Kapitel 18

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Ich lief durch die Straßen. Es hatte wieder angefangen zu schneien und ich wischte mir die Flocken aus dem Gesicht. Die Situation überforderte mich. Ich musste mit jemandem sprechen, aber mit wem? Kati, schoss es mir durch den Kopf. Es war zwar schon relativ spät, aber eigentlich war sie immer lange wach. Ich griff in meine Tasche und zog mein Handy heraus. Nach dem vierten Klingeln nahm sie dann endlich ab. Bevor ich ein Wort sagen konnte, kamen laute Schluchzer aus meinem Mund und ich konnte sie nicht aufhalten.

»Elli, was ist los?«, fragte Kati am anderen Ende erschrocken. Was sollte ich ihr sagen? Ich konnte ihr unmöglich von Lotta erzählen. »Tut mir leid, es hat sich schon erledigt.« Dann legte ich ohne weitere Erklärung auf und wollte mein Handy gerade in die Tasche zurück legen, da vibrierte es in meinen Händen. Na super, dachte ich. Jetzt rief Kati mich zurück. Aber ich täuschte mich. Auf meinem Display stand Lotta!

»Ja?«, keuchte ich ins Handy. »Hey, geht es dir gut?« Ihre Stimme war sanft und plötzlich ging es mir so viel besser als vorher. »Ist schon in Ordnung«, antwortete ich ihr. Ihren nächsten Satz verstand ich nicht, die Verbindung war zu schlecht. »Was hast du gesagt?«, rief ich etwas lauter. »WO BIST DU?« Die Verbindung war wieder da, besser als je zuvor. Wo genau war ich eigentlich? Ich sah mich um und musste lachen. Lotta musste es falsch verstanden haben, denn sie schien wütend zu sein, dass ich in diesem unpassenden Moment lachte. Schnell erklärte ich ihr: »Ich bin am Ende deiner Straße. Ich muss wohl im Kreis gelaufen sein.« Ich konnte förmlich spüren, wie sie nun auch grinsen musste. »Das mit vorhin tut mir leid. Weißt du, ich würde mir wünschen, dass du jetzt bei mir wärst. Jetzt und auch über Nacht, aber wir sollten das nicht tun. Noch nicht. Und das mit Silvester... Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Ich hab gesehen, dass das für dich nicht einfach ist. Glaub mir, mir geht es auch so. Wir beide müssen stark sein, damit das mit uns funktioniert.« Stille. Ich musste ihr zustimmen. »Mir tut es auch leid. Ich verhalte mich gerade wie ein Idiot«, entschuldigte ich mich. Dann fügte ich mit einem Lächeln hinzu: »Wie ein verliebter Idiot.« Ich hörte sie am anderen Ende lachen und mein Herz fing wild an zu klopfen. »Gut, ich wollte das nur noch mit dir klären«, sagte sie und ich wusste, dass sie gleich auflegen würde. »Ich schätze, wir sehen uns dann«, gab ich als Antwort. Dann legten wir auf und ich machte mich auf dem Weg nach Hause. Ich war total durchgefroren, als ich dort ankam, aber innerlich war mir warm. Lotta schaffte es immer wieder, dass ich mich besser fühlte. Und auch Kati hatte ich beruhigt und irgendwann glaubte sie mir dann, dass sie sich keine Sorgen machen musste.

Die nächsten Tage entspannte ich einfach mal wieder und nahm mir Zeit für mich. Ich ließ mir ein heißes Bad ein, las ein Buch und schlief viel. Die letzten Wochen waren für mich anstrengend gewesen und nun tankte ich wieder Energie auf. Dann war auch schon Silvester. Ich half meinen Eltern bei der Vorbereitung; wir stellten die Getränke kalt, kümmerten uns um das Essen und schmückten das Haus. Das Ergebnis sah toll aus. Um 16:40 Uhr machte ich mich auf den Weg zum Hafen. Jedes Jahr fand dort um 17:00 Uhr ein riesiges Feuerwerk statt und das wollte ich mir mit meinen Freunden anschauen. Ich ging durch die Menschenmasse, die sich mittlerweile versammelt hatte und in jedem Gesicht suchte ich Lotta. Schaute sie sich das Feuerwerk auch an? Ich versuchte, nicht an sie zu denken und schob die Gedanken zur Seite. Als ich zum vereinbarten Treffpunkt kam, waren meine Freunde schon da. Ich erschrak. Nicht nur meine Freunde standen dort, sondern auch Lotta. Kati umarmte mich und meinte: »Guck mal, wen wir getroffen haben.« Für eine Antwort hatte ich gar keine Zeit, denn Gabriel fiel uns ins Wort: »Lasst uns noch einen Glühwein holen, die Kälte hier ist ja nicht auszuhalten.« In den Restaurants am Hafen wurde immer Glühwein verkauft, das war immer sehr praktisch, dass man nur ein paar Meter gehen musste. Lotta sah verlegen aus und sagte: »Dann will ich euch mal nicht weiter stören.« Sie drehte sich um und wollte losgehen, doch Kati legte ihre Hand auf ihre Schulter. »Quatsch, Sie können gern mitkommen, wenn Sie möchten. Sie sind doch alleine hier, oder?«, quatschte sie los. »Oder stört euch das?« Ich schüttelte energisch den Kopf und auch die anderen mochten Frau Lindberger und taten es mir gleich. Also gingen wir uns einen Glühwein holen und warteten auf das Feuerwerk. Alle unterhielten sich, nur Jonas war etwas still. Er kam dichter und flüsterte mir ins Ohr: »Ist alles in Ordnung bei dir?« Ich sah ihn stirnrunzelnd an. »Ja, alles gut. Mir ist nur etwas kalt.« Er gab sich mit der Antwort zufrieden. Dann ging das Feuerwerk los, es war wie jedes Jahr ein wahres Spektakel. Es war zwar etwas nebelig, aber das störte nicht weiter. Man konnte trotzdem alles gut erkennen. Vor einigen Jahren war es so nebelig gewesen, dass man fast gar nichts sehen konnte. Dann war es mit einem letzten Knall vorbei und alle strömten in unterschiedliche Richtungen. »Dann wünsche ich euch viel Spaß heute Abend«, verabschiedete sich Lotta. »Wollen Sie nicht mit uns feiern?«, rutschte es mir plötzlich heraus und für einen Moment entglitten ihre Gesichtszüge. »Lieber nicht... ich.. also«, stotterte Lotta. Kati zog die Augenbrauen nach oben. »Sie feiern doch nicht etwa alleine?«, fragte sie skeptisch. »Doch, dieses Jahr schon«, gab Lotta zu und ihre Wangen wurden rot. Ich wusste, dass die Kälte nichts damit zu tun hatte. Völlig unerwartet ergriff Gabriel ihren Arm und rief: »Los geht es. Sie kommen mit, keine Widerrede! Bei Elli gibt es immer das beste Essen, ich schwöre es.« Und sie stimmte doch tatsächlich zu. Jackpot, dachte ich voller Vorfreude. Zwar konnte ich sie nicht küssen, aber wir feierten zusammen. Am liebsten hätte ich sie jetzt in den Arm genommen, aber ich hielt mich tapfer zurück.

»Oh, Lotta. Das ist ja eine Freude. Elli hat mir gar nicht gesagt, dass wir noch einen Gast mehr haben«, begrüßte meine Mama sie freudestrahlend. Kati sah mich erstaunt an und warf mir einen »wir-beide-müssen-reden« Blick zu. Schnell sagte ich: »Wir haben Frau Lindberger gerade erst am Hafen getroffen.« Meine Mama nickte nur und schon hatte sie einen weiteren Teller geholt. Die anderen Gäste klingelten gerade. Es waren zwei verheiratete Paare, Freunde der Familie. Lotta stellte sich vor und Kati nutzte die Gelegenheit und zog mich mit ins Bad. »Woher kennt deine Mama denn Frau Lindberger?«, durchlöcherte sie mich neugierig. Sollte ich ihr die Wahrheit sagen? Ich entschied mich dafür. »Hört sich vielleicht komisch an, aber sie war Weihnachten bei uns. Meine Mama hatte sie eingeladen, als wir sie beim Einkaufen getroffen hatten.« Ich seufzte. »Warum hast du mir das denn nicht erzählt?« Wenn du wüsstest, dachte ich. »Keine Ahnung, habe einfach nicht daran gedacht und wir hatten uns heute doch erst wieder gesehen.« Kati nickte. »Ist ja ein komischer Zufall, dass sie auch Lotta heißt, oder?«, bemerkte sie beiläufig. Mir wurde heiß. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht, dass sie von Lotta aus dem Chat wusste. »Ja, das ist wirklich ein Zufall.« Ich räusperte mich. »Wollen wir mal wieder zu den anderen zurück?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, drehte ich mich um und verließ das Bad.

Das Essen schmeckte wie immer einfach nur wunderbar und Gabriel hob feierlich sein Glas und sprach einen Toast aus auf die Kochkünste meiner Mama. Alle taten es ihm gleich. Wir machten Bleigießen, obwohl ich das für verschwendetes Geld hielt, denn jedes Mal kam bei mir nur ein Klumpen raus, aus dem ich nicht schlau wurde. Ich konnte mich nicht ganz ungestört mit Lotta unterhalten, aber wenigstens konnte ich sie sehen und lachen hören. Plötzlich stieß mein Vater einen Schrei aus. »Die Zeit! Es ist gleich 0 Uhr«, rief er in die Runde. Schnell wurde der Sekt ausgeteilt. Sieben Minuten noch. »Dann lasst uns schon mal rausgehen«, sagte mein Vater. Wir stießen jedes Jahr draußen an, das war ein altes Ritual. »Ich gehe nur nochmal schnell für große Mädchen«, hauchte Lotta mir ins Ohr und alle anderen standen auf und gingen in den Flur, um sich anzuziehen. »Elli, kommst du?«, rief Jonas mir zu und steckte seinen Kopf wieder in die Küche. »Gleich«, antwortete ich. Mir war gerade die perfekte Idee gekommen. »Geh ruhig schon vor.« Er zuckte mit den Achseln und verschwand mit den anderen. Ich ergriff die Chance. Drei Minuten noch. Ich hörte, wie Lotta spülte und als sie dir Tür kurze Zeit später öffnete, wurde draußen gerade der Countdown laut runtergezählt. Ich stieß Lotta sanft zurück ins Bad. »Fünf... Vier...«, hörten wir die anderen schreien. Ich drückte sie an die Tür, verriegelte diese und küsste sie dann leidenschaftlich. »FROHES NEUES!« Draußen stiegen die Raketen in die Luft, aber das war mir egal. Ich küsste Lotta in das neue Jahr und das war mir viel wichtiger. Dann lösten sich unsere Lippen. Sie strahlte und das, was ich fühlte, war besser als Geburtstag und Weihnachten zusammen. Dieser Moment bedeutete mir unendlich viel. »Nun hast du ja doch bekommen, was du dir gewünscht hast«, hauchte Lotta mir leise zu und küsste mich erneut. Für eine kurze Zeit lösten sich unsere Lippen nochmal voneinander, wir sahen uns tief in die Augen und ich flüsterte: »Ich liebe dich.« Sie antwortete sanft: »Ich liebe dich auch.« Dann lief ihr eine Träne die Wange herunter und ich wusste, dass sie nicht traurig war, sondern glücklich. Ich konnte es mit Bestimmtheit sagen, denn es ging mir auch so. Dann fanden unsere Lippen wieder zueinander, bis es plötzlich an der Tür klopfte und wir uns panisch ansahen.

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