denn seine Haltung und sein hungernder Blick erinnerten mich an eine lauernde Spinne. Würde er mich fangen? Sein Mund war völlig zerschnitten, und die Wunden, die sich zu einem skurrilen Grinsen formten, schienen noch ganz frisch zu sein. 

Kurz lieferten wir uns ein unangenehmes Blickduell, während mir das Blut in den Ohren rauschte und ich inständig hoffte, dass man mir die Furcht nicht allzu deutlich ansah, schien er mit der Situation keinerlei Probleme zu haben. 

Und im nächsten Moment wandte er seinen Blick ab, warf sich unter mir auf die Matratze und tat das Schlimmste, was er mir nur hätte antun können; Nach einem kurzen Moment der Stille begann er zu schnarchen. Und das so leidenschaftlich, dass ich mir sicher war, dass er das mit voller Absicht machte. Frustriert sank ich zurück ins Kissen. An Schlaf brauchte ich in dieser Nacht wohl nicht mehr zu denken. 

Tödliches Spiel (Jeff the Killer FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt