Kapitel 5

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Kapitel 5

»Was geht hier vor sich, ich habe Schreie gehört.« Ich hätte nie erwartet, dass mir einmal beim Klang von Luticias Stimme Freudentränen in die Augen steigen würden. Alecs Blick zuckte über mich herüber, zu einem Punkt unweit hinter mir, wo seine Schwester stand. Sekunden verstrichen, in denen sich die beiden ansahen, der Moment gehüllt in elektrisiertes Schweigen.

»Du blutest«, stoß Luticia schließlich gepresst hervor, machte jedoch keine Anstalten, sich um ihren Bruder zu kümmern. Der richtete sich langsam auf und starrte wild blinzelnd auf das Messer in seiner Seite. Er schien kurz abzuwägen, dann zog er es mit einem Ruck heraus.

Mir entkam ein spitzer Schreckensaufschrei. Das Blut strömte aus ihm heraus und sammelte sich in einer Pfütze auf dem Boden. Angesichts dessen, was ich getan hatte, wurde mir noch schwindeliger. Meine Übelkeit schwappte an die Oberfläche, doch ich versuchte mich mit aller Kraft zu beherrschen, während Alecs Miene sich aufhellte. Seine Augen verloren den roten Schimmer, die Boshaftigkeit seiner Züge verschwand und als er mich abermals ansah, erkannte ich nichts als Ungläubigkeit in seinem Gesicht.

»Ich ...«, setzte ich an, doch ein Kloß verengte meinen Hals. Was hätte ich denn auch sagen sollen? ›Es tut mir leid, dass ich dich angegriffen habe, doch ich würde es überall und jederzeit wieder tun?‹ Mit zusammengebissenen Zähnen wartete ich auf seine Reaktion.

Alec schnaubte angewidert auf, dann löste er sich in Sekundenschnelle in schwarzen Rauch auf.

Ein entsetzter Schrei entfuhr mir, den Luticia jedoch mit ihrem bloßen Anblick erstickte, als sie plötzlich vor mir stand.

»Führ dich nicht so auf, Margot! Das ist doch dein Name, oder – Margot?« Stumm nickte ich. Mein gesamter Körper bebte und mir war eiskalt, obwohl ich in Schweiß gebadet war. Doch irgendetwas in mir meinte, dass die größte Gefahr bereits überwunden war.

»Ich habe dir eine Frage gestellt, Mädchen. Du bist Margot Tigr?«

»Ja ... das ist mein Name«, krächzte ich hilflos, was Luticia ein zufriedenes Nicken entlockte. Dann, zu meiner bodenlosen Überraschung, hielt sie mir die Hand vors Gesicht.

»Schau mich nicht so an, als wäre ich ein Monster. Du solltest dich hinlegen und darüber nachdenken, wie du dich am besten bei meinem Bruder entschuldigst.«

»Ent... er hat mich entführt! Nur wegen ihm bin ich überhaupt hier ...«, protestierte ich empört, während ich mich alleine auf meine zitternden Beine hievte.

Etwas in Luticias Blick veränderte sich, wurde gefährlich ruhig. »Margot ... niemand hat je eine Begegnung mit einem Nachtjäger überlebt. Lass dir das durch den Kopf gehen. Alec hätte dich an Ort und Stelle umbringen müssen, so sagen es unsere Gesetze. Aber er hat wohl etwas in dir gesehen, was dich nun am Leben hält – nicht, dass du es tatsächlich verdient hättest.« Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge, dann machte sie sich auf den Weg, mich zurück in mein Zimmer zu führen.

»Versteh mich nicht falsch, Margot. Du hast Mut und den nötigen Biss, um dich tatsächlich in einer Welt wie der unseren durchzuschlagen. Und ich sehe ein, dass mein hirnverbrannter Bruder deinen Angriff irgendwo verdient hat. Aber eines solltest du dir ganz schnell aus dem Kopf schlagen. Du wirst dieses Schloss nicht lebend verlassen, außer, wir wollen es so.

Du wirst keinen einzigen Atemzug tun, außer, wir billigen es. Du gehörst nun zu uns, und ob wir schlussendlich entscheiden, dich zu beenden oder zu behalten, ändert nichts an dieser Tatsache. Du bist nicht mehr frei. Du wirst es nie wieder sein.

Und wenn du leben willst, dann solltest du uns dafür danken!.«

Mein Schatz,

Wie erleichtert ich war, als ich die Nachricht des netten Polizisten empfangen habe, kannst du dir gar nicht vorstellen. Ich hatte solche Angst um dich! Doch zu wissen, dass du in Sicherheit bist, lässt mich erleichtert aufatmen. Wo bist du gerade? Ist es schön dort?

Es gibt so viele Dinge, die ich dich gerne fragen würde, am Liebsten würde ich ins Auto steigen und zu dir kommen – wo immer du auch gerade bist.

Aber wenigstens bist du in Sicherheit.

Mir geht es gut ... die Tage verstreichen langsam, wenn man auf die Rückkehr der Tochter wartet. Ich bange jede Sekunde, dass die Polizei den Widersacher endlich fasst und du zu mir zurückkehren kannst. Bis dahin pass bitte gut auf dich auf. Und wehe, dir stößt etwas zu, ich werde dich im Grab umbringen.

Tränen strömten über meine Wangen und befeuchteten das Papier. Nachdem Luticia mich alleine gelassen hatte, war mir der Brief meiner Mutter wieder in den Sinn gekommen.

Ich hatte damit gerechnet, dass sie die Nachricht meines Verschwindens hart getroffen hatte, doch der Brief sagte mir, dass es noch viel Schlimmer war. Dass ich angeblich in Sicherheit war, war ihr einziger Trost. Doch nun, ohne mich, war sie vollkommen alleine und obwohl sie es noch nicht wusste, würde sich das auch nie wieder ändern.

Schluchzend versank ich im Bett, die Decke über den Kopf gezogen und hemmungslos weinend. Es machte keinen Unterschied, wie sehr ich mich sträubte und kämpfte – ich führte einen Kampf, den ich bereits verloren hatte.

Der letzte Funken Hoffnung entwich meinem Körper, während die Tränen wasserfallartig aus meinen Augen rannen. Ich heulte. Heulte meinen Kummer hinaus, heulte, weil mir keine andere Wahl blieb. Ich war eine Gefangene, die jederzeit hingerichtet werden könnte.

Womitich dieses Schicksal verdient hatte, wusste ich nicht, doch hier würde meineGeschichte enden.    

Von Dunkel zu LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt