Kapitel 3

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„Avalee, bitte hilf uns", schrie Mum und Jaleb wimmerte leise.

Mit zittrigen Händen versuchte ich, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, doch meine schweißnasse Hand rutschte immer wieder ab.

„Beeil dich! Rette uns!"

Panisch warf ich einen Blick nach oben, zu meiner Familie, die sich aus dem Fenster lehnte.

Im Hintergrund lechzten die Flammen nach ihren Körpern und dichter Rauch quoll aus der Fensteröffnung. Endlich gelang es mir, die Tür aufzuschließen, und ich stürzte ins Gebäude. Absurderweise war es hier ganz still. Für ein paar Sekunden verharrte ich, lauschte nach irgendwas, doch alles, was ich hörte, war mein schwerer Atem und das friedliche Tropfen des Wasserhahns.

„Mum? Dad?", rief ich, während ich die Treppen hochstürzte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und die Tür zu meinem Zimmer aufriss, aus dessen Fenster meine Familie eben um Hilfe geschrien hatte. Mein Blick glitt flüchtig über die leere Fensterbank zum Bett mit der säuberlich zusammengefalteten Tagesdecke und meinem aufgeräumten Schreibtisch. Ungläubig kniff ich die Augen zusammen, um sie kurz darauf wieder aufzureißen. Das Zimmer schien verlassen und sauber. Verzweifelt raufte ich mir das Haar, als ich ein leises Geräusch wahrnahm - ein Summen.

Jal. Mich durchfuhr es eiskalt, während ich über den Flur in sein Zimmer stolperte. Mein kleiner Bruder lag in seinem Bett, das Kinn in die Hände gestützt, und blätterte in einem Comic, während er leise vor sich hin summte.

„Jaleb!", stieß ich atemlos hervor und machte einen Schritt auf ihn zu. Fragend blickte er auf. „Du lebst!" Meine Stimme zitterte.

Seine hingegen war kühl und ruhig, als er mich lange anschaute und dann leise antwortete: „Natürlich lebe ich nicht. Schau mich an, Ally." Er blickte auf seinen Körper hinunter, der in Flammen stand. „Ich bin tot. Und das wegen dir."

Ungläubig stolperte ich in Richtung Tür, meine Stimme war nicht mehr als ein Krächzen.

„Nein ... das kann nicht sein ... Ich ..."

Langsam stand Jaleb auf und gab einen Blick auf seinen verbrannten, rußverschmierten Körper frei. Er hob seinen Arm und deutete mit dem Zeigefinger auf mich. „Du hast mich getötet", schrie er. „Du!"

Mit Tränen in den Augen lief ich rückwärts, direkt in etwas hinein. Erschrocken machte ich einen Satz nach vorn und drehte mich um. Mum, Dad und Lauren standen in der Tür. Die Flammen umgaben sie wie ein Heiligenschein.

„Mörderin", flüsterten sie leise und wiederholten die Bezeichnung mantraartig. Auch Jaleb stimmte mit ein.

Die Worte echoten in meinem Kopf, während meine Familie sich mir hasserfüllt näherte. „Mörderin. Mörderin. Mörderin. Mörderin. Mörderin."


Wimmernd fuhr ich hoch. Meine Wangen brannten vom Salz meiner Tränen. Meine Kehle schmerzte. Atemlos kroch ich unter meiner Bettdecke hervor, eilte zum Fenster, öffnete es weit und schnappte panisch nach Luft.

Nachdem ich mich einigermaßen beruhigt hatte, ging ich zurück zum Bett und knipste die Nachttischlampe an. Warmes gelbes Licht durchflutete den Raum. Zitternd vor Kälte holte ich die schwarze Kiste unter dem Bett hervor und legte sie neben mich auf die Matratze. Eine Weile wühlte ich darin, bis ich mir ein Foto herausgesucht hatte und es betrachtete.

Es war eine Spontanaufnahme von Scarlett, Jaleb und mir vor vier Jahren. Ich konnte mich gut an diesen Tag erinnern. Es war ein Sonntag gewesen, draußen hatte es geregnet, und Scarlett und ich waren gestorben vor Langeweile. Schließlich hatten wir Jal, damals gerade vier Jahre alt, ins Bad verfrachtet und ihn in ein himmelblaues, gepunktetes Sommerkleid und silberne High Heels gesteckt. Anschließend hatten wir ihn geschminkt und seine hellbraune Löwenmähne zu kleinen Zöpfen zusammengebunden. Sehnsüchtig starrte ich das Bild meines kleinen Bruders an, betrachtete die winzigen Milchzähnchen, die Grübchen in den Wangen und die blassblauen Augen. Nun war er verschwunden und Scarlett lebte in Wales. Für wenige Sekunden zog ich es in Erwägung, sie anzurufen, verwarf den Gedanken aber schnell wieder.

The Shadow of a FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt