After

123 24 22
                                    

Nach einem äußerst spärlichen Frühstück, welches Maria Senner nur recht widerwillig für ihren Gast zur Verfügung gestellt hat, erhob Ella Bielefeld sich vom Esstisch.

"Ich danke Ihnen für die Unterkunft. Und das Mahl, natürlich!", sagte sie mit einem gezwungenem Lächeln. "Es war sehr köstlich", log sie weiter und fummelte nervös an ihrer Tasche herum. "Doch ich denke, ich werde meinen Weg nun fortsetzen."

Zum ersten Mal zeigte Maria Senner offen ihre Neugier. Sie vermochte ihren ungezügelten Durst nach Antworten auf all ihre Fragen nicht länger zu verbergen. "Wohin wird Ihr Weg Sie führen?", fragte sie und tat, als ob das nur von mäßigem Interesse für sie sei.

Ella war dies sichtlich unangenehm und nur unter größter Mühe zwang sie sich, freundlich zu erwidern: "Zum See. Ich gehe zum See."

Nun konnte Maria Senner nicht mehr an sich halten. Ihre Kinnlade klappte herunter und etwas Ungläubiges lag in dem Blick ihrer blauen Augen. "Zum See?", wiederholte sie fassungslos. Auch wenn Maria dieses Vorhaben unerhört, ja, geradezu unverschämt fand, gierte sie nach mehr.

Mehr Wissen, über das sie sich später mit Ilke aufregen konnte.

Mehr Wissen, das ihr in der Dorfrunde im Pub am Abend von Nutzen sein würde.

"Ja", gab Ella rasch zurück und schulterte ihre Tasche, die Hand bereits am Türgriff. Die junge Frau konnte es kaum abwarten, endlich fort zu sein von ihrer unfreiwilligen Wirtin. Es fühlte sich an, als wäre sie wieder im Verhör auf der Polizeistation. Wie vor einem Jahr. Den Dialekt hatte sie kaum verstanden und die ohnmächtige Hilflosigkeit hatte ihr Tränen in die Augen getrieben.

"Soll ich dem Alfred Bescheid sagen, damit er dir helfen kann?", bot Maria flink an, das faltige Gesicht ganz rot vor Aufregung.

"Nein danke", lehnte Ella reserviert ab. "Ich komme schon zurecht, keine Sorge."

Maria Senner hatte sich auch keine Sorgen gemacht. Höchstens darum, aus dem Zentrum des Geschehens verdrängt zu werden. Ihre falsche Hilfsbereitschaft war nur "ein Mittel zum Zweck", wie Ilke wahrscheinlich sagen würde, ohne wirklich zu wissen, was es bedeutete.

In Wahrheit scherte sie sich nicht im Ansatz darum, wie Ella nun zum See kam.

Trotzdem breitete sich ein enttäuschter Ausdruck auf dem Gesicht von Maria Senner aus. Sie wollte das Mädchen nicht verlieren. Nicht jetzt, wo gerade alles so großartig für sie lief. Ella war ihr Trumpf. So sagte man das doch, nicht wahr? Ihr ganz persönlicher Trumpf, ihre Fahrkarte direkt in die Gesprächsrunde von Seetal.

Ein weiteres Mal bot sie aufdringlich ihre Hilfe an und sprang hektisch auf. Dabei stieß Maria Senner mit ihrem knochige Bein gegen den Stuhl, der den Weg zu ihrem Gast versperrte. Die Verzweiflung trieb sie dazu, mit einem aufgesetzten Lächeln zu fragen, ob Ella sich denn auch wirklich sicher sei und ob sie nicht doch noch etwas für sie tun könnte.

Ja, Ella war sich sehr sicher und nein, Maria Senner konnte nichts mehr für sie tun. Außer sie endlich ziehen lassen, aber das traute Ella sich nicht zu sagen. Nie hatte sie etwas mehr gewusst als jetzt, dass sie von hier fort wollte.

Bevor Maria Senner noch etwas weiteres sagen konnte, war Ella Bielefeld mit einem hastigen "Auf Wiedersehen" - obwohl sie sich nichts Schlimmeres als ein Wiedersehen mit Maria Senner vorstellen konnte - aus der Tür ins Freie getreten.

Die Sonne hier oben in den Bergen schien viel intensiver als in Graz, doch die kühle Oktoberluft erinnerte sie daran, welche Jahreszeit sie hatten.

Sogleich merkte Ella, das etwas nicht stimmte. Verdutzt hielt sie inne, als sie all die Leute sah, die sich höchst auffällig in kleinen Grüppchen vor dem Haus versammelt hatten und rasch die neugierigen Blicke senkten, als Ella sie misstrauisch musterte.

The After StormWo Geschichten leben. Entdecke jetzt