Kapitel 3

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Schallendes Lachen erfüllte den nächtlichen Raum.
Gekränkt und noch wütender, als zuvor, biss ich die Zähne zusammen und wartete, bis die jungen Leute sich genug über mich amüsiert hatten. Natürlich konnten sie mich nicht ernst nehmen, wenn ich nur daran dachte, was an meinem Entführungsabend geschehen war, wurde mein ganzer Körper zu einem Eisklotz.
Der einzige der Runde, der nicht lachte, war Narvo.
Er starrte mich eindringlich an und ich starrte trotzig zurück. Kaum zu glauben, dass dieses Kind der Erwachsenste von allen war.
»Ruhe jetzt!«, donnerte er nach einigen, quälend langen Sekunden, doch sofort verstummten die anderen. Überrascht hob ich eine Augenbraue.
»Ich dachte, ich hätte euch besser erzogen!« Erzogen? Was genau ging hier vor sich? »Ein Todesversprechen, und käme es auch von einer Ameise, wird euch eines Tages den Tod bringen, wenn ihr darüber lacht! Und was ist eigentlich in euch gefahren?
Dieses Mädchen ist zu Unrecht hier und was ist deine Schuld, Alec! Du hättest einfach flüchten können, wer hätte ihr denn schon geglaubt?
Und dich, Mikael, trifft dieselbe Schuld!« Aller Blicke richteten sich auf einen Mann in Alecs und meinem Alter, mit schwarzen Locken, dunklen Augen und runden Wangen. Schuldbewusst sank dieser seinen Blick gen Boden.
»Wenn du deine Pflicht getan und Alec begleitet hättest, dann wäre all das nicht geschehen!
Wir alle, ebenso wie ich, haben Schuld daran! Wir sind eine Familie, ein Uhrwerk und wir haben nicht funktioniert. Und das auf Kosten eines jungen Mädchens! Wir haben vielleicht gerade ihr Leben zerstört, denkt darüber nach!«, wetterte Narvo erbarmungslos und brachte jedes Lebewesen im Raum zum Verstummen – selbst die Fliegen und Mücken schienen keinen Laut zu machen.
Er war nur ein Kind, doch ein furchterregendes.
Ich selbst wusste nicht, was ich von dieser Szene halten sollte. Sie schienen keine kranken Psychopathen zu sein, die mich für ein satanisches Ritual opfern wollten. Narvo, dessen blondes Haar in alle Richtungen abstand und dessen eisblaue Augen mich durchbohrten, schien sich doch tatsächlich um mich zu sorgen. Irgendetwas stimmte hier nicht ... sie waren Mörder!
Mikael setzte gerade zu sprechen an, als ich es nicht mehr aushalten konnte.
»Genug! Hört endlich auf mit diesem Spiel!« Ich hielt mir die Augen zu, der Brief meiner Mutter vollkommen in meiner geballten Faust eingebettet. Es kostete mich unheimlich viel Kraft, vor diesen Menschen aufrecht zu stehen. »Ihr seid mörderische Kreaturen! Habt ihr denn gar keine Skrupel? Ihr sitzt hier und palavert darüber, wie ihr mein Leben zerstört habt, doch was ist mit der Frau, die ihr kaltblütig ermordet habt? Ihr Leben zählt nicht?
Ich glaube euch kein Wort! Nicht, dass ihr es bereut, mich in das hier hineingezogen zu haben – was auch immer zum Teufel das hier genau ist!« Meine Stimme wurde immer lauter, schließlich schrie ich meinen Frust, meine Angst und meine Wut hinaus in verdutzte Gesichter. »Auch nicht, dass ihr mich verschonen möchtet – ja ich habe genau gehört, was du«, meine Hand deutete auf Narvo, »ihm«, Alec, »versprochen hast! Vielleicht verschont ihr mich, ihr werdet gemeinsam darüber entscheiden, wie ich ende ... Unsinn. Blödsinn. Vollkommene Scheiße!
Ich weiß nicht, was du von mir willst, Alec, doch ich schwöre dir, du wirst es nie, niemals bekommen! Ihr könnt mir Angst machen, ihr könnt mir drohen, aber ich sterbe eher, als einzuknicken!
Vermutlich bin ich eh schon tot, und selbst wenn nicht, was kann ich gegen eine Gruppe Psychopathen mit übernatürlichen Kräften schon ausrichten?«
Gefühle wirbelten um mich herum. Erinnerungen zerrissen mich von innen. Vielleicht wurde ich einfach nur verrückt. Ich war gar nicht hier, sondern in einer geschlossenen Klinik und schrie gerade meine Hirngespinste gegen eine Wand.
Konnte ich mir wirklich sicher sein, dass ich noch alle Tassen im Schrank hatte?
Fragen über Fragen, Gefühle, Erinnerungen – das alles, vermischt mit der Anstrengung meiner Rede, ließ mich schwindeln. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, dann umhüllten sie mein gesamtes Blickfeld und ich verlor das Gleichgewicht.
Ach ja ... wann hatte ich denn zuletzt gegessen und getrunken? Vielleicht halluzinierte ich auch nur am Rande meines Daseins.
Das letzte, was ich spürte, war harter Boden unter meiner Schulter.


Sie knallte leblos auf den Teppich.
Ein Seufzen bahnte sich in meiner Kehle an, doch ich unterdrückte ihn, da Lutis abschätziger Blick seitlich auf mir ruhte.
»Alec ... bring sie wieder ins Zimmer. Und diesmal bleib auch bei ihr, bis sie aufwacht, bitte.« Erst sollte ich mich mit Luti vertragen, dann rief Narvo plötzlich eine Konferenz zusammen und es war natürlich meine Schuld, dass Margot beinahe abhaute.
Jetzt seufzte ich doch. »Zu Befehl, Chef.«
Er wusste ganz genau, wieso ich Margot mitgenommen hatte. Es war nicht mein fehlender Wille, zu töten, auch nicht, dass ich in Panik ausgebrochen war, wie Luti herumerzählte. Narvo verstand es. Als ich bei Margot angekommen war, hörte ich bereits das Tuscheln der Anderen in meinem Rücken. Zähneknirschend ignorierte ich es, hievte das Mädchen auf meine Arme und schritt hinaus.
Als ich Margot nach oben gebracht hatte, legte ich sie wieder zurück in mein Bett. Der Raum war nicht gerade männlich, immerhin hatte ich die uralten Möbel nicht anrühren dürfen, doch er hatte einen Hauch von Zuhause.
»Wieso musstest du auch gleich wegrennen?« Unbeweglich lag sie auf meinen Laken. Ihr rotbraunes Haar breitete sich aus wie ein Fächer, lange Wimpern umrahmten ihre dunkelbraunen Augen, die nun geschlossen waren. Sie war schön. Nicht die Schönste, die ich nach einem halben Jahrhundert ye gesehen hatte, doch nennenswert.
Seufzend setzte ich mich neben sie auf die Bettkante und starrte aus dem Fenster. Der Tag musste schon in die frühen Morgenstunden fortgeschritten sein und nur die Stehlampe erhellte den Raum. Wenn man ein unsterbliches Leben besaß, hatte Zeit keinen Wert mehr.
Die Stunden vergingen wie Bruchteile eines Momentes, Wochen flogen dahin, ehe wir es überhaupt bemerkten. Nur vage erinnerte ich mich noch daran, wie ich mich als Mensch gefühlt hatte – lebendig. Als die Zeit noch die wichtigste Variable in meinem kümmerlichen Leben war. Nun war sie nicht existierend, sie spielte keine Rolle mehr.
Doch gab es Momente im Leben eines jeden Nachtjägers, in denen sich eine Verbindung zu unserem früheren Leben bildete und die Zeit plötzlich still stand. Solche Momente waren kostbar und sehr selten. Manche von uns wurden süchtig nach ihnen und verließen unsere Familien, nunmehr verirrt durch die Welt streunend, auf der Suche nach dem einen Augenblick, der uns wieder Mensch sein ließ. Ich für meinen Teil hatte niemals einen erlebt.
Bis zum vorigen Tag, als ich Margot erblickte.
Narvo hatte es mir erklärt. »Es war nicht dein Verdienst, dass ich dieses unergründliche Gefühl des Glückes verspürt hatte«, flüsterte ich der schlafenden Margot zu. Meine Augen musterten sie nachdenklich. »Ich bin niemals von einem Menschen überrascht worden. Zeit meines gesamten Lebens als Nachtjäger. Doch du hast mich überrascht – du hättest jede x-beliebige Person auf dem Planeten sein können, es war der Moment, der kostbar war, nicht du. Du bist nichts besonderes.«
Das war es auch schon. Ein kleiner Funken menschlicher Emotion und die Zeit bekam einen Wert, der sich in nichts ermaß.  

Von Dunkel zu LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt