Ella P. o. V.
So langsam begannen meine Beine weh zu tun von dem ganzen Sitzen und ich musste schon wieder auf die Toilette, doch trotz dieser Unannehmlichkeiten genoss ich die Fahrt in vollen Zügen.
Es gibt Menschen, deren Gesellschaft tut einem gut. Man will sie am liebsten ständig um sich haben, ihre Anwesenheit spüren und sich einfach treiben lassen von dem überrauschendem Gefühl der Freiheit und Überzeugung, das einen dann ergreift.
Amelie war so jemand für mich. Genau genommen war sie sogar die erste und einzige Person in meinem Leben, die mir dieses Gefühl gab.
Wir waren jung und frei, Amelie und ich. Und wir waren gerade auf dem Weg in ein unvergessliches Abenteuer. Schon wieder schlich sich dieses Lächeln auf mein Gesicht und alles andere spielte keine Rolle mehr.
Ja, vielleicht würde ich gerne wieder eine Pause einlegen.
Ja, vielleicht knurrte mein Magen laut und all unsere Müsliriegel waren schon gegessen.
Und ja, alles in mir sehnte sich nach ordentlichem Kaffee.
Aber ich war hier, auf der Autobahn, mit Amelie zu meiner Linken und den Beatles im Ohr. Egal wie dämlich das klang, aber in diesem Moment wollte ich nirgendwo anders sein, ich hätte mich kaum glücklicher fühlen können.
Und das, obwohl ich genau genommen keinen blassen Schimmer hatte, wo wir eigentlich hinfuhren. "Ich zeige dir meine Heimat", hatte Amelie nur verheißungsvoll erwidert und ich war dahingeschmolzen, hatte mit einem Lächeln auf den Lippen allem zugestimmt.
Zack.
Bumm.
Fühlte es sich so an, verliebt zu sein? Ich hatte keine Vergleiche, nie für Jungs gefühlt, aber auch noch nie für Mädchen. Bisher.
Ich glaube, ich verliebte mich nicht in Geschlechter, sondern in Personen. In Personen, die mein Herz berühren, die besonders sind. Besonders interessant und besonders einzigartig und besonders tiefgründig.
Amelie war besonders, auf vielen Ebenen. Sie war besonders Amelie.
Dass sie mir ihre Heimat zeigen wollte, ehrte mich sehr. Das war ebenfalls besonders, besonders aufregend und . . . aussagekräftig. Die Heimat ist ein Ort, an dem wir aufwachsen und den wir irgendwann verlassen, aber nur um immer wieder zurückzukehren. Mit neuen Erfahrungen und neuen Siegen, und auch Niederlagen - und mit neuen Menschen, die uns etwas bedeuten.
Nun wusste ich nicht, wo Amelies Heimat lag, doch das war schon okay. Ich vertraute ihr, voll und ganz.
Etwas mulmig wurde mir jedoch schon, als die letzten blauen Straßenschilder mit Angaben zu den nächstgelegenen großen Städten verschwanden, und nur noch verblichene Warnschilder wie "Vorsicht, Klippe!" oder "Steiler Abhang in 500m" auftauchten.
Wo in Gottes Namen war Amelie denn aufgewachsen?
Ich warf ihr einen prüfenden Seitenblick zu und stellte fest, dass ich etwas Sorge in ihrem Gesicht lesen konnte. Auf der Stirn ihrer hellen, porzellanartigen Haut hatte sich eine schräge Falte gebildet und ihre schokobraunen Augen flackerten nervös hin und her.
Wir fuhren noch eine halbe Stunde so weiter, ohne großartig miteinander zu kommunizieren - Amelie schien tief in Gedanken versunken zu sein und ich traute mich nicht, sie dabei zu unterbrechen.
Schließlich jedoch - ich hatte die Hoffnung bereits aufgegeben - gab es Anzeichen, dass wir unserem Ziel nahe waren. Amelie bog mit ruhigem Blick von der steinigen Straße in einen Sandweg ein, doch ihre Hände am Lenkrad zitterten sehr. Ohne es zu bemerken hielt ich den Atem an und wagte erst, als der Wagen zum Stehen kam, etwas zu sagen: "Verrätst du mir jetzt, wo wir eigentlich sind?"
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The After Storm
Teen FictionEin Jahr ist es her, seit Unaussprechliches in Seetal in Österreich geschehen ist. Ein Jahr nach dem Sturm, der ihre ganze Welt durcheinander gewirbelt hat, kehrt Ella zurück. Der Ort, an dem sie für kurze Zeit glücklich sein durfte. Nachdem Ella de...