Kapitel 2

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„Hey, Bruderherz! Bist du mal wieder nur am schlafen?"
Kilian schreckte hoch und öffnete seine Augen um sie direkt wieder zu schließen, weil die Sonne ihn blendete.
„Du musst ja taub sein, wenn du bei dem Lärm noch nicht aufgewacht bist."
„Was für ein Lärm?" Noch halb am schlafen, blinzelte er sein Schwester fragend an.
„Dieser laute Donner, den man die ganze Zeit hört vielleicht?", fragte Lea sarkastisch und schaute ihn belustigt an. „Du musst wirklich wie ein Stein geschlafen haben, sonst..." Der Rest ging in einem lauten Donnergrollen unter und Kilian zuckte zusammen. Er schaute suchen in den Himmel, fand aber nirgendwo auch nur eine Wolke.
„Wo soll das Gewitter denn bitte sein? Ich sehe nicht mal eine Wolke. Und bis gerade eben hat es hier bestimmt nicht gedonnert. Das hätte ich wirklich mitbekommen!"
„Klar, deswegen habe ich das auch schon seit bestimmt einer Stunde gehört und war nur ein paar Häuser die Straße runter." Ihre Augen blitzten ihn herausfordernd an.
„Okay, okay, vielleicht hab ich ein bisschen geschlafen, aber..."
„Du hast geschlafen, da gibt es nichts zu diskutieren", unterbrach sie ihn.
„Ja, ja, aber ich sehe kein Gewitter und meinst das wäre schon länger so, oder? Dann müsste hier doch langsam mal was ankommen, aber hier war glaube ich die ganze Zeit Sonne."
„Ja war hier auf jeden Fall!", bemerkte sie lachend, „Du siehst aus wie ein gekochter Krebs." Kilian sah auf seine Arme herab und zog sein Langarmshirt ein Stück hoch. Ab seinen Handgelenken war seine Haut knallrot und stand in einem starken Kontrast zu seiner ansonsten kalkweißen Haut.
„Fuck!", entfuhr es ihm. Er hatte seine helle Haut schon immer gehasst. Immer musste er sich eincremen, während andere sich ohne Bedenken stundenlang in die Sonne legen konnten.
„Ich glaube ich gehe jetzt lieber rein. Gleich kommt bestimmt auch das Gewitter."
„Ist vielleicht eine gute Idee, du Krebs", grinste sie ihn an. Ohne was zu sagen, nahm Kilian sein Laptop und ging rein. Er ärgerte sich über seine eigene Blödheit. Besonders störte ihn, dass er den Donner nicht gehört hatte. Er war so laut gewesen, dass man seinen Gengenüber nicht mehr verstand. Wie hatte er da noch schlafen können?
„Hast du jetzt schlechte Laune?" Lea war ihm gefolgt und schloss die Terrassentür hinter ihnen. In ihrer Stimme schwang ein hämischer Unterton mit.
„War ja klar, dass du jetzt wieder darauf rumreiten musst", erwiderte Kilian genervt. Er stellt seinen Laptop auf den Küchentisch und drehte sich um. Drinnen wurde er nicht mehr von der Sonne geblendet und sah Lea erst jetzt richtig. Er musste grinsen.
„Also ich bin ein gekochter Krebs? Vielleicht solltest du mal in den Spiegel schauen." Das Grinsen auf Leas Gesicht lies ein wenig nach und sie eilte zum Spiegel im Flur.
„Scheiße! Wie kann das denn bitte sein? Ich war doch fast die ganze Zeit im Schatten."
„Also mir gefällt dein Hautton. Hat ein bisschen was von roten Rosen", neckte er sie vergnügt.
„Ist ja gut. Du hast gewonnen", gab sie auf und kam zurück in die Küche. „Davon habe ich bestimmt noch die ganze Woche."
„Tja, ich glaube das wird noch sehr angenehm für uns beide."

Als Kilian seinen Laptop nach oben bringen wollte, ging die Haustür auf und sein Vater kam herein. Er trug ein Hemd mit Krawatte und eine Anzugshose. Die dazugehörige Anzugsjacke hing über seinem Arm. Alles war nass. Das Haar klebte ihm an der Stirn und aus seinen Klamotten tropfte das Wasser. Halb blind durch die beschlagene Brille, suchte er nach dem Türgriff und schloss die Tür hinter sich.
„Ähm, hi Dad. Was ist denn mit dir passiert?" Verwirrt schaute er aus dem kleinen Fenster neben der Tür. Draußen schien die Sonne und der Himmel war immer noch so klar wie vor fünf Minuten.
„Das frage ich mich auch", murmelte Kilians Vater und zog seine Schuhe aus. Dabei schwappt ein Schwall Regenwasser auf den Boden. „Kannst du mir ein Handtuch holen?"
Lea erschien im Flur und betrachtete überrascht ihren Vater. „Draußen scheint doch die Sonne. Oder hat dich das Gewitter erwischt?"
„Ich dachte auch es scheint die Sonne, aber ich habe mich wohl geirrt. Kilian, wolltest du mir nicht ein Handtuch holen?"
„Ja klar", antwortete Kilian, der immer noch auf der ersten Stufe der Treppe stand und genauso verwirrt wie seine Schwester war. Er spurtete die Treppe hoch und holte aus dem Badezimmer ein großes Badetuch. Seinen Laptop stellte er auf eine Kommode im Flur und rannte die Treppe wieder runter um das Handtuch seinem Vater zu geben. Der hatte inzwischen seine Brille und Krawatte ausgezogen und knöpfte gerade sein Hemd auf. Dankbar nahm er das Handtuch entgegen und rubbelte seinen Kopf trocken. Während er seinen Oberkörper abtrocknete grummelte er vor sich hin. Kilian und Lea standen immer noch im Flur und wunderten sich wie ihr Vater so nass geworden war.
„Dad, wie hast du das geschafft?", fing Lea, mit einem belustigten Unterton in der Stimme, an.
„Das war irgendein Platzregen. Aber was für einer! Ich dachte auch die Sonne scheint und hatte meine Jacke schon ausgezogen und dann von einer Sekunde auf die andere wurde der Himmel kohlrabenschwarz und es schüttete auf einmal wie aus Eimern." Er bückte sich um seine Hose auszuwringen und die Pfütze auf dem Boden aufzuwischen.
„Das Wetter ist heute irgendwie komisch. Eben hat es gedonnert als würde die Welt untergehen und es war kein Wölkchen am Himmel und jetzt meinst du es hätte wie aus Eimern gegossen, obwohl die Sonne scheint." Kilian wandte sich ab. „Ich fang mal an das Abendessen zumachen."
„Ja, das ist eine gute Idee. Ich gehe nach oben und zieh mir was anderes an und dann komm' ich dir helfen. Mama ist noch nicht da, oder?"
„Nein!", rief Kilian, der schon in der Küche war. Er hörte wie sein Vater die Treppe hochstieg und die Tür von seinem Schlafzimmer zuschlug. Seine Schwester kam ebenfalls in die Küche und half ihm Töpfe aus dem Schrank zu holen.
„Da scheint jemand schlechte Laune zu haben", meinte sie grinsend, „Was willst du machen?"
Ebenfalls grinsend erwiderte er: „Ein kalte Dusche hat ihm bestimmt gut getan. Ich hatte an eine Pfanne mit Hackfleisch und Paprika gedacht. Und dazu Nudeln."
„Haben wir denn Hackfleisch?"
„Ja, liegt im Kühlschrank ganz unten."
Lea öffnete den Kühlschrank und kramte das Hackfleisch hervor. „Das ist heute echt voll bekloppt. Wir haben Sonnenbrand und Dad kommt klitschnass nach Hause."
Kilian nahm das Hackfleisch entgegen und warf es mit etwas Öl in eine Pfanne. „Ja, wahrscheinlich ist Dad genau in das Gewitter gekommen, das wir gehört haben."
Schweigend schnitten die beiden die Paprika und einiges anderes Gemüse in kleine Würfel und schütteten sie zum Hackfleisch. Kilian fragte sich währenddessen, ob das merkwürdige Wetter Auswirkungen der Klimaerwärmung waren. Aber als er so darüber nachdachte, wurde im bewusst, dass das Wetter gar nicht so merkwürdig war. Es war lediglich ein Gewitter sehr nah vorbeigezogen. So hatte man extreme Wetterunterschiede auf einem sehr kleinen Raum. Das einzige wirklich Merkwürdige, war der Vogel. Es gab jedoch auch dafür eine sehr einfache Erklärung. Kilian war nicht so ein extremer Tierliebhaber wie seine Eltern oder seine Schwester. Er hatte den Vogel vielleicht schon mal gesehen aber nicht richtig wahrgenommen oder er hatte den Vogel halt einfach noch nie zu Gesicht bekommen. Er kannte schließlich nicht jeden Vogel hier beim Namen. Vielleicht kannte ja seine Schwester diese Vogelart.
„Hast du hier schon mal Vögel mit sehr buntem Gefieder gesehen?", befragte er seine Schwester.
„Was verstehst du unter bunt?", fragte die zurück.
„Halt richtig bunt. Hauptsächlich blau und rot. Aber so ein richtig strahlendes Blau und ein Weinrot. Und der Bauch war grüngelblich."
Lea schien zu überlegen und antwortete nicht direkt.
„Nicht das ich wüsste. Wie groß war der denn?"
„Etwa so groß wie ein Spatz. Mit einem orangen Schnabel."
„Du willst mich verarschen oder? Solche Vögel gibt es vielleicht irgendwo im Dschungel."
Das Gemüse war fertig und Kilian würzte das Fleisch noch etwas während er ein wenig rührte. Lea wusch sie die Hände und deckte den Tisch.
„Nein, ich meine das ernst. Als ich aus der Schule kam, saß genau so einer auf dem Zaun vom Vorgarten. Und außerdem war auch einer davon in der Gästetoilette eingesperrt."
Sie schaute ihn skeptisch an. „In der Gästetoilette? Wie soll der denn da reinkommen? Dann muss jemand ihn eingesperrt haben. Ach, quatsch du willst mich doch nur ärgern!"
„Nein, will ich wirklich nicht! Ich hab' mich ja auch schon gewundert." Lea sah ihn nicht sehr überzeugt an.
„Dann hast du wohl Halluzinationen, wenn du so fest daran glaubst."
„Danke Schwesterherz! Du bist immer so liebenswürdig und aufbauend." Sie musste grinsen.
„Tja so bin ich halt." Kilian verzog nun auch seinen Mund zu einem Lächeln. Was hatte er nur für eine liebreizende kleine Schwester, die überhaupt nicht eingebildet war.

Ihr Vater tauchte aus dem Flur auf und schnupperte.
„Ah, das riecht schon gut. Was gibt es denn?" Er trat zum Herd. „Hackfleisch mit Gemüse", beantwortete er seine Frage selbst. „Keine Beilage?"
„Oh, ich habe die vergessen die Nudeln zu machen", bemerkt Kilian und fing an einen Topf mit Wasser zu füllen. „Wieder trocken?" Er grinste schelmisch.
„Ja. Das findest du mal wieder witzig." Er knuffte Kilian in die Seite. „Ein bisschen mehr Respekt deinem Vater gegenüber!", forderte er mit einem breiten Grinsen.
„Träum weiter!", kam es von der Couch, wo Lea es sich bequem gemacht hatte.
„Ah, die kleine Ratte muss sich auch mal wieder lustig machen." Mit wenigen Schritten erreichte er das Sofa und setzte sich Lea auf den Bauch.
„Dad!", keuchte die erschrocken auf und versucht ihn runter zu schubsen. Er fing an sie zu kitzeln und Lea schlug um sich. Kilian hatte inzwischen die Nudeln aufgesetzt und schaute von sicherer Entfernung zu. Doch dann er schlich sich von hinten an die beiden dran und stürzte sich auf seinen Vater. Der war kurz überrascht und kippt um wodurch Lea sich unter ihm herauswinden konnte. Sofort begann sie ihn zu kitzeln und Kilian half ihr dabei. Lachend wehrte sich ihr Vater und schnappte sich ein Kissen. Sofort entbrannte eine wilde Kissenschlacht im Wohnzimmer.

„Michael! Bist du mal wieder die Kinder am ärgern?" Die drei Raufbolde drehten sich um und sahen ihre Mutter in der Tür zum Flur stehen. Sie hatte ihre Jacke bereits ausgezogen und hielt sie in der Hand.
„Nein, die ärgern mich", erwiderte Kilians Vater mit einem breiten Grinsen und schubst Kilian vom Sofa. Kilian stand auf blickte ungläubig zu der Jacke in der Hand seiner Mutter. Die Kapuze war mit einigen Schneeflocken bedeckt. Er schaute zum Fenster. Draußen schien immer noch die Sonne.
„Ähm, Mum... Ist das da Schnee auf deiner Jacke?"
„Ja, ich habe auch nicht mehr damit gerechnet, dass es noch mal schneit schließlich haben wir bald..." Sie hielt inne, weil sie aus dem Fenster sah und dort keinen Schnee sondern strahlenden Sonnenschein fand. „Was ist denn das? Der Garten ist ja gar nicht verschneit und die Sonne scheint wieder." Sie ging zur Terrassentür in der Küche und öffnete sie. „Warum ist es plötzlich wieder so warm? Ich bin doch gerade noch durch den Schnee gestapft." Verwirrt ging sie nach draußen. Kilian und Lea tauschten einen verwirrten Blick und auch ihr Vater, Michael, wunderte sich: „Also ich bin eben in einen Platzregen gekommen, aber der war viel zu warm. Da kann es doch jetzt nicht schneien."
„Doch! Die ganze Straße war gerade zugeschneit! Ich bilde mir doch nicht ein, dass ich durch ein Schneegestöber laufe."
Sowohl Kilian als auch Lean sprinteten zur Wohnungstür um zu gucken, ob ihre Mutter recht hatte. Als Kilian die Tür öffnete und ein kalter Windstoß ihm entgegen wehte, war er sprachlos. Vor ihm war die komplette Straße von einer Zentimeter hohen Schneeschicht bedeckt. Er schaute die Straße rauf und runter. Überall waren Autos eingeschneit als ob sie schon eine ganze Zeit da standen während es geschneit hatte. Doch die Verwunderung lag nicht nur bei Kilian. Auch andere Anwohner starrten ungläubig aus dem Fenster, verschwanden kurz und tauchten dann meistens mit einem Handy wieder auf. Kilian wandte sich um und lief wieder in die Küche. Die Terrasse und der Garten waren genauso wie vorher. Der Boden war nicht mal feucht. Verwirrt ging Kilian raus zu seinen Eltern.
„Dad, Mum hat recht. Auf der Straße liegt Schnee. Und zwar Zentimeter hoch!" Weder seine Mutter noch sein Vater antwortete. Sie standen einfach nur mit in den Nacken gelegtem Kopf auf der Wiese und starrten in den Himmel. Kilian blickte ebenfalls nach oben und erstarrte genauso. Der Himmel schien in unterschiedliche Teile aufgespalten zu sein. Direkt über ihrem Haus verlief eine Grenze zwischen zwei solcher Teile. Auf der einen Seite schneite es auf der anderen strahlte die Sonne vom Himmel herab. Der Schnee schien eine unsichtbare Barriere nicht überwinden zu können. Es sah geradezu aus als gäbe es ein unsichtbare Wand. Kilian konnte noch viele weitere solcher Grenzen am Himmel erkennen. Hinter manchen tobte ein Sturm, hinter anderen nieselte es oder aber es goss wie aus Kübeln. Es schien als ob der Himmel aus verschiedenen Flicken zusammengesetzt wurde. Jeder dieser Flicken hatte anderes Wetter.

KilianWo Geschichten leben. Entdecke jetzt