Kapitel 8: Neuanfang pausiert

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Es sind 6 Wochen vergangen. Heute ist Montag und Marcs erster Arbeitstag nach seinem Unfall. Ich habe ihn, nachdem ich von zu Hause geflüchtet bin, nicht einmal wiedergesehen.

Ich wohne jetzt bei Andreas. Ursprünglich wollte ich nur einmal übernachten, dann wurden drei Nächte daraus und jetzt sind es um die 45. Natürlich verläuft so eine Zeit auch nicht ganz spurlos. Zwischen Andreas und mir kam es jetzt schon mehrfach zu einem Kuss. Wir haben jedoch keine Beziehung. Vermutlich, weil ich auf einer anderen Station arbeite und er meistens Nachtdienst hat, also bleibt kaum Zeit für uns.

Andreas ist wirklich nett und liebevoll, ehrlich gesagt kann ich mir ihn sehr gut als meinen Freund vorstellen. Mittlerweile schläft er aber nicht mehr auf dem Sofa, sondern auf einem Klappbett. Dass ich auf dem Klappbett schlafe oder mich wenigstens an den Kosten dafür beteilige, lehnte er kategorisch ab.

Ich fahre mit der S-Bahn zum Krankenhaus, da Andreas Nachtdienst hat. Leider gibt mir das zu viel Zeit über den Tag nachzudenken. Seitdem ich das letzte Mal in Marcs leidendes Gesicht gesehen habe, fürchte ich mich vor dem Tag, an dem er wieder zurückkommt. Wie soll ich mich gegenüber ihm denn jetzt verhalten? Er ist immer noch mein Vorgesetzter. Soll ich so tun, als ob die letzten Monate und das letzte Jahr lang nichts gewesen wäre, oder ihm einfach so oft wie möglich aus dem Weg gehen, auch wenn sich das im OP ziemlich schwierig gestalten wird? Ist er nun vielleicht auch noch sauer und lässt mich gar nichts mehr machen, oder noch schlimmer: Nur die schwierigen Fälle, um mich zu demütigen? Wird er mir das Leben zur Hölle machen? Werde ich gezwungen sein das Krankenhaus zu wechseln, vielleicht auch nur, weil ich seine Gegenwart einfach nicht ertrage?

Von weitem sehe ich seinen Volvo auf dem Krankenhaus Parkplatz stehen, doch ich bleibe meinem Vorsatz treu. Ich trage mich für den Notfalldienst, bei dem man immer sehr viel zu tun hat, ein, sodass ich zu Marcs Wiedereinführung für das Stationskollegium, trotz Anwesenheitspflicht, nicht hingehen kann.

Das Vorurteil, was dem Notfalldienst vorauseilt, kann ich nur bestätigen. Ich renne von Zimmer zu Zimmer und kaum ist jemand versorgt, kommt der Nächste rein. In einem kurzen Moment, indem ich nicht einen Gedanken an die Patienten oder Marc verschwende, überlege ich, wie viel ich wohl, durch das Gehetze abgenommen habe.

Als ich meinen Notfalldienst beendet habe, möchte ich am liebsten ins Bett, oder tot umfallen, aber für keines von beidem habe ich jetzt Zeit, nicht mal für einen Kaffee, denn meine reguläre Schicht auf der Chirurgie-Station beginnt genau jetzt. Ich hoffe bloß, dass ich nicht Marc begegne. Zumindest heute noch nicht, aber am liebsten nie.

Oh nein! Ich stehe vor dem OP-Plan. Und was sehe ich? Natürlich ist das, was passieren musste geschehen. Marc und ich haben eine gemeinsame OP. Er hat mich zu einer seiner OPs eingetragen? Wieso nimmt er denn nicht Knechtelsdorfer, um uns beiden die Peinlichkeit zu ersparen?

Ok, nun ist es soweit. Gretchen, du wirst das durchstehen, ihr werdet kaum miteinander reden müssen und könnt euch nicht mal richtig ansehen, schließlich seid ihr komplett in OP-Kleidung gehüllt. Noch ein letztes Mal Händewaschen und desinfizieren und dann gehst du in diesen OP und bist so stark und unerschü....

„Hasenzahn! Los in den OP, wir haben nicht ewig Zeit." Ich zucke zusammen. Hasenzahn, sagt er nicht wie sonst belustigt, sondern eher ernst, unsympathisch. Marc wäscht sich kurz die Hände, stürmt an mir vorbei in den OP und lässt mich alleine im Waschraum zurück. Ehrlich gesagt, habe ich mir unsere erste Begegnung anders vorgestellt, irgendwie...romantischer.

Ich gebe ihm das Skalpell und dann passiert es, unsere Finger berühren sich kurz. Ich zucke zusammen, kann das Skalpell aber noch halten. Marc hat es bemerkt und sieht mir in die Augen. Obwohl er einen Mundschutz trägt, erkenne ich einen traurigen Ausdruck. Früher war meine Reaktion auf diese kleine Berührung im OP noch ganz anders, es hat ein verliebtes Kribbeln in mir ausgelöst, ein Gefühl der Sehnsucht, doch nun schrecke ich vor seinen Berührungen zurück. Er räuspert sich, reißt mir fast das Skalpell aus der Hand und setzt zum Schnitt an.

Die OP verläuft relativ schnell und gut, ohne Komplikationen und vor allem ohne weitere Vorfälle, zwischen mir und Marc, vermutlich auch hauptsächlich, weil ich überhaupt nichts machen durfte, also komplett überflüssig, geschlagene eineinhalb Stunden, rumstand und Marc und ich nicht ein Wort mehr gewechselt haben.

Ich hatte vor Marc zu vergessen, einen Neustart zu wagen, doch jetzt kann ich nur an ihn denken. Kann jemand bitte auf der Fernbedienung für meinen Neuanfang auf Pause drücken, oder vielleicht gleich zu einem Punkt zurückspulen, an dem alles schöner war? Vielleicht Kindergarten, da wo Mädchen und Jungs sich noch nicht leiden konnten?

Mit einem Schokoladenriegel bewaffnet, zum Trost, gehe ich ins Stationszimmer, um den OP-Bericht fertig zu schreiben.

Ich sitze am Schreibtisch, vor dem Computerbildschirm, als ich ein Knallen höre. Die Tür ist laut ins Schloss gefallen. Aus Schreck fällt mir die Schokolade aus der Hand.

„Ach, Schwester Sabine, schließen Sie dir Tür, doch etwas leiser, ich versuche hier zu arbeiten!" In Wirklichkeit aber, denke ich nur an Marc und dann wieder an das was er mir angetan hat. Ich bin hin und her gerissen.

„Ich bin's." Ich höre Marcs Stimme. Oh Gott, er ist alleine mit mir! Schlagartig drehe ich mich um. Er steht, angelehnt an den Tresen, keine fünf Meter von mir entfernt. Er hat sich in den Wochen nicht verändert, bis auf seinen Gips, der ist verschwunden.

„Hast du auf mich gewartet?", rutscht es mir etwas zu hoffnungsvoll heraus.

Er nickt stumm. „Bist du mit diesem...Kardiologen...zusammen?" Er spricht Kardiologe angewidert aus.

Ich antworte nicht, denn er kommt näher auf mich zu und beugt sich zu mir herunter. Ein Teil von mir möchte ihm am liebsten um den Hals fallen und küssen, ein Anderer ihn rausschicken und nie wiedersehen.

Er streift sanft mit seinen Lippen an meiner Wange bis zu meinem Ohr und ich schmiege mich seiner Bewegung an, bleibe sonst jedoch reglos sitzen. Ein leises Stöhnen bahnt sich seinen Weg aus meinem Mund, doch ich kann es im letzten Moment noch aufhalten.

Marc flüstert in mein Ohr: „Ich gebe dich nicht auf. Ich werde kämpfen...und gewinnen." Damit richtet er sich wieder auf, sieht mich ein letztes Mal an, dreht sich um und geht aus dem Stationszimmer. Ich kann es nicht sehen, doch ich weiß, dass er lächelt.

Ich bin alleine. Ich schnaufe verzweifelt und von Marc überwältigt zugleich, damit habe ich nicht gerechnet. Soll ich Marc doch noch eine Chance geben, schließlich erwarten wir ein Kind? Oh nein, es geht wieder los! Das Liebeschaos rast unaufhaltsam auf mich zu.

Doctor's Diary 5 - Männer sind die beste MedizinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt