Kapitel 12

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Ich schlief sehr unruhig in dieser Nacht und träumte von Frau Lindberger. Mal wieder. Es war die gleiche Situation wie gestern auf der Couch. Immer wieder wiederholte sie die Worte: »Bitte such nicht nach ihr. Versprich es mir.« Schweißgebadet wachte ich auf und sah ihren flehenden Blick vor meinem inneren Auge. Ich hatte das Gefühl, dass momentan alles schief lief. Warum war Lotta nicht einfach aufgetaucht? Verdiente ich denn kein Glück? Wann würde die Pechsträhne wieder verschwinden? Schon wieder dachte ich negativ. Ich wollte das nicht, aber konnte mich dagegen nicht wehren. Nachdem ich mich noch eine ganze Zeit lang von links nach rechts drehte, schlief ich wieder ein. Ich träumte nichts, worüber ich sehr froh war. Keine Lotta und auch keine Frau Lindberger. Jedenfalls konnte ich mich nicht daran erinnern. Als mein Wecker klingelte, kam jedoch alles wieder hoch. Ich atmete aus, dann wieder ein. Beruhige dich, sprach ich mir gut zu. Es half ein wenig. Ich musste nur noch diesen Tag überstehen, dann hatte ich Wochenende und meine Ruhe. Erschöpft stand ich auf und machte mich fertig. Als ich in die Küche kam, sahen meine Eltern mich beide etwas unsicher an. »Alles ist gut«, sagte ich und glaubte es mir selbst für einen Moment. »Mir geht es schon wieder besser.« Nachdenklich nickten sie. Sie wussten nicht, dass ich gestern die Schule geschwänzt hatte, aber sie hatten mir sowieso angeboten, dass ich zu Hause bleiben durfte.

»Jetzt reicht es mir aber, Elli!« Kati war wütend. Ich sah es ihr an. »Ich bin deine beste Freundin, aber so langsam zweifle ich daran. Warum redest du nicht endlich mit mir?« Sie sah mich verletzt an. Ich wollte sie nicht verletzen. Sie war mir unglaublich wichtig, aber die Situation war schwierig. »Es tut mir leid. Wirklich. Lass uns heute Abend ausgehen. Dann erzähle ich dir alles, ok?« Misstrauisch sah sie mich an. »Damit du wieder einfach verschwindest und dich nicht meldest?« Sie schnaubte wütend. »Nein, dieses Mal bleibe ich bei dir. Ich werde auch nicht so viel trinken. Versprochen.« Kati stimmte letztendlich zu. Ich war froh darüber, aber hatte Angst vor ihrer Reaktion. Sie fand diese Portale nämlich schwachsinnig und verurteilte jeden, der sich dort anmeldete.

Wir gingen wieder in unsere Lieblingsbar. Heute war keine Livemusik. Es war also leiser als beim letzten Mal. Trotzdem war die Bar gut gefüllt, aber wir fanden eine relativ ruhige Ecke und setzten uns. Ich bestellte mir wie immer einen »Sex on the beach« und Kati einen »Pina Colada«. Dann sah sie mich auffordernd und erwartungsvoll an. »Jetzt bin ich aber auf deine Erklärung gespannt, warum du so komisch bist.« Ich erzählte ihr von Lotta, aber von Frau Lindberger verlor ich kein Wort. Sie tat nichts zur Sache. Kati schlug ihre Hände vor den Mund. »Mensch, warum hast du nicht vorher mit mir darüber gesprochen?«, fragte sie vorwurfsvoll. »Ich wusste, dass du nichts davon hältst«, murmelte ich leise, war aber froh, dass sie nun endlich die Wahrheit kannte. »Trotzdem bin ich doch immer für dich da! Das weißt du doch, oder?« Ich nickte. Sie schloss mich in ihre Arme. »Danke, Kati. Dass du meine beste Freundin bist.« Sie lachte. »Das bleibe ich. Für immer. Aber ich verstehe es nicht. Was ist denn mit dieser Lotta los? Warum tut sie das?« Beim Nennen ihres Namens zuckte ich unwillkürlich zusammen. »Ich weiß es nicht. Die ganze Zeit zerbreche ich mir den Kopf, was ich falsch gemacht habe, aber komme zu keinem Ergebnis«, antwortete ich traurig. Wir redeten noch eine ganze Weile darüber, dann trat plötzlich jemand an unseren Tisch. Es war Jonas. »Oh, nein. Ich habe unsere Verabredung voll vergessen«, schrie ich panisch auf und es tat mir wirklich leid. Ich wollte meine Freunde nicht so vernachlässigen. Er winkte ab. »Ist schon in Ordnung, wenn ich mich jetzt dazu setzen darf.« Kati und ich nickten eifrig. »Natürlich«, sagten wir einstimmig.

Nach dem zweiten Cocktail wollte Kati ein wenig frische Luft schnappen, aber Jonas und ich blieben in der Bar. Als sie verschwand, sah Jonas mich an. Er wollte mir etwas sagen. Das konnte ich an seinem Blick erkennen. »Na, worüber willst du mit mir reden?«, fragte ich ihn aufmunternd. Er fühlte sich sofort ertappt. »Elli, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll. Wir kennen uns jetzt schon so lange. Ich finde dich toll. Du bist in den letzten Jahren eine richtig gute Freundin geworden, aber im Sommer habe ich gemerkt, dass ich mehr für dich empfinde. Da ist doch was zwischen uns, oder?«, fragte er hoffnungsvoll. Ich war baff. Jonas gehörte zu meinen besten Freunden und nun hatte er sich anscheinend in mich verliebt. Ich hatte ihm nie Hoffnungen gemacht, aber wollte ihn nicht verletzen. »Jonas, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, fing ich an. »Du musst auch gar nichts sagen«, flüsterte er und beugte sich zu mir, um mich zu küssen. Ich stieß ihn weg, bevor er meinen Lippen zu nah kam. »Du musst da etwas falsch interpretiert haben. Ich empfinde nichts für dich. Du bist einfach ein guter Freund für mich. Mir war nicht klar, dass du es anders siehst. Es tut mir leid.« Sein Blick veränderte sich und er straffte seinen Rücken. Meine Worte hatten ihn getroffen. »Vergiss bitte, was ich gesagt habe. Ich gehe jetzt besser.« Ich konnte nur nicken, dann stand er auf und verschwand. Er rannte fast in Kati hinein, die wieder zurück kam. Erstaunt sah sie mich an. »Was hat Jonas denn?«, fragte sie neugierig. Das wurde alles wirklich immer schöner. »Er hat mir gerade seine Liebe gestanden.« Sie riss ihre Augen auf. »Er hat was?!« Ich winkte ab. »Ich habe ihm gesagt, dass ich nichts für ihn empfinde. Ach, verdammt. Jonas ist mir doch wichtig und dann verliebt er sich in mich? Das ist doch ein schlechter Scherz.« Kati seufzte. »Ich muss kurz auf die Toilette«, meinte ich und stand auf. »Soll ich mitkommen?« Entschieden schüttelte ich den Kopf und musste sogar kurz grinsen. »Wollen wir uns beide in die Toilettenkabine quetschen?«

Als ich die Kabine verließ, stieß ich fast mit Frau Lindberger zusammen. »Oh, das tut mir leid«, setzte sie an, dann erkannte sie mich. »Elli! Geht es dir gut?« Kurz nickte ich. »Mir geht es schon besser, danke. Aber irgendwie witzig, dass wir uns ständig über den Weg laufen«, erklärte ich. Sie sah mich schuldbewusst an. »Aber eigentlich gefällt es mir«, fügte ich schnell hinzu. Nun lächelte sie. »Das ist schön. Hast du nochmal darüber nachgedacht, worüber wir gestern gesprochen haben?« Wieder gingen mir ihre Worte von durch den Kopf: »Bitte such nicht nach ihr. Versprich es mir.« Stille zwischen uns. Meine Miene verhärtete sich. Sie wartete auf eine Antwort. »Ja, habe ich. Aber es ändert nichts. Ich muss sie finden. Verstehen Sie das denn nicht? Haben Sie noch nie jemanden so sehr geliebt, dass Sie ohne diese Person nicht mehr leben wollen? Es fühlt sich an, als würde ich die ganze Zeit die Luft anhalten und als wir miteinander geschrieben haben, konnte ich endlich wieder atmen.« Traurig blickte sie in meine Augen. Ich wollte nicht, dass sie mich so anschaute. Es löste etwas in mir aus, was ich nicht zuordnen konnte. »Ja, das habe ich«, flüsterte sie und musste sich an der Wand der Kabine abstützen. »Alles in Ordnung?«, fragte ich erschrocken. »Bitte, sei vernünftig. Such nicht nach ihr. Was muss ich tun, damit du es sein lässt?« Plötzlich sah sie sehr erschöpft aus, aber trotzdem wurde ich unglaublich wütend. »Was ist eigentlich Ihr scheiß Problem?«, fragte ich zornig. »Du bist mein Problem«, antwortete sie mit Tränen in den Augen und stürmte aus dem Raum. Ich war für einen Moment erstarrt von ihrem Gefühlsausbruch, doch dann lief ich ihr nach. Sie stieg schnell in ein Taxi, ich konnte nur den Rücklichtern nachsehen und stand noch eine Weile draußen in der Kälte und versuchte die Situation zu verstehen. Aber egal, wie ich es betrachtete - ich wurde daraus einfach nicht schlau.

Unknown. || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt