Madison

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Ich kauerte in der Ecke meiner Zelle und hatte den Kopf auf die Knie gelegt. So saß ich ständig da, seit ich verhaftet worden war. Das war vor 355 Tagen und 19 Stunden gewesen. Ich hatte mitgezählt, um mich von dieser Leere hier abzulenken, doch es hatte nicht wirklich etwas gebracht.
Aber die Leere war gar nicht das schlimmste. Andauernd musste ich an ihn denken. An den ersten Menschen hier, der mir etwas bedeutet hatte. Bellamy Blake. Ich hatte ihn geliebt und liebte ihn immer noch, doch ich hatte ihn seit 355 Tagen und 23 Stunden nicht mehr gesehen. Er wusste nicht, warum ich verhaftet worden war und würde es auch hoffentlich nie erfahren. Er würde mir nie verzeihen, was ich getan hatte. Und Octavia würde er vermutlich auch nicht verzeihen. Es war nämlich kein Zufall gewesen, dass Octavia nur ein paar Tage nach mir verhaftet worden war. So weit ich wusste, glaubte Bellamy zum Glück, dass Octavia verhaftet worden wäre, weil es sie eigentlich gar nicht geben dürfte. Aber darüber wollte ich nun wirklich nicht nachdenken.
Mein Name war Madison. Ich war siebzehn Jahre alt. Bis ich verhaftet worden war, hatte ich bei meinen Eltern gelebt, die mich allerdings genauso wenig leiden konnten wie ich sie. Für sie war ich sowieso immer nur eine Last gewesen. Vermutlich hatten sie sich sogar gefreut, als sie gehört hatten, dass ich verhaftet worden war.
Da flog die Tür zu meiner Zelle auf und zwei Wachen kamen herein. Erschrocken sprang ich auf. Normalerweise kamen sie nur einmal am Tag, um mir Essen zu bringen, doch heute waren sie schon einmal hier gewesen.
„Gefangene 305, kommen Sie bitte mit!", befahl die eine Wache. Aber ich rührte mich nicht vom Fleck. „Warum sollte ich?", fragte ich und verschränkte provokant die Arme. Die zweite Wache packte mich unsanft am Arm. „Das ist ein Befehl", erklärte der Mann streng.
Ich hasste es, herumkommandiert zu werden. Doch ich ging mit, da es eine Sache gab, die ich noch mehr hasste und die war, eingesperrt zu sein.
Als wir aus der Zelle draußen waren, liefen überall Wachen mit den Gefangenen herum. So viel war hier noch nie los gewesen. Was war hier nur los?
Aber ich fragte nicht. Von den Wachen würde ich ja doch keine Antwort bekommen. Da wurde ich in einen großen Raum geführt, in dem sich schon etliche andere Gefangenen befanden.
Da schallte eine Stimme durch den Raum. „Ihr wundert euch bestimmt, warum ihr alle hier seid." Ich hörte in der Menge einige zustimmende Schreie. „Tja, das kann ich euch sagen. Ihr, einhundert jugendliche Straftäter, werdet auf die Erde geschickt, um zu überprüfen, ob man dort überleben kann. Eure Verbrechen werden euch dann vergeben. Das ist alles, was ihr im Moment wissen müsst."
Dann wurde ich auch schon weitergezerrt. Ich konnte nicht glauben, dass ich tatsächlich die Erde sehen würde. Die Erde.
Die Wachen schubsten mich unsanft in das Dropship. Sie befahlen mir mich anzugurten, dann waren sie weg.
Plötzlich spürte ich einen heftigen Ruck. Träumte ich oder waren wir nun wirklich auf dem Weg zur Erde?
Da entdeckte ich Octavia. Auch sie schien mich entdeckt zu haben. Aufmunternd lächelte ich ihr zu. Sie lächelte zurück.
Nach einer gefühlten Ewigkeit spürte ich noch einen Ruck und dann war alles still. „Sind wir gelandet?", fragte jemand. „Stürzen wir ab?", fragte ein anderer. „Beruhigt euch!", schrie plötzlich ein Mädchen mit blonden Haaren und strengem Gesicht. Dann bahnte sie sich einen Weg durch die Menge zur Tür. Sie öffnete sie.
Gleißend helles Licht schien mir entgegen. Ich kniff die Augen zusammen. Dass es so hell sein würde, hätte ich nicht erwartet.
Als ich die Augen wieder aufschlug, konnte ich Bäume erkennen. Vorsichtig machte ich ein paar Schritte vorwärts und stand dann auf der Erde. Auf der echten Erde. Ich konnte es kaum glauben.
Da stand plötzlich Octavia neben mir. „Die Erde ist großartig", lachte sie. „Ja, finde ich auch", stimmte ich zu, „ich habe immer davon geträumt, hier zu sein."
Während ich mich vor Erstaunen kaum rühren konnte, rannte Octavia in den Wald. Ich lachte. Sie war schon immer ein Hitzkopf gewesen!
„Madison." Die Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken. Wie konnte er hier sein? Ich drehte mich um und vor mir stand... „Bellamy!"
Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen, aber die Art, wie er meinen Namen gesagt hatte, ließ mich verharren. Seine Stimme war nicht einmal hasserfüllt gewesen, sondern einfach nur tonlos, als wäre es einfach eine Feststellung, dass ich hier war. Außerdem hatte er mich früher nur selten Madison genannt. Meistens hatte er Maddie oder Mads zu mir gesagt.
„Was tust du hier?", fragte ich ihn. „Ich..." Für einen kurzen Augenblick schien Bellamy die Fassung verloren zu haben. „...ich bin wegen Octavia hier." Ich nickte. Eigentlich hätte ich mir das denken können.
„Sie ist in den Wald gegangen", erklärte ich ihm. Bellamy nickte, machte aber keine Anstalten, davon zu gehen. Er starrte mich nur durchdringend an.

Wer ist Madison?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt