Kapitel 6: Noch nicht bereit...

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Marc sieht mir tief in die Augen, doch bevor ich etwas sagen oder erklären kann, ergreift er das Wort.

„Wer ist der Typ?", fragt Marc wütend und nickt in die Richtung des Stationszimmers.

Ich zögere kurz. „Dr. Andreas Krüger, du kennst ihn eigentlich,...er war auch in Afrika. Er ist der neue Oberarzt der Kardiologie."

„Und was...zur Hölle, hast du gestern Nacht bei ihn gemacht?"

„Ich...Ich war traurig und müde und wollte einfach nicht nach Hause.", sage ich mit Unverständnis für Marcs Frage. Marc macht einen verwirrten, aber auch enttäuschten und wütenden Gesichtsausdruck. Denkt er etwa, dass ich ihn Betrogen habe. Naja jedenfalls habe ich das ja noch geradeso abgewehrt. Aber wieso eigentlich ein verwirrter Audruck? Und dann fällt mir ein, dass er nicht weiß, was ich mitbekommen habe. „Marc,...", ich schlucke, „Ich habe gestern Abend...zufällig...das Gespräch von dir und deiner Mutter mitbekommen."

Sein irritierter Ausdruck weicht einem Fassungslosen bis hin zum Ängstlichen. „Und...was hast du...gehört?", fragt er nervös.

Ich zögere wieder. „Ich denke das Wichtigste.", sage ich dann doch mit feuchten Augen und sehe zur Decke.

Marc atmet hörbar aus und blickt zu Boden. Er macht keinen unbesiegbaren Eindruck mehr, um mir den Weg zu versperren, sondern er wirkt überfordert, ängstlich und nervös.

Wir schweigen und schweigen, gefühlte Stunden. Mit meinem Handrücken versuche ich eine Träne auf meiner Wange zu stoppen, als mir mein Verlobungsring auffällt. Ich sehe ihn nicht mehr mit Freude, Liebe und einem Kribbeln im Bauch an. Er ist mir ehrlich gesagt unangenehm. Ich will den Ring nicht mehr sehen. Er erinnert mich nur an eine Lüge, die Verlobung mit Marc, die eigentlich so gar nicht geplant war, sondern von der Polizei aufgezwungen wurde. Er wusste, dass ich einwillige, sonst hätte der Plan nicht funktioniert. Es war einfach Täuschung. Und das tut weh, so richtig weh.

Ich reiße den Ring fast schon von meinem Finger runter, als ob er mir körperliche Schmerzen verursacht, was er in gewisser Weise ja auch tut.

Ich betrachte den Ring mit seinem kleinen Diamanten noch ein letztes Mal, mit tränengefüllten Augen. Und dann gebe ich ihn Marc in die Hand. Zuerst sieht er den Ring in seiner Hand an und dann auf, geschockt, traurig und mit der Situation überfordert.

„Gretchen...Ich...Es...", stottert er hoffend, dass ich den Ring zurücknehme, doch ich unterbreche ihn.

„Du bist einfach noch nicht bereit dafür,...trotz meiner Schwangerschaft. Aber das muss ich akzeptieren. Man kann so etwas nicht erzwingen...Vielleicht hättest du vor einem Jahr, einfach nicht zum Flughafen kommen sollen...Es tut mir Leid, Marc."

Damit lasse ich ihn stehen und gehe mit kullernden Tränen weg, einfach weg, weit weg von Marc. Er sieht mir hinterher und sagt nichts. Doch ich konnte in seinen Augen sehen, wie verletzt er ist. Eigentlich sollte ich verletzt sein, doch stattessen fühle ich irgendwie, dass ich das richtige gemacht habe, auch wenn es Trauer mit sich bringt.

Nun ist doch Schluss mit Marc Meier, nach über einem Jahr Beziehung mit anschließender Schwangerschaft und Verlobung, oder wohl eher Fake-Verlobung. Ich werde mir heute drei bis vier Stunden frei nehmen, um aus Marcs Wohnung auszuziehen, bevor er nach Hause kommt.

Aber wie ist das Verhältnis, zwischen Marc und mir im Krankenhaus? Wie soll ich meinen Kollegen und ganz besonders meinen Eltern beibringen, dass Marc und ich nicht mehr heiraten werden, nicht mehr zusammen sind, ich aber unser Kind bekomme und vermutlich alleinerziehende Mutter mit Übergewicht werde. Und am schlimmsten: Ich muss wieder bei meinen Eltern einziehen.


Na toll! Jetzt läuft mir auch noch Andreas über den Weg. Als er meine Tränen sieht, wird sein Gesichtsausdruck allerdings sanfter und mitfühlender. Er kommt auf mich zu, reicht mir ein Taschentuch aus seiner Kitteltasche, geleitet mich ins Stationszimmer und sorgt dafür, dass wir ungestört sind, sodass niemand weiteres meinen Heulkrampf mitansehen muss.

Andreas legt mir eine Hand auf den Rücken, um mich zu trösten, tut aber nichts weiter. Ich vermute, er ahnt was passiert ist. Ich kann nicht anders, als mich gegen seine Schulter zu lehnen und zu schluchzen.

Er streichelt sanft meine Wange und gibt mir einen kurzen Kuss auf die Stirn, der mich nicht wegschrecken lässt. Er gibt mir das Gefühl, geborgen und sicher zu sein. 

Doctor's Diary 5 - Männer sind die beste MedizinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt