Auf der Straße.

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Er zog seine Kapuze über. Der Regen hämmerte aufs Wellblech. Genervt bückte er sich um seine Schnürsenkel in seine Allstars zu quetschen. Bei dem Wetter würde er eh nasse Füße bekommen. Er kniete sich hin um noch mal alle Verschlüsse seines Rucksacks zu prüfen. Hoffentlich hielt der den Regen aus. Wenigstens bis er zur nächsten Metro gelangt war. Er stand wieder auf. Bei dieser Bewegung drehte er seinen Kopf leicht. Gerade soviel um unbemerkt hinter sich zu blicken. Die drei Sonnenkinder standen immer noch gegen die Hauswand gelehnt und beobachteten ihn. Der eine, welcher während des Deals die ganze Zeit misstrauisch Wache gestanden hatte, spielte nun demonstrativ mit seinem Balisong umher.
Er schloss seinen Reißverschluss bis kurz unters Kinn und öffnete die Tür.  Draußen heulte der Wind und man konnte kaum die Straße erkennen. Schnell schloss er die Tür und verschwand im Strom der Menschen, die sich an den Fassaden von Café zu Café sputeten um nicht zu nass zu werden.
Auf den Straßen floss das Wasser. Es sammelte sich in großen Strömen, die, wie ein reißender Gebirgsquell, an den Straßenseiten gen Gulli schwemmten.
Wassertropfen flogen durch die Luft, schwirrten umher, nur um irgendwann mit max. Speed auf den Asphalt zu zerprallen. Dabei spalten sie sich in tausend Splitter, und verdunstete in die Höhe. So bildete sich ein dichter Nebel auf Kniehöhe. Dieses Wasser sammelte sich wieder zu einem neuen Tropfen, um gleich vom nächsten Tropfen zu Boden geschmettert zu werden.
Seine Convers waren schon komplett durchnässt. Er versuchte auf der anderen Straßenseite etwas zu erkennen, wie ein Schild, oder irgendetwas das auf eine Metro deutete. Vergeblich. Nebst Verkehr und Regen, war die Innenstadt sowas von überhaupt nicht ausgeschildert.
Egal. Ohne auf eine Ampel oder so zu achten, betrat er die Straße. In Paris achtete niemand auf soetwas. Die meisten Ampeln funzten eh nicht. Und Zebrastreifen. Wer hatte schon von Zebrastreifen gehört. Sowieso hätte sich nie jemand daran gehalten. In Frankreich hielt man sich generell an nichts und niemanden. Vive la révolution, la liberté et le bon vin sans fromage!
Plötzlich war es ihm wie eine Erscheinung. Sie war auf der anderen Straßenseite. Er hatte gerade das erste Drittel der immensen avenue überquert, als er sie erblickte. Ihre schimmernden roten Haare hatten seinen Blick gefangen. Sie musste etwa zwei Jahre älter als  er sein. Trotz ihrer athletischen Figur bewegte sie sich geschmeidig durch den Regen. Wie eine Katze durch den Zaun, schien sie den Regentropfen auszuweichen. Im Gegensatz zu seinen schien ihre Kleidung beinahe trocken. Ihre Jeans hatte nichts des hellen lazuli verloren, welche sie in kurze matt braune Lederstiefel gesteckt hatte, sodass beides perfekt ineinander überging. Die olivgrüne Veste stand im Kontrast zu ihren Haaren, wodurch die blutroten Strähnen herrausstachen. In langen Wellen lag ihr die rubine Pracht um den Nacken und fiel ihr über die Brust. 
Seine pochte. Er beschleunigte seinen Gang, denn Sie hatte sich ihm abgewandt, und er wollte um jeden Preis nochmal ihr hübsches Gesicht erblicken, dessen Glanz er nur kurz erhascht hatte. Bloody waren ihre Lippen gewesen. Entschlossen ihre Miene. Und dennoch dieses koquette Lächeln in ihren Mundwinkel. Sein Herz hämmerte als sein Blick an der Stubsnase vorbei, ihre Augen erblickt hatte. Lange dunkle Wimpern beflügelten sie, und deuteten auf die makellosen Augenbrauen, welche im kühnen Winkel, ihr den Flair einer Göttin gaben. Doch am insolitesten war wohl die Farbe ihrer Augen.  Erst hatte er gedacht sie wären hell blau, ja beinahe silbern. Doch dann bemerkte er das Rot, und erkannte den violetten Schimmer, in welchen sie leuchteten.
Das alles hatte ihn wie mit Kupidos Pfeilen gebannt. Sein ganzer Körper war erregt. Jeder Muskel stand unter Spannung. Es kribbelte. Er war mittlerweile auf der anderen Straßenhälfte. Von der vierspurigen Avenue verblieb ihm nur noch eine zu überqueren. Er schlug schon mal in Richtung des Mädchens ein um schneller mit ihr aufzuholen. Sie hatte sich indes schon einiges von ihm entfernt, und schien ihm im Regen zu entgleiten.
Da geschah es. Er hörte ein lautes hupen. Im nächsten Moment wurde er in die Luft geschleudert. Seine Beine schmerzten. Vermutlich gebrochen. Dann schlug er auf den Asphalt auf. Sein Kopf schmetterte auf das dunkle Nass. Regen durchdrang sein Haar. Seine Kapuze war ab. In dünnen Bächen färbte sich das Wasser rötlich. Wieder ertönte eine Hupe. Reifen quitchten. Sein Rippen brachen unter dem Gewicht der Räder. Sein Körper wurde noch, einiges über den Boden geschliffen. Dann zerbrachen die Hinterräder des Wagens seine Wirbelsäule. Die oberen Rippen zerstachen die Haut. Sein Kopf, nur noch von Trapezius und dem Sternokleidomastoid gehalten, rollte etwas zur Seite. Einer der Augäpfel war durch den Schock kollabiert. Eine durchsichtige Flüssigkeit quoll aus der Augenhöhle. 
Der Wagen kam zum Stillstand. Einige Passanten waren herbeigeeilt, und standen nun teils neugierig, teils geschockt, teils angeekelt, vor der Szene. Ein paar hatten ihre Handys gezückt. Einige um die Polizei und Leichenwagen zu bestellen, andere um den Schlamassel zu filmen.
Das Mädchen war nicht mehr zu sehen. Regen fiel. Es war spät. Straßenlaternen flackerten und erleuchteten schließlich. Es donnerte. Es war Donnerstag. Ein schöner Tag zum sterben.
Das Bild wechselt.
Sie kam nicht und es war zu spät. Die Blätter waren verteilt. Sie wurde als fehlend eingetragen. Verdammt. Und jetzt? -Blätter umdrehen, Namen und Datum eintragen und los. Sie hatten 105min Zeit.
90. Seine Hände schwitzen. Sein Schriftbild würde man bestimmt nicht mehr entziffern können.
85. Désoxyribonukleinsäure bestand aus Wasserstoffbrücken zwischen Glykonin und Cytosin als auch Adenin und Thymin. Oder war es Thyrosin? *****ße. Egal einfach weiter.
60. Fast Halbzeit! Und er war nicht mal mit einem Viertel der Klausur durch. Zudem hatte er etliche Aufgaben übersprungen. Aktin, Myosin. Welches bindet nochmal das Atp und welches spaltet es wieder? Aber vorallem wann? Bei der Kontraktion? Totenstarre. Atp-Mangel. Also musste die Spaltung bei der Entspannung des Muskels stattfinden, folgerte er. Aber halt. Es wurde ja schon vorher gebunden. Wierum war das jetzt nochmal?
40. Wenn jetzt nicht ein Wunder geschah wars das. Er hatte bei der Beschriftung der einzelnen Hirnregion sogut wie nichts gewusst. Hypothalamus, Hypokampus, Kleinhirn.. Und mehr brachte er nicht zusammen.
34. Er war schon fast am verzweifeln. Der Klassenprimus hatte schon abgegeben. Da. Plötzlich. Laut. Schrill. Feueralarm. Die Rettung! Alles stehn und liegen lassen und den Saal räumen. Auf den Schulhof.
Als er an der frischen Luft war, atmete er erstmal tief durch. Jetzt war die perfekte Gelegenheit sich mit den anderen auszutauschen. Hoffentlich hatten die mehr gepeilt als er. Aber etwas hielt ihn zurück. Er blickte um sich. Etwas stimmte nicht. Dies schien keine gewöhnliche Übung zu sein. War es überhaupt eine? Die Lehrer schienen gestresst. Auf jeden Fall machten sie nicht den Eindruck vorgewarnt gewesen zu sein. Seltsam. Der Rektor und der Rest der Leitung fehlte komplett.
Aber Rauch war nicht zu sehen. Außer natürlich von den älteren die sich unerlaubt einen Nikotinkick gönnten.
Durch die Glasfassade der großen Aula schaute er quer durchs Gebäude, bis hinüber auf die Straße auf der anderen Seite. Ein Wagen hielt direkt in der Einfahrt. Ein ziemlich großer. Die Feuerwehr? Nein die war rot! Das Teil war schwarz. Und die Männer die ausstiegen, sahen eher aus wie vom Militär. Aber was hatte das hier zu suchen? Er wurde nervös. Was war hier los. Nach dem ersten kamen noch etliche Personentransporter. Hatten die vor die komplette Schule zu entvölkern? Und wohin? Weshalb? Seine Gedanken wurden immer zahlreicher aber immer klarer. Bis sich endlich ein Gedanke herauskristallisierte. Er musste hier weg. Aber definitiv nicht mit denen. Was auch immer in den nächsten Minuten hier abgehen würde, er wollte nicht daran Teil haben. Er sah sich um. Die anderen schienen noch nichts gemerkt zu haben. Nichs vom bevorstehenden. Langsam bewegte er sich durch die Menge. In Richtung Parktür. Weg vom Hauptgebäude. Weg von der Straße. Weg vom grauen Convoi. Die uniformierten hatten indes das Gebäude betreten. Die jüngeren aus der Unterstufe machten die ersten lautstarken Spekulationen. Lehrer versuchten für Ruhe zu sorgen. Zwecklos. Unbemerkt öffnete er die Parktür. Nun hatte er wieder Gras unter den Füßen. Er hörte noch die aufgewühlten Schritte auf dem harten Asphalt des Schulhofs. Dann verschwand er im Schatten der Bäume. Nach Hause. Beo holen. Beo war Lumpis Hund. Eigentlich war er eine Kreuzung aus einem Haski und einem echten Wolf. Aber dass durfte natürlich keiner wissen. Schon gar nicht die Behörden. Die hätten ihn mitgenommen. Vermutlich eingeschläfert. Also war Beo nur sein Hund. Sein halb-legaler Haskiwolf. Ihn musste Lumpi jetzt holen. Schnell. Und dann herausfinden was los war. Auf den Straßen in Richtung Heim war alles still. Merkwürdig wenige Autos waren unterwegs. Während er seinen Gang immer mehr sputete, dachte er nach. Was war dieser Konvoi. Und was wollte er an seiner Schule. War was geschehen. Ging es nur um sie oder hatte es eine größere Bedeutung? Und was war mit ihr? Hatte sie was geahnt. Wusste sie was. Sollte er sie warnen? Ja sie musste Bescheid wissen. Wenn sie es nicht schon tat. Aber wie? Aufs Handy reagierte sie ja schließlich nicht. Sollte er einfach bei ihr vorbei? Das war eine Überlegung wert. Also zu ihr. Ihr Haus war nur eine Residenz weiter als seine. Mitlerweile war er schon fast angekommen. Nur noch ein paar Meter. Er kramte seinen Schlüssel raus. Da war seine Straße. Und jetzt sein Haus. Er schloss die Tür auf und stellte seinen Ransen ab. -Beo!!?Von oben hörte man Tapsen. Ein Hecheln. Und schon schoss ein rieser Wolfskopf die Treppe runter. -Ah da bist du. Guter Hund. Komm wir gehen jemanden besuchen.Er nahm die Hundeleine und packte noch schnell ein paar Sachen in den Rucksack. 5min später waren sie in der Stadt der Königinnen; ihrer Residenz. Hoffentlich war sie da. Er checkte nochmal sein Handy. Vielleicht hatte sie ja doch noch geschrieben. Aber nein. Nichs. Mist. Egal. Sie waren gleich da. Er klingelte nicht. Ihre Mutter mochte das nicht. Also klopfte er stattdessen. Nichts. Nochmal. Jetzt konnte man von drinnen Bewegung hören. Schon bewegte sich die Tür. Eine etwa 42 jährige alte Frau mit schönen langem lockigem kastanienbraunem Haar betrat die Türschwelle. Es war ihre Mutter. Für ihr Alter hatte sie sich gut gehalten. Sie hatte kaum Falten im Gesicht und wunderschöne kristalklare graue Augen. Vom Blick und dem Lächeln im Mundwinkel sah sie ihrer Tochter ziemlich ähnlich. Ihre kurvenhaltige Figur war etwa so groß wie seine. Nur durch den Absatz der Tür überragte sie ihn um ein paar Zentimeter. Sie trug Pantoffeln und abgetragene Jeans, sowie einen Strickpulli. Typischer Hausfrauenlook. Obwohl sie das nicht war. Soviel wusste er. Was genau sie machte hatte er allerdings nie erfahren. Er hatte also Glück, dass sie da war. 

die Schachkarten-Liebe [Ultra Viole(n)t Edition]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt