„NINA!", kamen meine Freunde und Kollegen auf mich zugestürmt, als ich gerade wieder aus meiner Einzelgarderobe kam. Ein Privileg, das hier nicht viele hatten. Eigentlich nur ich und mein Gegenpart, der andere Hauptcharakter. Roger. Der Mensch, mit dem ich das letzte Jahr unglaublich viel Zeit verbringen musste. Und da war so eine Garderobe eine klare Ansage und ich war ziemlich traurig, mein Reich bald räumen zu müssen.
„Hast du deinen Strauß in Sicherheit gebracht?", fragte mich Roger und ich nickte nur. Es wäre schade drum, wen er unter den ganzen Menschen und Umarmungen hier leiden müsste. Auch, wenn ich solche Sträuße nicht mochte, wollte ich nicht, dass er kaputt ging. Ich hatte immerhin noch Großes mit ihm vor.
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„Nina! Du wurdest gerade aufgerufen", wurde ich von meinem Sitznachbarn aus meinen Gedanken gerissen und schreckte auf.
„Danke", murmelte ich verwirrt und sprang auf meine Füße. Es war so typisch, da verpasste ich gerade ernsthaft meine eigene Entlassung, weil ich schon wieder in Gedanken war...
„Nina Jackson, Sie waren wirklich eine hervorragende Schülerin. Wir Dozenten sind uns einig, dass wir wirklich gerne mit Ihnen gearbeitet haben", hielt der Direktor die übliche Rede. Wir waren zwar nur sechzehn Schüler, die jetzt ihren Abschluss machten, aber wir mussten laut seinen Worten wohl die besten Schüler aller Zeiten sein. Was ich nicht wirklich glauben konnte, denn ich hatte ja gesehen, wie wir uns manchmal anstellten. Aber vielleicht war es einfach nur seine Art, uns zu verabschieden. Vielleicht. „Ihre Stärke liegt eindeutig im Tanz. Sie haben ein außergewöhnliches Talent, das Sie nicht aufgeben oder vernachlässigen sollten", redete er weiter und ich lächelte nur freundlich zurück. „Ich wünsche Ihnen viel Glück für ihre Zukunft", endete er dann und überreichte mir mit einem Händedruck mein Abschlusszeugnis und einen großen Blumenstrauß. Wie den anderen vor mir auch schon. Mit den fast gleichen Worten.
So nahm ich mein Zeugnis einfach nur an, bedankte mich nochmal und lief dann auf der anderen Seite der Bühne die Treppe hinab. Ich mochte diese Art von Abschlüssen nicht. Wo man im Mittelpunkt stand, wo man mit Lob überhäuft wurde, für etwas, was man noch gar nicht so gut konnte. Wir, die Absolventen, waren zwar gut ausgebildet, aber noch lange nicht wirklich gut. Wir waren erst am Anfang. Und ich verstand einfach nicht, wieso man uns dann bis in den Himmel loben musste. Aber vielleicht brauchten das einige hier. Oder vielleicht brauchten es auch nur die Eltern oder Verwandten, dass sie sich sicher sein konnten, dass aus ihrem Kind doch noch was wurde. Ich meine, die meisten wünschten sich ja eh wahrscheinlich einen sichereren Job für ihr Kind als Muscialdarsteller. Anwalt oder Bankangestellter war da einfach vielversprechender...
Seufzend betrachtete ich meinen Blumenstrauß. Es war ein schöner Blumenstrauß. Ein verdammter, riesiger schöner Blumenstrauß, der nun schwer in meinen Händen wog. Ich hatte noch nie Blumen bekommen, von niemandem. Nicht von meiner Mutter, nicht zu meinem Schulabschluss noch von sonst irgendjemandem. Aber ich hatte ja auch selten jemanden an mich heran gelassen, der mir hätte Blumen schenken können.
Und ehrlich gesagt war ich kein Fan von Blumen. Kunstblumen waren okay, die hätte ich mir vielleicht noch in die Wohnung gestellt, aber echte, lebendige Blumen waren viel zu schnell vergänglich. In ein paar Tagen wären sie nur noch ein Schatten ihrer selbst – und ich viel zu selten zuhause, als dass ich ihren Anblick wirklich genießen konnte.
Seufzend sah ich mich um und in all die begeisterten Gesichter. Die meisten Mütter waren total begeistert von diesen Blumen und die meisten Väter hingen über dem Zeugnis, während die restlichen Verwandten die ganzen Absolventen belagerten. Und ich war alleine hier. Vollkommen alleine.
Schulterzuckend wand ich mich meinem Strauß zu und fing unwillkürlich an zu lächeln, denn mir war gerade eingefallen, wem ich mit diesem Strauß etwas Gutes tun konnte. Das Zeugnis musste ich leider behalten.
~ ~ ~
„Kommst du?", wurde ich aus meinen Gedanken gerissen und nickte nur, während ich mir meine Jacke schnappte. Wir würden jetzt feiern gehen und es uns gut gehen lassen. So, wie man es eben so tat, wenn man ein Kapitel auf der Bühne hinter sich ließ. Denn es war vorbei, ein Jahr lang immer wieder auf der Bühne stehen war vorbei. Und dass musste ich erst mal verarbeiten, denn vorbereitet hatte ich mich auf diesen Tag nicht. Ich hatte mich nicht darauf eingestellt, noch hatte ich mir überlegt, was ich jetzt mit meinen Tagen und Wochen anstellen sollte, wenn ich mich nicht mit den anderen auf der Bühne unserem Job hingeben konnte. Nicht mehr auf der Bühne stehen durfte. Aber darüber konnte ich mir auch morgen noch Gedanken machen. Oder übermorgen. Oder auch erst in ner Woche.
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Thinking out loud (Ed Sheeran)
Fanfic‚Will your mouth still remember the taste of my love? Will your eyes still smile from your cheeks?' Zwei junge Menschen. Eine gemeinsame Vergangenheit. Und ein Zusammentreffen, das alles verändert. Sie teilen sich Erinnerungen. Gute Momente, schlech...