Unheilbar - Kapitel 1

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Es war der Tag der Beerdigung meiner Eltern. Nichts und niemand hätte mich davon abhalten können, die Erste und Letzte zu sein, die eine Rose in ihr Grab legt. Bis auf die Tatsache, dass ich schon spät dran war, weil ich verschlafen hatte. Ich hetzte auf meinem Fahrrad die Straße entlang und bog in die Eichenallee, an der der Friedhof lag, ein. Ich sprang vom Fahrrad, legte einen Sprint zum Tor hin und warf mich noch rechtzeitig vor die Person, die gerade die erste Rose in das Grab legen wollte. Sofort packten mich starke Arme von hinten und zerrten mich von ihm weg. Ich schrie mir die Kehle aus dem Leib, dass ich die erste sein sollte, die eine Rose in das Grab legt. Ich kam mir ziemlich dumm vor, aber anscheinend zeigte es Wirkung, denn nun waren alle Augen auf mich gerichtet und niemand würde mehr daran denken, in genau diesem Moment eine stachelige Blume in ein Loch im Boden zu werfen. "Lass mich los! Ich bin Sunrose, die Tochter des verstorbenen Ehepaares Heartley. Ich denke, die Ehre der ersten Rose gewährt mir." So wie es sich mit der Panik in meiner Stimme anhören musste, hatte ich es mir in Gedanken allerdings nicht vorgestellt. Ich wollte erwachsen klingen, aber mich hielten grad eh alle für ein verrücktes kleines Mädchen, das der Hysterie verfallen war, aufgrund des Todes ihrer Eltern. Aber nein! Ich würde nicht verrückt werden. Ich muss bei dem Gedanken, dass sie für immer fort sind, zwar immer noch weinen, aber ich habe mich damit abgefunden, dass es so ist. Leugnen.-Wut.-Verhandeln.-Depressionen.-Akzeptanz. Der Weg der Psyche eines Menschens mit schrecklichen Dingen umzugehen. Es schien so, als ob ich wohl ein paar Stufen ausgelassen hätte. "Jaja, ich weiß nur zu gut wer du bist. Genau deshalb hab ich dich ja zurückgehalten, weil ich Angst hatte, dass du auf den Mann losgehen würdest." Die Stimme kannte ich doch! Der Griff lockerte sich und gab mich frei. Ich drehte mich um und traute meinen Augen nicht. 1,80m groß, kastanienfarbene Haare mit einem leicht goldenen Schimmer, wenn es von der Sonne angestrahlt wird,  sanfte grüne Augen mit einem unglaublich gut aussehenden Körper - Es war Patrick, mein Ex. "Was machst du hier? Das ist die Beerdigung  meiner Eltern nicht deiner Eltern." " Ich weiß, aber ich dachte mir... Ich wollte dich nicht hier alleine lassen." Er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und lächelte verlegen. Da musste ich auch lächeln. Er sah einfach zu süß aus, wenn ihm etwas peinlich war. Es war ein großer Fehler gewesen, mit ihm Schluss zu machen, aber ich hatte damals das Gefühl gehabt, dass er sich einfach nicht mehr für mich interessierte. "Aber warum zerrst du mich von dem Grab weg, als wäre ich ein tollwütiger Hundeskorpion?" "Weil ich weiß, wie wichtig dir die 'erste-rose-sache' ist und du deshalb sogar morden würdest." Ooooh ja. Wenn's sein müsste, würde ich alle Menschen der Welt dafür umbringen. Da hat er Recht. Ich hätte nicht gedacht, dass er mich noch so gut kennt. Aber das konnte ich natürlich nicht sagen also meinte ich nur: "Du Quatschkopf. Dafür würd ich doch niemanden umbringen", und lachte. Er beugte sich leicht vor und flüsterte mir ins Ohr "Gekünstelter geht's wohl nicht." Mit einem Grinsen machte er den Weg wieder frei und deutete mir, die erste Rose hineinzuwerfen. Überrascht, über die Gefühlswelle, die mich überrumpelte, lief ich rot an und ging mit Apfelbäckchen zum Grab, bis ich neben der Person stand, die mir fast meinen Erste-Rosen-Platz weggenommen hätte. Patrick hatte recht, ich würde dies hier nicht alleine überstehen. Ich würde ehe ich mich versah in der nächsten Ecke sitzen und heulen. Er ist der einzige Mensch, der sich seit dem Tod meiner Eltern um mich gesorgt hatte. Er hat mich schon immer so gut verstanden. Jemanden wie ihn brauchte ich im Moment einfach.

Ich schnappte mir die Rose aus der Hand des Mannes neben mir, betete zu Gott, streckte meine Hand aus und ließ die Rose fallen. Und mit ihr meine Träume und Hoffnungen, dass mein Leben je wieder normal werden würde, als ich im Augenwinkel sah, wie plötzlich meinem Nebenmann ein Messer in den Rücken gerammt wurde.

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