Kapitel 1

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Schemenhaft zog die Landschaft in der Halbdämmerung vor meinen Augen vorbei. Bäume, Wiesen und Städte verschwammen ineinander, so dass man sie kaum mehr voneinander unterscheiden vermochte. Doch alldem schenkte ich wenig Beachtung, da meine Gedanken sich nur um eine Frage drehten: Wie sollte ich diese Ferien bloß überstehen?

Sommerferien. Die Zeit des Jahres, auf die sich jeder freut, außer mir. Die brillante Idee meiner Eltern diese bei meiner Oma im sogenannten Nirgendwo zu verbringen war, wie man sich denken kann, die absolute Krönung des Sommers. Mitten im Nirgendwo abgeschnitten von dem Rest der Welt, würde es wahrscheinlich weder Internet noch eine andere Kommunikationsmöglichkeiten geben. Ich zog mein Handy aus der Tasche. Schließlich musste ich den letzten Moment meiner verbleibenden Zeit ausnutzen. Als ich jedoch von all den Urlaubsplänen und Sommerideen meiner Freunde las, sank meine nun sowieso schon gedrückte Laune gänzlich in den Keller. Die mechanische Computerstimme riss mich zurück in die Wirklichkeit, als sie nun die nächste Haltestelle „Mellingen" verkündete, wo ich nun die nächsten sechs Wochen verbringen würde.
Zügig sprang ich auf, da der Zug sich bereits verlangsamte und ein kleines Städtchen in Sicht kam. Schimpfend und fluchend zerrte ich verzweifelt an meinem Koffer, der anscheinend genauso wenig hier aussteigen wollte wie ich. Mit einem Ruck hielt der Zug an. Panik breitete sich in mir aus. „Na junge Dame du hast es aber eilig"ertönte plötzlich eine Stimme von der Seite. Ich drehte mich in die Richtung aus der die Stimme kam und blickte in das schmunzelnde Gesicht eines älteren Herrn. Mit einer gekonnten Bewegung befreite er meinen Koffer und reichte ihn mir. Ich nickte ihm dankbar zu , drehte mich auf dem Absatz um und ließ die Möglichkeit dem langweiligen Sommer doch noch zu entkommen hinter mir. Und schon schlossen sich die Türen und der Zug fuhr an. „Das war knapp", seufzte ich halblaut und blickte mich mit einer Spur von Desinteresse und Neugier um.

Ich war alleine. Komplett alleine, bis auf das Zirpen der Grillen und das Brummen von weit entfernten Autos, war nichts zu hören. Nervös blickte ich mich um. Der Bahnhof wirkte wie lehr gefegt, auch auf der Straße war kein einziges Auto zu sehen. Ich befand mich auf einem Bahnhof, der seine guten Tage schon seit Jahren hinter sich gelassen hatte. Die Farbe des roten Bahnhofgebäudes blätterte langsam ab und auch das Dach wies Merkmale auf, dass es eine Erneuerung durchaus gebrauchen könnte. Dies hier, wäre wie mans nimmt, das Paradies und die Hölle zugleich meines Vaters, da dieser als Dachdecker tätig war.

Ein Schauder lief mir den Rücken hinunter, es war alles so einsam und verlassen hier, so etwas war ich aus München gar nicht gewöhnt, da waren immer andere Menschen um einen herum. Ich nahm meinen Koffer und lief los. Es war totenstill. Das einzige Geräusch bestand aus dem klappern meines Koffers, wenn er über die Rillen des Pflasters polterte. Ich steuerte auf das Ende des Bahnhofes zu, an dem sich ein kleiner Parkplatz befand, doch wie zu erwarten, war auch dieser leer. Wo blieb Oma? Zweifel kamen in mir auf. War ich wirklich an der richtigen Station ausgestiegen? Hatte Oma, wie so oft, es vergessen? Das wäre ja mal wieder typisch! Entnervt ließ ich mich auf die Stufen sinken und starrte düster der untergehenden Sonne hinterher. Säße ich an einem anderen Ort der nicht gerade Mellingen war, hätte ich diesen Moment der untergehenden Sonne sogar genossen. Eigentlich sah es, auch wenn ich es niemals zugeben würde hier doch ganz schön aus. Etwas verlassen und einsam, aber schön. Und wie schon so oft fragte ich mich, warum ich noch nie hier gewesen war.
Die Zeit verstrich. Ich saß einfach nur da und wartete. Nach einer gefühlten Ewigkeit, hörte ich das altbekannte rattern und quietschen ihres Minis, als es auch schon um die Ecke auf den Parkplatz zusteuerte.
Gut gelaunt und voller Temperament schwang sie sich aus dem Auto und kam mir entgegen. So wie ich es von ihr all zu gut kannte, war auch heute ihre Farbkombination ein Traum! Sie trug ein oranges Blumenkleid, dazu grüne Ballerinas und einen blauen Schal. Das ganze Gewand wurde noch getoppt von einem grünen Jägerhut. Jetzt war ich doch ganz froh, dass keiner meiner Freunde hier war und Oma so sehen konnte! „Hallo mein Schatz", rief sie mit ihrer übertrieben fröhlichen Art, beugte sich zu mir hinunter  und drückte mir einen feuchten Schmatzer auf die Backe. Das fing ja schon mal gut an, da konnte ich mich ja auf etwas freuen!

Ein unvergesslicher SommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt