Kapitel 6

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Ich durfte mir nichts anmerken lassen. Sie sollte von meinem Gefühlschaos nichts mitbekommen. Lotta hatte gerade ganz andere Sorgen. Der Song endete und der nächste fing an. »Ich muss immer an dich denken« von SDP.

»Ich rede mir ein, es wäre ok. Es tut schon gar nicht mehr so weh. Es ist ok. Es ist ok. Ich zieh nächtelang durch die Bars. Mit den Jungs und hab meinen Spaß. Es ist ok. Es ist ok. »Wir können doch Freunde bleiben«, hast du gesagt. Und ich meinte nur: »Geht klar.« Ist schon ok...«

Die Tränen liefen immer weiter. Wie konnte ich nur so blöd sein? Kein Mensch verliebte sich in jemanden, den er noch nie getroffen hatte. Außer ich. Ich musste lachen. Nicht weil ich mich freute, nein. Deshalb ganz bestimmt nicht. Es war ein Lachen der Verzweiflung. Gerade eben dachte ich noch, sie hätte sich in mich verliebt und dann kam der Schlag. Mitten ins Herz. »Sie liebt eine andere Frau, sie liebt eine andere Frau, sie liebt eine andere Frau, ...« Ich griff in meine Haare, schlug auf meinen Kopf ein - ich wollte, dass es aufhörte. Es tat so unfassbar weh, aber ich musste jetzt stark sein und Lotta noch eine Nachricht schicken.

Pocahontas: Tut mir leid, ich war gerade kurz im Badezimmer. Abstand ist da sicherlich die beste Lösung. Ist ein blödes Gefühl, wenn man sich in jemanden verliebt, der diese Liebe aber nicht erwidert... Verdammt schmerzhaft.

Lotta: Oh, ich habe die ganze Zeit nur von mir geredet. Sprichst du etwa aus Erfahrung?

Fast hätte ich laut losgelacht. Im letzten Moment konnte ich mich aber noch zurückhalten. Stattdessen liefen wieder die Tränen. Hemmungslos.

Pocahontas: Ach, das kennen wir doch alle, oder? Jeder war doch schon unglücklich verliebt. Momentan geht es mir gut. Ich bin glücklich.

Das war die nächste Lüge, die ich ihr aufgetischt hatte. Warum konnte ich nicht ehrlich sein? Die Frage beantwortete sich von selbst. Ich konnte ihr unmöglich etwas von meinen Gefühlen sagen. Eine Freundschaft war mir wichtiger, denn ich wollte sie nicht verlieren.

Lotta: Das ist gut. Das freut mich. Lass uns vielleicht über andere Dinge reden. Muss jetzt mal auf andere Gedanken kommen.

Pocahontas: Es ist zwar noch richtig früh, aber ich bin ziemlich müde. Ich werde ins Bett schlüpfen. Lass dich bitte nicht runterziehen. Bis morgen Abend? Gute Nacht, Lotta. Ich denke an dich.

Und wie ich an sie dachte. Den ganzen gottverdammten Tag. Dann ging ich offline. Ich hielt es nicht mehr länger aus. Eine weitere Nachricht von ihr konnte ich heute nicht mehr ertragen. Ich ging ins Bett, wühlte die ganze Nacht umher und weinte in mein Kissen. Irgendwann mitten in der Nacht stand ich nochmal auf und setzte mich doch nochmal vor den Laptop. Die Antwort von Lotta wurde in meinem Postfach angezeigt.

Lotta: Morgen Abend bin ich nicht da. Ich bin unterwegs. Bis Sonntag!

Ich konnte doch unmöglich zu Hause sitzen. Wo war sie unterwegs? Mit wem war sie unterwegs? Fragen über Fragen, aber keine Antworten. Ich schnappte mir mein Handy und schrieb Kati eine Nachricht. Sie würde sie zwar jetzt nicht lesen, aber wenn sie aufstand, konnte sie antworten. »Hey Kati, wollen wir morgen Abend weggehen? Würde mich freuen, xoxo.« Dann legte ich mein Handy zur Seite und mich wieder ins Bett. Ich hatte das Gefühl, dass mein Kopf explodierte vor Schmerz, aber ich wusste, dass auch keine Tablette helfen würde. Der Schmerz kam nicht direkt aus meinem Kopf, sondern viel eher aus meiner Brust. Es war mein Herz, dieses schlagende Kackding, was schmerzte und für meine unregelmäßige Atmung sorgte. Kurze Zeit später vibrierte mein Handy. »Ich bin gerade zufällig wach geworden... Aber ja, sehr gern. Bis morgen, Elli! :-)« Irgendwann schlief ich wieder ein und erwachte erst, als meine Mama mich zum Essen rief.

Der Tag verlief sehr unspektakulär. Ich machte mit Kati die genaue Zeit aus und wir wollten in unsere Lieblingsbar gehen. Sie war direkt an der Strandpromenade und heute spielte dort sogar Livemusik. Eigentlich war mir egal, wie ich aussah, aber trotzdem machte ich mich dann doch noch etwas hübsch und schminkte mich. Mit meinen verheulten Augen konnte ich schlecht aus dem Haus gehen. Alle würden mich nur blöd angucken und das konnte ich gerade echt nicht gebrauchen. Dafür fehlten mir die Nerven.

Kati holte mich pünktlich ab. Ich wollte heute den ganzen Abend einfach mit ihr feiern und nicht an Lotta denken. Das hatte ich mir fest vorgenommen. In der Bar bekamen wir einen guten Platz. Ich bestellte einen »Sex on the beach« und Kati einen »Mojito«. Irgendwann waren die ersten Gäste auf der Tanzfläche und wir gesellten uns dazu. Ich bestellte noch einen Cocktail und merkte, dass ich immer lockerer wurde. Dann kam auch schon der nächste Cocktail. Ich hatte aufgehört zu zählen. Mir war leicht schwindelig, aber das war mir egal. Mir war das alles egal gerade. Die Musiker machten eine Pause und es wurde in der Zwischenzeit für andere Musik gesorgt. Aus den Lautsprechern tönte »Sie tanzt« von Rico Bernasconi feat. Marianne Rosenberg.

»Sie tanzt und tanzt und tanzte. Sie tanzt und tanzt und tanzt so. Und sie tanzt und tanzt und tanzte. Weiß genau, wie sie gefällt. Sie packt ihre Sorgen in Träume. Und schickt sie übers Meer. Sie dreht ganz laut die Musik auf. Und sie wirft sich hin und her...«, grölte ich laut mit und tanzte. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich unbeschwert. Wo war Kati? Ich wusste es nicht. Mir wurde übel und ich lief in Richtung Toilette. Ich erreichte sie gerade noch rechtzeitig und übergab mich dann. Alles drehte sich. Jemand hielt meine Haare. Kati. Ein zweites Mal übergab ich mich. Dann beruhigte mein Magen sich etwas und langsam drehte ich den Kopf. Es war nicht Kati. Es war Frau Lindberger. Fragend sah ich sie an. Zumindest glaubte ich das. Ich konnte meine Mimik und Gestik nicht mehr steuern. Was wollte sie denn hier? »Komm hoch, was machst du denn hier?«, fragte sie geschockt. Ich wollte nicht, dass sie mich berührte. Nur Lotta sollte mich berühren. Nur sie. »Lassen Sie mich gefälligst los! Ich bin kein kleines Kind mehr«, lallte ich und merkte, dass ich genau das gerade war. »Sag mal, wie viel hast du denn getrunken?« Ich schüttelte den Kopf und wedelte wild mit meinen Händen. »Ein paar Cocktails, ist doch egaaaaal...«, erklärte ich ihr, zog das letzte Wort in die Länge und winkte ab. »Bist du alleine hier?« Ihre Miene war besorgt, glaubte ich. »Nö, Kati ist hier noch irgendwo. Denke ich.« Ich stand langsam auf und bereute es sofort. Es fühlte sich an, als wäre ich zehn Runden zu viel mit einem Karussell gefahren. »Ich bringe dich nach Hause«, meinte sie. »Auf keinen Fall. Ich will da heute nicht mehr hin«, nuschelte ich und fing an zu weinen. Sie fragte nicht nach. Hielt mich einfach fest. »Wenn du nicht nach Hause willst, dann kommst du mit zu mir. Keine Widerrede«, sagte sie bestimmt, nahm meine Hand und ging mit mir zum Ausgang.


Unknown. || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt