Kapitel 3

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Das erste was ich wieder spüren kann, Sonnenstrahlen, die meine Nase kitzeln. Durch meine geschlossenen Augenlider sehe ich schwaches Licht. Wo bin ich? Leide ich an Amnesie oder Gedächtnisverlust? Ich bin Sunrose Heartley. Ein 17-Jähriges Mädchen, dass ihre Eltern verloren, sich neu in ihren Ex verliebt und Angst vor der Dunkelheit hat. Nein, an Gedächtnisverlust leide ich schon mal nicht. Beruhigungsmittel! Das ist es. Ich konnte grade noch so sehen, wie Polizist zwei mir eine Spritze in den Arm gerammt hat, ehe ich das Bewusstsein verlor. Dieser Typ wird mir immer unsymphatischer. Er ist der neue - und schon stellvertretender Etagenchef. Normalerweise hatte Kühn das Sagen, aber anscheinend beeinflusst Nummer zwei ihn schon so stark, dass er keine eigenen Entscheidungen mehr trifft und sich nur noch auf ihn verlässt. Kühn ist eigentlich ganz nett, man kann gut mit ihm reden und er drückt auch mal gern ein Auge zu, aber sobald es ernster wird kriegt er einfach nichts mehr auf die Reihe, wie der Rest seiner Truppe. Wahrscheinlich wurde Nummer zwei auch deshalb hierher geschickt. Direkt vom Militär.

Ich versuche meine Augen zu öffnen, doch meine Lider sind noch schwer wir Blei, also beschließe ich ein wenig hier zu verweilen und mich erstmal nur auf die Geräusche zu konzentrieren. Ich nehme ein leises Plätschern wahr. Hier in der Nähe muss wohl ein Fluss sein. Gedämpfte Gespräche von irgendwo weit weg, oder durch Wände getrennt. Klimpernde und raschelnde Schlüssel. Atem. Ich bin hier nicht allein. Aber wer ist hier noch? Ich reiße mit aller Kraft meine Augen auf, nur um sie direkt wieder schließen zu müssen, weil sie wegen des schmerzenden Lichts anfangen höllisch zu brennen. Versuch zwei - ich zwinge meine Augen dazu offen zu bleiben. Trotz des Schmerzes kann ich nun etwas sehen, wenn auch verschwommen. "Bist du wach?" fragt eine weibliche Stimme neben mir. Ich sehe ihr ins Gesicht. Ein hübsches Mädchen. "Warum bist du hier?" "Wie warum bin ich hier? Wo bin ich denn überhaupt" krächze ich. Mein Hals tut weh. "Hier nimm das." Sie streckt mir ihre magere Hand entgegen. "Die Tablette wird dir helfen." "Danke, aber meine Mami hat immer gesagt, dass ich nichts von Fremden annehmen soll." "Erstmal bin ich nicht irgendeine Fremde, sondern deine neue Freundin und Mitbewohnerin und zweitens ist deine mum denn hier? Also, was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß." Mum... warme Tränen steigen mir in die Augen. Von der Wut gepackt schreie ich sie an "Du hast doch keine Ahnung! Du kennst mich nicht! Du kennst meine mum nicht! Du hättest es nicht einmal verdient, sie kennen zu lernen. Sie war die beste Mum, die man sich wünschen kann! Und doch du bist mir fremd, also egal, was das für eine Tablette ist, ich werde sie nicht nehmen und jetzt lass mich in Ruhe, kapiert!?" Nun schmerzt mein Hals nur noch mehr, aber das ist mir egal. Ich wende meinen Blick von ihren groß gewordenen Augen ab und sehe die graue Wand an. " 'War'... ich hatte ja keine ahnung. Das tut mir leid mit deiner mum, so war das nicht gemeint. Die Tablette ist eine Schmerztablette, weil deine Stimme sich so rau anhört, da hab ich gedacht, dass du bestimmt Halsschmerzen haben musst." "Schon gut. Du musst mich nicht bemitleiden." Ich kann hören, wie sie aufsteht und sich ihre Schritte von mir entfernen. "Magst du Tee?", fragt sie sanft und reumütig. "Ja, wieso?" Nun sehe ich sie doch wieder an. Sie steht neben einer Anrichte mit einem Topf voll dampfendem Wasser. "Was... Wo bin ich?" Mitbewohnerin. "Warum bist du hier?" Mir ahnt nichts gutes. "Na im Knast, wo sonst? Also darf ich wissen, warum du sitzt?" Innerhalb von wenigen Millisekunden steh ich auf den Beinen. "Nein. Was. Wieso?" "Was wieso?" "Wieso bin ich hier?", frage ich sie panisch, in der Hoffnung, dass sie etwas darüber weiß. "Sag mal, hörst du mir überhaupt zu? Das hab ich dich doch grad gefragt." Sie gießt den Tee auf und reicht ihn mir. "Danke", murmele ich. "Keine Ursache" Ich nehme einen großen Schluck und spüre eine Welle der Linderung in meinem Hals. "Was ist das für ein Tee?" Den werd ich mir bestimmt öfter machen. Später jedenfalls. "Salbei und Honig. Extra für deinen Hals." "Oh", aber ich mag doch gar keinen Honig. Naja, der Tee schmeckt trotzdem gut. "Also wieso bist du hier?", reißt sie mich von meinen Tee Gedanken weg und schaut mich mit einem prüfenden Blick an. Kopf hoch. Kinn grade. Zeig keine Schwäche. Vielleicht schaue ich einfach zu viel fern, aber trotzdem hielt ich es für falsch, mich weich zu geben. Immerhin bin ich das sonst auch nicht, also was würde daran jetzt so schwer sein? Ich lasse niemanden so schnell an mich ran. "Ich weiß es nicht. Hast du nichts mitbekommen?" "Woher denn?" "Was weiß ich. Vielleicht haben ja Polizisten mit dir geredet, als deine neue Mitbewohnerin," Ich. "eingewiesen wurde?"  "Nein. Ich habe sie nur sagen hören, dass du einen an der Waffel hättest. Und bis jetzt scheint's wirklich zu stimmen." Einen an der Waffel? Spinnen die? Wenn das Patrick wüsste, er würde sie solange pisacken, bis sie anderer Meinung wären, oder er würde mir einreden und zustimmen,  dass es nicht so ist.  Patrick. "Wo ist Patrick?", flüstere ich in die Stille. Keine Antwort kommt. "Wo ist Patrick?", frage ich etwas lauter. "Patrick?" "Jetzt tu nicht so!" Mir platzt gleich der Kragen. "Patrick mein Ex! Er war hier. Wenigstens um mich zu besuchen. Er hätte mich nicht alleine gelassen." "Nein, das hat er nicht." Das Mädchen hält meinem Blick wohl nicht stand, denn ihre Augen weichen den meinen zum Boden aus. "Was ist passiert? Ist er... verletzt?" Tränen brennen in meinen Augen. Ich blinzle sie schnell weg. "Er war hier. Er wurde von einem Polizisten festgehalten und sah wütend aus. Vielleicht mochte er nicht, dass Finn dich so zärtlich hierher getragen hat. Es sah so aus, als hätte er Angst, dass du zerbrichst. Aber um ehrlich zu sein, sahst du wirklich aus wie ein Häufchen Elend. Traurig, gequält und bewusstlos." "Wo ist er nun?" "Er wurde mitgenommen. Entweder sitzt er selbst in einer Zelle mit irgendeinem anderen Typen, oder er wird grade verhört." Ich starre sie entsetzt an. "Mach dir keine Sorgen um ihn. Ich kenne ihn zwar nicht, aber er machte den Eindruck, als würde er sich nicht so leicht geschlagen geben. Er wird zu dir zurückkommen. Er wird darauf bestehen und vielleicht sonst erst gar nicht aussagen. Da bin ich mir sicher. Er mag dich." Ich seufze erleichtert auf. "Denkst du er wird Ärger bekommen?" "Nein. Vorerst. Ich weiß ja nicht, wieso ihr hier seid." Darauf weiß ich wirklich nicht, was ich sagen soll. Stille. Schweigen. Zeit zum Nachdenken. Warum könnten wir hier sein. Was war passiert? Wie sind wir hierher gekommen. Finn. "Du meintest ich wäre auf den Armen von jemandem hierhergebracht worden. Wer ist Finn?" Die Antwort kommt nicht sofort, als müsste sie erst ihre Worte ordnen, ehe sie sie aussprach. "Er ist... der Neue." Mir stand das Fragezeichen aus meinen Gedanken ins Gesicht geschrieben. "Er ist zu weichlich. Ich denke,  dass er es nicht weit schaffen wird, falls Militärtypi hier das Kommando übernimmt. Nein, wenn der Militärtypi hier das Kommando übernimmt. Finn ist grade erst in die Polizeibranche eingestiegen. Er ist Anfang zwanzig, vermutlich einundzwanzig. Etwas schüchtern, aber total nett und liebenswürdig. Wie ein kleiner putziger Hundewelpe, der seinen Platz in der Welt noch nicht recht gefunden hat."

Armer Finn. In diesem Augenblick beschließt mein Gehirn ihn auf die Gute-Leute-die-einem-richtig-leid-tun-können-Liste zu setzen. Ich werde später hundertprozentig mit ihm reden. Ich muss nur irgendwie hier rauskommen.

UnheilbarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt