Kapitel 12 - Can this be?

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"Hey Clary!" Seine dunkle, melodische Stimme ließ mir einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken laufen und mein Gehirn versuchte verzweifelt, diese Situation einzuordnen. Ich dachte nach, war mir aber ziemlich sicher, dass kein zweites Mädchen meinen Namen trug. In welchem verrückten Paralleluniversum musste ich also gelandet sein, das die Elite der Schulelite sich mit mir auf ein Gespräch einlassen wollte. Ich versuchte weiter das Geschehen zu analysieren. Es gab keinen Zweifel daran, dass es Kyle hinter mir war. Seine Stimme, sein Aftershave, sein ruhiger Atem. Nichts war mir unbekannt, niemals hätte ich etwas verwechselt. Aber was wollte er von mir? Ich hatte The DUFF auch gelesen, vielleicht wollte er über mich nur wieder an Jade rankommen. Oder Ruby war sein neues Ziel - was auch nicht verwunderlich gewesen wäre. Oder möglicherweise hatte ich aus Versehen einen seiner Stifte eingesteckt und jetzt wollte er ihn wieder zurück. Unbehagen stieg in mir auf und auf einmal wollte ich nur noch weg. Aber jemanden wie Kyle ließ man nicht einfach stehen. Niemand, der ganz bei Sinnen ist, würde etwas Derartiges tun. Also kratzte ich das letzte bisschen Mut in mir zusammen, zählte bis drei und drehte mich um. Ich schaute ihm direkt in seine dunkelbraunen Augen, solche, in denen man sich Stunden verlieren konnte, und mein Bauch zog sich so zusammen, dass ich befürchtete, mich gleich zu übergeben. Ich sah ihn genau an. Kyle war nur ein paar Zentimeter größer als ich, aber das störte nicht. Er hatte breite Schultern vom Schwimmen und seine Kleidung war modern aber schick. Er war absolut perfekt. Und die Tatsache, dass er mich anlächelte, ließ mich vor Unglauben fast ohnmächtig werden. Ich lächelte zurück, auch wenn es wahrscheinlich eher so aussah, als müsste ich mal wohin, und krächzte ein schüchternes "Hi" in seine Richtung. Ich starrte auf meine nicht mehr ganz so weißen Chucks und überlegte krampfhaft, was jetzt käme. "Sag mal, du bist doch ganz gut in Französisch, hab ich Recht?" Ich schaute verwirrt wieder auf, zuckte mit den Schultern und nickte dann doch leicht mit dem Kopf: "K-Kann schon s-sein", stotterte ich und wollte am liebsten in meinen Spind klettern. Er nickte auch. "Also ich hab damit so ein paar Probleme. Du hättest nicht zufällig Zeit mir ein bisschen zu helfen?" Kyle zog eine Augenraue hoch und lächelte schief. Ich unterdrückte ein Husten und kämpfte mit meinem Kaugummi, damit ich es nicht verschluckte. Bis vor zwei Minuten hatte ich nicht einmal angenommen das Kyle wusste, dass ich in seinem Kurs war und nun fragte er mich um Hilfe. Mich. Die, mit der er noch nie vorher geredet hatte. Die, die er noch nie vorher angesehen hatte. Mich! Mein Hirn konnte diese Informationen nicht verarbeiten und ich drohte schon wieder an meinem Kaugummi zu ersticken. Vielleicht war ich ohnmächtig. Oder tot. Vielleicht sogar beides, auch wenn das nicht möglich war. Kyle räusperte sich. "Also, was ist?" Ich hatte offensichtlich eine viel zu lange Denkpause eingelegt. "Äh, ja klar", antwortete ich und war mir immer noch nicht sicher, dass das hier real war. "Cool!" sagte er. "Ich melde mich dann bei dir." Kyle hob die Hand und ging. Ungläubig starrte ich ihm hinterher. "Cool", wiederholte ich seine Worte leise. Ich lehnte mich zurück, bis ich das kalte Metall an meinem Rücken spürte. Sein Parfum lag immer noch in der Luft, was der einzige Beweis dafür war, dass das grade wirklich passiert war. Ein ungewohntes Gefühl stieg in mir auf, eines das ich schon lange nicht mehr gefühlt hatte. Glücklich. Ich war glücklich. Oder zumindest fast.

Während ich meinen Spind schloss und die Treppen der Schule runterschlurfte, ließ ich das Gespräch immer wieder Revue passieren. Ich wollte nie mehr etwas davon vergessen. Aber hatte er gesagt, er würde sich bei mir melden? Er hatte nicht einmal nach meiner Nummer gefragt. Also entweder hatte er sie schon, oder alles war nur ein dummer Jungenstreich gewesen, um in einem armseligen Mädchen fälschlicherweise etwas Hoffnung zu schüren. Ich spürte, wie meine Wangen rot wurden - vor Scham - und meine tägliche Übelkeit zurückkehrte. Ha, als ob Kyle Mason etwas von mir wollte. Möglicherweise hatte er ja eine Wette verloren. Ich sprang die letzten Stufen hinunter und rannte aus dem Gebäude, immer weiter, bis ich irgendwann vor meiner eigenen Haustür stand. Ich war völlig aus der Puste und ekelig nass geschwitzt, aber genau das hatte ich jetzt gebraucht. Ich fühlte mich zwar seelisch nicht besser, aber körperlich fühlte ich mich ausgelastet. "Wie siehst du denn aus?" Hörte ich da die entsetzte Stimme meiner Mutter. Ich zuckte zusammen, weil ich sie nicht zu Hause erwartet hatte. Aber ich wusste nicht, was ich antworten sollte, also setzte ich mein unschuldigstes Grinsen auf und schob meine Schultasche in den Flur. "Bitte geh duschen, Schatz!" sagte sie nur in verschwand in der Küche. Als ob ich das nicht vor gehabt hätte. Ich ging die Treppe hoch, hielt aber in der Mitte an, weil meine Mutter noch einmal zurückgekommen war. "Danach gibt es Essen".

Das Duschwasser kam mir heute wärmer vor, obwohl ich es auf die kältest mögliche Stufe gestellt hatte. Normalerweise war meine Mama nie mittags zu Hause, weshalb ich nie etwas essen musste, und wenn sie dann Abends zurück war, konnte ich ihr erzählen, dass ich schon zu Abend gegessen hätte. Aber jetzt konnte ich mich nicht davor verstecken. Ich suchte krampfhaft nach einer Lösung in meinem Kopf, aber mir fiel nichts ein. So langsam es ging stieg ich wieder aus der Dusche und machte mich fertig. Im Esszimmer stand mein Teller schon bereit. Nudeln. Und Gemüse. Na immerhin. Verlegen starrte ich auf das Gericht, während meine Mutter im Nebenzimmer telefonierte. Ich beschäftigte mich damit, ein paar Nudeln auf den Teller meiner Mutter zu verfrachten, damit meine Weniger wurden. Als ich plötzlich hörte, wie das Telefonat beendet war, griff ich kurzerhand in auf meinen Teller und stopfte mir so viel von dem Fraß in die Tasche meines Hoodies, wie ich konnte. Das war zwar ziemlich ekelig, aber mein Teller war fast leer und ein bisschen witzig war diese unbedachte Tat auch. Meine Mutter kam zurück. Die Falten auf ihrer Stirn glätteten sich sofort, als sie meinen Teller sah und sie lächelte. "Ich bin froh, dass du isst, Clary! Wir machen uns nämlich ein bisschen Sorgen, weißt du." Sie lächelte mich nochmal an und ich tat es ihr gleich, auch wenn es mich innerlich auffraß. Ich wollte nie, dass sich meine Eltern Sorgen wegen mir machen. Alles was ich wollte, war Perfektion. Und so sehr es mich schmerzte, von dieser war ich noch ganz weit entfernt. "Ich muss noch einmal ins Büro", sagte da meine Mutter. "Ich komme heute Abend mit deiner Schwester zurück und dann erzählst du mir ein bisschen von deinem Schultag, in Ordnung?" Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und war schon aus dem Haus verschwunden, bevor ich antworten konnte. Jetzt hatte ich meinen Pulli also um sonst versaut. Aber das Gesicht meiner Mutter war es wert gewesen. Ich räumte das Geschirr weg und setzte mich an meine Hausaufgaben. Mittlerweile verspürte ich immer stärker den Drang, gut in der Schule zu sein. Ich wollte unbedingt zu den Besten gehören und war deshalb ein bisschen stolz auf meinen Ehrgeiz. Aber ich war ziemlich schnell fertig. Ich checkte mein Handy, aber bis jetzt war keine Nachricht angekommen. Wie zu erwarten gewesen. Und auch die nächsten Tage kamen keine Nachrichten. Mittlerweile war ich der festen Überzeugung, dass es tatsächlich eine Wette gewesen war. Ich hatte zwar nicht mit Ruby und Jade darüber gesprochen, aber hätten sie es gewusst, hätten sie vermutlich das gleiche gesagt. Wir standen auf dem Schulhof, wie immer in den Pausen. Ruby war krank, aber dafür beehrte uns Jades neuer Freund mit seiner Anwesenheit. Ich mochte meine Freundin, aber am liebsten hätte ich ihr gesagt, dass es ein bisschen widerwärtig war, wie sie sich um den Hals dieses Typen warf und gleichzeitig immer wieder zu der Gruppe von Jungs rüber sah, in die auch Kyle involviert war. Aber andererseits ... Ich tat es ihr gleich und schaute zu Kyle rüber, wie er an seinem Handy rumspielte. Und dann vibrierte plötzlich meines. Ich öffnete die Nachricht: Hast du heute schon was vor? Ich könnte nämlich etwas Hilfe gebrauchen. Ich musste die Nummer nicht kennen, um zu wissen, dass die Nachricht von Kyle kam. Und mit dieser SMS kam auch mein schlecht-aber-glücklich Gefühl wieder zurück. Er hatte nicht gelogen. Kyle wollte wirklich etwas von mir. Auch wenn es nur Nachhilfe war. Ich schaute hoch und sah, wie Kyle in unsere Richtung blickte und lächelte. Und Jade sah das auch.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 16, 2016 ⏰

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